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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Funfzehnter Gesang.
Auf den stilleren Söller war jetzt der reichen Bewohner
Einziger Sohn gestiegen. Er war in der Blume des Lebens,
Aber ein Jüngling voll Ernst, die Freude seiner Gespielen,
Seiner Mutter Entzückung! Der Mond, enthüllt vom Gewölke,
Ging jetzt über der hohen Jerusalem, und Moria
Ruhig einher, und schimmerte sanfte Gedanken herunter
Denen, die noch in Schlafe, dem täglichen Tode, nicht lagen,
Dir vor allen, o Stephanus, Jüngling voll Tiefsinn. Er wallte
Leis' in den Labyrinthen herum, die des Sehers Geschichte,
Welchen Bethlem gebar, um seine Seele, je mehr sie
Forschte, je grösser, und unausgänglicher herzog.
Lockicht lag sein dunkleres Haar auf dem leichten Gewande,
Das ihn umfloß, und auf der gedankenstützenden Rechte.
Als er so nachsann, trat ein Fremdling herauf: Sie haben
Mir die Quelle geschöpft, mich gesalbt, (Arabiens Stauden
Duftet' er) haben mich schon durch leichte Speisen erfrischet.
Keiner Erquickungen mehr, nur dieses heiteren Abends,
Dieser Ruhe bedarf ich noch. ... Sey mir, o Pilger, gesegnet!
Unsrer Hütte Friede sey dein! .... Geliebterer Aeltern
Einziger Sohn, ich bin herüber vom Meere gekommen,
Habe vieles erlitten. ... Eh du mir, redlicher Fremdling,
Was du littest, erzählst, muß ich dich fragen: Vernahmst du
Schon von Jerusalems grossen Propheten die ernste Geschichte?
Jhm antwortet Jedidoth mit schneller geflügelter Stimme:
Ach von Jefus dem Dulder, der wegen der Wahrheit gestorben,
Wegen der höheren Wahrheit, die Er, nicht Moses, uns lehrte.

Der,
O 4

Funfzehnter Geſang.
Auf den ſtilleren Soͤller war jetzt der reichen Bewohner
Einziger Sohn geſtiegen. Er war in der Blume des Lebens,
Aber ein Juͤngling voll Ernſt, die Freude ſeiner Geſpielen,
Seiner Mutter Entzuͤckung! Der Mond, enthuͤllt vom Gewoͤlke,
Ging jetzt uͤber der hohen Jeruſalem, und Moria
Ruhig einher, und ſchimmerte ſanfte Gedanken herunter
Denen, die noch in Schlafe, dem taͤglichen Tode, nicht lagen,
Dir vor allen, o Stephanus, Juͤngling voll Tiefſinn. Er wallte
Leiſ’ in den Labyrinthen herum, die des Sehers Geſchichte,
Welchen Bethlem gebar, um ſeine Seele, je mehr ſie
Forſchte, je groͤſſer, und unausgaͤnglicher herzog.
Lockicht lag ſein dunkleres Haar auf dem leichten Gewande,
Das ihn umfloß, und auf der gedankenſtuͤtzenden Rechte.
Als er ſo nachſann, trat ein Fremdling herauf: Sie haben
Mir die Quelle geſchoͤpft, mich geſalbt, (Arabiens Stauden
Duftet’ er) haben mich ſchon durch leichte Speiſen erfriſchet.
Keiner Erquickungen mehr, nur dieſes heiteren Abends,
Dieſer Ruhe bedarf ich noch. … Sey mir, o Pilger, geſegnet!
Unſrer Huͤtte Friede ſey dein! .... Geliebterer Aeltern
Einziger Sohn, ich bin heruͤber vom Meere gekommen,
Habe vieles erlitten. … Eh du mir, redlicher Fremdling,
Was du litteſt, erzaͤhlſt, muß ich dich fragen: Vernahmſt du
Schon von Jeruſalems groſſen Propheten die ernſte Geſchichte?
Jhm antwortet Jedidoth mit ſchneller gefluͤgelter Stimme:
Ach von Jefus dem Dulder, der wegen der Wahrheit geſtorben,
Wegen der hoͤheren Wahrheit, die Er, nicht Moſes, uns lehrte.

Der,
O 4
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[215/0231] Funfzehnter Geſang. Auf den ſtilleren Soͤller war jetzt der reichen Bewohner Einziger Sohn geſtiegen. Er war in der Blume des Lebens, Aber ein Juͤngling voll Ernſt, die Freude ſeiner Geſpielen, Seiner Mutter Entzuͤckung! Der Mond, enthuͤllt vom Gewoͤlke, Ging jetzt uͤber der hohen Jeruſalem, und Moria Ruhig einher, und ſchimmerte ſanfte Gedanken herunter Denen, die noch in Schlafe, dem taͤglichen Tode, nicht lagen, Dir vor allen, o Stephanus, Juͤngling voll Tiefſinn. Er wallte Leiſ’ in den Labyrinthen herum, die des Sehers Geſchichte, Welchen Bethlem gebar, um ſeine Seele, je mehr ſie Forſchte, je groͤſſer, und unausgaͤnglicher herzog. Lockicht lag ſein dunkleres Haar auf dem leichten Gewande, Das ihn umfloß, und auf der gedankenſtuͤtzenden Rechte. Als er ſo nachſann, trat ein Fremdling herauf: Sie haben Mir die Quelle geſchoͤpft, mich geſalbt, (Arabiens Stauden Duftet’ er) haben mich ſchon durch leichte Speiſen erfriſchet. Keiner Erquickungen mehr, nur dieſes heiteren Abends, Dieſer Ruhe bedarf ich noch. … Sey mir, o Pilger, geſegnet! Unſrer Huͤtte Friede ſey dein! .... Geliebterer Aeltern Einziger Sohn, ich bin heruͤber vom Meere gekommen, Habe vieles erlitten. … Eh du mir, redlicher Fremdling, Was du litteſt, erzaͤhlſt, muß ich dich fragen: Vernahmſt du Schon von Jeruſalems groſſen Propheten die ernſte Geſchichte? Jhm antwortet Jedidoth mit ſchneller gefluͤgelter Stimme: Ach von Jefus dem Dulder, der wegen der Wahrheit geſtorben, Wegen der hoͤheren Wahrheit, die Er, nicht Moſes, uns lehrte. Der, O 4

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/231>, abgerufen am 24.11.2024.