[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.Elfter Gesang. Säume nicht, letzter der Tage, daß wir nicht länger verlangen!Säume, säume vielmehr, daß noch zahlloser die Schaar sey Derer, die einst zu dem ewigen Leben aus Gräbern hervorgehn! So sprach Adam mit seliger Ruh, und seine Gefährten Dachten mit ihm dem frohen Gedanken von der Erniedrung Mit dem Versöhner, und von dem letzten Tage der Erde Wonnevoll nach. So standen sie jeder an seinem Grabe. Von dem Fuße des Bergs bis hinauf zu der Zinne des Tempels, Bebt' itzt fürchterlicher Moria. Schreckende Wolken Wälzten sich aus dem Allerheiligsten, strömten herüber Durch die Hallen des Heiligen, dann in des Tempels Vorhof, Dann gen Himmel. Wohin die schreckenden Wolken sich wandten; Bebte die Erd', und spalteten Felsen, und huben sich Ströme. Jetzo standen die Wolken gebreitet über die Gräber Leuchtender still, und ein Sturmwind braust' auf die Gräber herunter; Aber des ewigen Sohns Allmacht war nicht in dem Sturmwind! Und die Erde bebt' um die Gräber; allein des Versöhners Allmacht war in der bebenden Erde nicht! Es entströmten Flammen den Wolken; allein der Herr war nicht in den Flammen! Jetzo kam von dem Himmel sanftes Säuseln hernieder, Und des ewigen Sohnes Allmacht war in dem Säuseln. Ach! die Väter befiel, gleich einem Schlummer in Schatten, Süße Betäubung! Sie wußten es nicht, wie ihnen geschahe, Aber ihr dunkles Gefühl war: Nähe Gottes, und daß es Um sie säuselte. Freudig, mit brüderlicher Entzückung, Schauten die Engel umher im Gefilde der Auferstehung! Jetzt
Elfter Geſang. Saͤume nicht, letzter der Tage, daß wir nicht laͤnger verlangen!Saͤume, ſaͤume vielmehr, daß noch zahlloſer die Schaar ſey Derer, die einſt zu dem ewigen Leben aus Graͤbern hervorgehn! So ſprach Adam mit ſeliger Ruh, und ſeine Gefaͤhrten Dachten mit ihm dem frohen Gedanken von der Erniedrung Mit dem Verſoͤhner, und von dem letzten Tage der Erde Wonnevoll nach. So ſtanden ſie jeder an ſeinem Grabe. Von dem Fuße des Bergs bis hinauf zu der Zinne des Tempels, Bebt’ itzt fuͤrchterlicher Moria. Schreckende Wolken Waͤlzten ſich aus dem Allerheiligſten, ſtroͤmten heruͤber Durch die Hallen des Heiligen, dann in des Tempels Vorhof, Dann gen Himmel. Wohin die ſchreckenden Wolken ſich wandten; Bebte die Erd’, und ſpalteten Felſen, und huben ſich Stroͤme. Jetzo ſtanden die Wolken gebreitet uͤber die Graͤber Leuchtender ſtill, und ein Sturmwind brauſt’ auf die Graͤber herunter; Aber des ewigen Sohns Allmacht war nicht in dem Sturmwind! Und die Erde bebt’ um die Graͤber; allein des Verſoͤhners Allmacht war in der bebenden Erde nicht! Es entſtroͤmten Flammen den Wolken; allein der Herr war nicht in den Flammen! Jetzo kam von dem Himmel ſanftes Saͤuſeln hernieder, Und des ewigen Sohnes Allmacht war in dem Saͤuſeln. Ach! die Vaͤter befiel, gleich einem Schlummer in Schatten, Suͤße Betaͤubung! Sie wußten es nicht, wie ihnen geſchahe, Aber ihr dunkles Gefuͤhl war: Naͤhe Gottes, und daß es Um ſie ſaͤuſelte. Freudig, mit bruͤderlicher Entzuͤckung, Schauten die Engel umher im Gefilde der Auferſtehung! Jetzt
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="14"> <pb facs="#f0027" n="11"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Elfter Geſang.</hi> </fw><lb/> <l>Saͤume nicht, letzter der Tage, daß wir nicht laͤnger verlangen!</l><lb/> <l>Saͤume, ſaͤume vielmehr, daß noch zahlloſer die Schaar ſey</l><lb/> <l>Derer, die einſt zu dem ewigen Leben aus Graͤbern hervorgehn!</l> </lg><lb/> <lg n="15"> <l>So ſprach Adam mit ſeliger Ruh, und ſeine Gefaͤhrten</l><lb/> <l>Dachten mit ihm dem frohen Gedanken von der Erniedrung</l><lb/> <l>Mit dem Verſoͤhner, und von dem letzten Tage der Erde</l><lb/> <l>Wonnevoll nach. So ſtanden ſie jeder an ſeinem Grabe.</l> </lg><lb/> <lg n="16"> <l>Von dem Fuße des Bergs bis hinauf zu der Zinne des Tempels,</l><lb/> <l>Bebt’ itzt fuͤrchterlicher Moria. Schreckende Wolken</l><lb/> <l>Waͤlzten ſich aus dem Allerheiligſten, ſtroͤmten heruͤber</l><lb/> <l>Durch die Hallen des Heiligen, dann in des Tempels Vorhof,</l><lb/> <l>Dann gen Himmel. Wohin die ſchreckenden Wolken ſich wandten;</l><lb/> <l>Bebte die Erd’, und ſpalteten Felſen, und huben ſich Stroͤme.</l><lb/> <l>Jetzo ſtanden die Wolken gebreitet uͤber die Graͤber</l><lb/> <l>Leuchtender ſtill, und ein Sturmwind brauſt’ auf die Graͤber herunter;</l><lb/> <l>Aber des ewigen Sohns Allmacht war nicht in dem Sturmwind!</l><lb/> <l>Und die Erde bebt’ um die Graͤber; allein des Verſoͤhners</l><lb/> <l>Allmacht war in der bebenden Erde nicht! Es entſtroͤmten</l><lb/> <l>Flammen den Wolken; allein der Herr war nicht in den Flammen!</l><lb/> <l>Jetzo kam von dem Himmel ſanftes Saͤuſeln hernieder,</l><lb/> <l>Und des ewigen Sohnes Allmacht war in dem Saͤuſeln.</l> </lg><lb/> <lg n="17"> <l>Ach! die Vaͤter befiel, gleich einem Schlummer in Schatten,</l><lb/> <l>Suͤße Betaͤubung! Sie wußten es nicht, wie ihnen geſchahe,</l><lb/> <l>Aber ihr dunkles Gefuͤhl war: Naͤhe Gottes, und daß es</l><lb/> <l>Um ſie ſaͤuſelte. Freudig, mit bruͤderlicher Entzuͤckung,</l><lb/> <l>Schauten die Engel umher im Gefilde der Auferſtehung!</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Jetzt</fw><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [11/0027]
Elfter Geſang.
Saͤume nicht, letzter der Tage, daß wir nicht laͤnger verlangen!
Saͤume, ſaͤume vielmehr, daß noch zahlloſer die Schaar ſey
Derer, die einſt zu dem ewigen Leben aus Graͤbern hervorgehn!
So ſprach Adam mit ſeliger Ruh, und ſeine Gefaͤhrten
Dachten mit ihm dem frohen Gedanken von der Erniedrung
Mit dem Verſoͤhner, und von dem letzten Tage der Erde
Wonnevoll nach. So ſtanden ſie jeder an ſeinem Grabe.
Von dem Fuße des Bergs bis hinauf zu der Zinne des Tempels,
Bebt’ itzt fuͤrchterlicher Moria. Schreckende Wolken
Waͤlzten ſich aus dem Allerheiligſten, ſtroͤmten heruͤber
Durch die Hallen des Heiligen, dann in des Tempels Vorhof,
Dann gen Himmel. Wohin die ſchreckenden Wolken ſich wandten;
Bebte die Erd’, und ſpalteten Felſen, und huben ſich Stroͤme.
Jetzo ſtanden die Wolken gebreitet uͤber die Graͤber
Leuchtender ſtill, und ein Sturmwind brauſt’ auf die Graͤber herunter;
Aber des ewigen Sohns Allmacht war nicht in dem Sturmwind!
Und die Erde bebt’ um die Graͤber; allein des Verſoͤhners
Allmacht war in der bebenden Erde nicht! Es entſtroͤmten
Flammen den Wolken; allein der Herr war nicht in den Flammen!
Jetzo kam von dem Himmel ſanftes Saͤuſeln hernieder,
Und des ewigen Sohnes Allmacht war in dem Saͤuſeln.
Ach! die Vaͤter befiel, gleich einem Schlummer in Schatten,
Suͤße Betaͤubung! Sie wußten es nicht, wie ihnen geſchahe,
Aber ihr dunkles Gefuͤhl war: Naͤhe Gottes, und daß es
Um ſie ſaͤuſelte. Freudig, mit bruͤderlicher Entzuͤckung,
Schauten die Engel umher im Gefilde der Auferſtehung!
Jetzt
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |