[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.Zwölfter Gesang. Singe, mein Lied, die Thränen der Liebenden um den Geliebten, Ach der traurenden Freundschaft Klage. Wie Jsraels Wehmuth Auf den blutigen Rock des Sohnes Rahel, Josephs, Josephs floß, so fliesse mein Lied voll Empfindung und Einfalt. Langsam, weinend, mit schwerem Athem, erreichte Maria Endlich die Hütt' an dem Tempel, und trat in den Saal der Versammlung, Wo sie den Heiligen, den sie gebohren, und der jetzt todt war, Oft vordem gesehen, und oft die Thräne der Freude Weggewendet, und eingehüllt in den Schleyer sich hatte. Als sie, wo er gesessen, und wo er himmlisch gesprochen, Und gesegnet sie hatte, die leeren Stellen, auf immer Leer nun, erblickte, da weinte sie laut, und sank bey einer Nieder, und neigte die Stirne darauf. So fand sie Maria Magdale liegen, und noch die Mutter der Zebedäiden. Auch Nathanael kam, und fand sie noch also, bis endlich Sie es Magdale, und der Mutter Johannes erlaubte, Sie in die Höhe zu heben. Nun saß sie verhüllt, wie am Kreuze: Und mit ihr verstummten die andern. Simon Petrus Trat herein, und als er bey Jesus die Mutter erblickte, Weint' er laut, und rief: Er ist begraben! ... Jch hoff' es, Ja, ich hoff' es zu Gott, wir alle werden um ihn bald Auch begraben liegen! Mir soll es Joseph verheißen, Soll es mit einem heiligen Eide gen Himmel mir schwören, Daß er neben ihn mich dicht an den Felsen des Todten Legen will! ... Und mich in den Felsen! sagte Maria. Hand in Hand, kam Simon der Kananit, und Matthäus, Kam
Zwoͤlfter Geſang. Singe, mein Lied, die Thraͤnen der Liebenden um den Geliebten, Ach der traurenden Freundſchaft Klage. Wie Jſraels Wehmuth Auf den blutigen Rock des Sohnes Rahel, Joſephs, Joſephs floß, ſo flieſſe mein Lied voll Empfindung und Einfalt. Langſam, weinend, mit ſchwerem Athem, erreichte Maria Endlich die Huͤtt’ an dem Tempel, und trat in den Saal der Verſammlung, Wo ſie den Heiligen, den ſie gebohren, und der jetzt todt war, Oft vordem geſehen, und oft die Thraͤne der Freude Weggewendet, und eingehuͤllt in den Schleyer ſich hatte. Als ſie, wo er geſeſſen, und wo er himmliſch geſprochen, Und geſegnet ſie hatte, die leeren Stellen, auf immer Leer nun, erblickte, da weinte ſie laut, und ſank bey einer Nieder, und neigte die Stirne darauf. So fand ſie Maria Magdale liegen, und noch die Mutter der Zebedaͤiden. Auch Nathanael kam, und fand ſie noch alſo, bis endlich Sie es Magdale, und der Mutter Johannes erlaubte, Sie in die Hoͤhe zu heben. Nun ſaß ſie verhuͤllt, wie am Kreuze: Und mit ihr verſtummten die andern. Simon Petrus Trat herein, und als er bey Jeſus die Mutter erblickte, Weint’ er laut, und rief: Er iſt begraben! … Jch hoff’ es, Ja, ich hoff’ es zu Gott, wir alle werden um ihn bald Auch begraben liegen! Mir ſoll es Joſeph verheißen, Soll es mit einem heiligen Eide gen Himmel mir ſchwoͤren, Daß er neben ihn mich dicht an den Felſen des Todten Legen will! … Und mich in den Felſen! ſagte Maria. Hand in Hand, kam Simon der Kananit, und Matthaͤus, Kam
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0091" n="75"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Zwoͤlfter Geſang.</hi> </fw><lb/> <lg n="36"> <l>Singe, mein Lied, die Thraͤnen der Liebenden um den Geliebten,</l><lb/> <l>Ach der traurenden Freundſchaft Klage. Wie Jſraels Wehmuth</l><lb/> <l>Auf den blutigen Rock des Sohnes Rahel, Joſephs,</l><lb/> <l>Joſephs floß, ſo flieſſe mein Lied voll Empfindung und Einfalt.</l> </lg><lb/> <lg n="37"> <l>Langſam, weinend, mit ſchwerem Athem, erreichte Maria</l><lb/> <l>Endlich die Huͤtt’ an dem Tempel, und trat in den Saal der Verſammlung,</l><lb/> <l>Wo ſie den Heiligen, den ſie gebohren, und der jetzt todt war,</l><lb/> <l>Oft vordem geſehen, und oft die Thraͤne der Freude</l><lb/> <l>Weggewendet, und eingehuͤllt in den Schleyer ſich hatte.</l><lb/> <l>Als ſie, wo er geſeſſen, und wo er himmliſch geſprochen,</l><lb/> <l>Und geſegnet ſie hatte, die leeren Stellen, auf immer</l><lb/> <l>Leer nun, erblickte, da weinte ſie laut, und ſank bey einer</l><lb/> <l>Nieder, und neigte die Stirne darauf. So fand ſie Maria</l><lb/> <l>Magdale liegen, und noch die Mutter der Zebedaͤiden.</l><lb/> <l>Auch Nathanael kam, und fand ſie noch alſo, bis endlich</l><lb/> <l>Sie es Magdale, und der Mutter Johannes erlaubte,</l><lb/> <l>Sie in die Hoͤhe zu heben. Nun ſaß ſie verhuͤllt, wie am Kreuze:</l><lb/> <l>Und mit ihr verſtummten die andern. Simon Petrus</l><lb/> <l>Trat herein, und als er bey Jeſus die Mutter erblickte,</l><lb/> <l>Weint’ er laut, und rief: Er iſt begraben! … Jch hoff’ es,</l><lb/> <l>Ja, ich hoff’ es zu Gott, wir alle werden um ihn bald</l><lb/> <l>Auch begraben liegen! Mir ſoll es Joſeph verheißen,</l><lb/> <l>Soll es mit einem heiligen Eide gen Himmel mir ſchwoͤren,</l><lb/> <l>Daß er neben ihn mich dicht an den Felſen des Todten</l><lb/> <l>Legen will! … Und mich in den Felſen! ſagte Maria.</l><lb/> <l>Hand in Hand, kam Simon der Kananit, und Matthaͤus,</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Kam</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [75/0091]
Zwoͤlfter Geſang.
Singe, mein Lied, die Thraͤnen der Liebenden um den Geliebten,
Ach der traurenden Freundſchaft Klage. Wie Jſraels Wehmuth
Auf den blutigen Rock des Sohnes Rahel, Joſephs,
Joſephs floß, ſo flieſſe mein Lied voll Empfindung und Einfalt.
Langſam, weinend, mit ſchwerem Athem, erreichte Maria
Endlich die Huͤtt’ an dem Tempel, und trat in den Saal der Verſammlung,
Wo ſie den Heiligen, den ſie gebohren, und der jetzt todt war,
Oft vordem geſehen, und oft die Thraͤne der Freude
Weggewendet, und eingehuͤllt in den Schleyer ſich hatte.
Als ſie, wo er geſeſſen, und wo er himmliſch geſprochen,
Und geſegnet ſie hatte, die leeren Stellen, auf immer
Leer nun, erblickte, da weinte ſie laut, und ſank bey einer
Nieder, und neigte die Stirne darauf. So fand ſie Maria
Magdale liegen, und noch die Mutter der Zebedaͤiden.
Auch Nathanael kam, und fand ſie noch alſo, bis endlich
Sie es Magdale, und der Mutter Johannes erlaubte,
Sie in die Hoͤhe zu heben. Nun ſaß ſie verhuͤllt, wie am Kreuze:
Und mit ihr verſtummten die andern. Simon Petrus
Trat herein, und als er bey Jeſus die Mutter erblickte,
Weint’ er laut, und rief: Er iſt begraben! … Jch hoff’ es,
Ja, ich hoff’ es zu Gott, wir alle werden um ihn bald
Auch begraben liegen! Mir ſoll es Joſeph verheißen,
Soll es mit einem heiligen Eide gen Himmel mir ſchwoͤren,
Daß er neben ihn mich dicht an den Felſen des Todten
Legen will! … Und mich in den Felſen! ſagte Maria.
Hand in Hand, kam Simon der Kananit, und Matthaͤus,
Kam
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |