Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Messias.
Siehe Gethsemane bebt! es wanken des Sternes Gesährten!
Einige Todte ruften von Klüften zu Klüften: Die Zeit naht!
Und: Die Zeit naht! schollen die Wiederhalle der Tiefe.
Haufen sonderten sich, und schöpften voll, aus dem trüben
Feuerstrome, die Schalen, und hielten sie hoch, und suchten
Pfad sich, und fehlten, und fanden den Ausgang; kehrten zurücke,
Riefen, noch bebe der Stern nicht! Die andern Haufen entdeckten
Nun den Ausgang auch, und kamen nicht wieder. Da strömt' es,
Hoch die Flamme, den Haufen in Schaaren nach. So empört sich,
Heben sich Stürme, das Meer; erst rauschen Wellen, wie Hügel,
Aber nicht lange, so brausen Wogen, wie Berg', ans Gestade.
Etliche kehrten zurück. Denn immer wallten die Sterne
Jhres Weges noch fort. Doch weit hinunter am Strome
Standen, die Flamme zu schöpfen bereit, unzählbare Todte,
Daß sie eilten, und schauten, wenn nun der Verheißne des Engels
Käme, wenn nun die Erscheinung des lebenden Todten erschiene!
Jesus sprach zu Gabriel: Eile voran. Und der Seraph
Schwebte nicht lange, so trat er, wie sie noch niemals ihn sahen,
Ganz mit Herrlichkeit überkleidet, mit Strahlen des Urlichts,
Jn des Gefängnisses Thor. Jezt wurde Gethsemane stärker,
Nun noch stärker erschüttert, so sehr, daß die wartenden Haufen
Endlich sahn, wie der Stern mit wankendem Pol aus der Bahn wich.
Und sie eilten hinab, zu verkündigen, sahen den Seraph
Kaum, der vor ihnen in seiner Herrlichkeit stand. Der Versöhner
Kam, und Tag gieng auf vor dem Göttlichen, leuchtet' hinunter
Jn des Gefängnisses tiefes Geklüft, auf die Felsenhänge
Voller trüben Quellen, hinab in die fernsten Gewölbe
Unter
Der Meſſias.
Siehe Gethſemane bebt! es wanken des Sternes Geſaͤhrten!
Einige Todte ruften von Kluͤften zu Kluͤften: Die Zeit naht!
Und: Die Zeit naht! ſchollen die Wiederhalle der Tiefe.
Haufen ſonderten ſich, und ſchoͤpften voll, aus dem truͤben
Feuerſtrome, die Schalen, und hielten ſie hoch, und ſuchten
Pfad ſich, und fehlten, und fanden den Ausgang; kehrten zuruͤcke,
Riefen, noch bebe der Stern nicht! Die andern Haufen entdeckten
Nun den Ausgang auch, und kamen nicht wieder. Da ſtroͤmt’ es,
Hoch die Flamme, den Haufen in Schaaren nach. So empoͤrt ſich,
Heben ſich Stuͤrme, das Meer; erſt rauſchen Wellen, wie Huͤgel,
Aber nicht lange, ſo brauſen Wogen, wie Berg’, ans Geſtade.
Etliche kehrten zuruͤck. Denn immer wallten die Sterne
Jhres Weges noch fort. Doch weit hinunter am Strome
Standen, die Flamme zu ſchoͤpfen bereit, unzaͤhlbare Todte,
Daß ſie eilten, und ſchauten, wenn nun der Verheißne des Engels
Kaͤme, wenn nun die Erſcheinung des lebenden Todten erſchiene!
Jeſus ſprach zu Gabriel: Eile voran. Und der Seraph
Schwebte nicht lange, ſo trat er, wie ſie noch niemals ihn ſahen,
Ganz mit Herrlichkeit uͤberkleidet, mit Strahlen des Urlichts,
Jn des Gefaͤngniſſes Thor. Jezt wurde Gethſemane ſtaͤrker,
Nun noch ſtaͤrker erſchuͤttert, ſo ſehr, daß die wartenden Haufen
Endlich ſahn, wie der Stern mit wankendem Pol aus der Bahn wich.
Und ſie eilten hinab, zu verkuͤndigen, ſahen den Seraph
Kaum, der vor ihnen in ſeiner Herrlichkeit ſtand. Der Verſoͤhner
Kam, und Tag gieng auf vor dem Goͤttlichen, leuchtet’ hinunter
Jn des Gefaͤngniſſes tiefes Gekluͤft, auf die Felſenhaͤnge
Voller truͤben Quellen, hinab in die fernſten Gewoͤlbe
Unter
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0058" n="58"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw><lb/>
            <lg n="10">
              <l>Siehe Geth&#x017F;emane bebt! es wanken des Sternes Ge&#x017F;a&#x0364;hrten!</l><lb/>
              <l>Einige Todte ruften von Klu&#x0364;ften zu Klu&#x0364;ften: Die Zeit naht!</l><lb/>
              <l>Und: Die Zeit naht! &#x017F;chollen die Wiederhalle der Tiefe.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="11">
              <l>Haufen &#x017F;onderten &#x017F;ich, und &#x017F;cho&#x0364;pften voll, aus dem tru&#x0364;ben</l><lb/>
              <l>Feuer&#x017F;trome, die Schalen, und hielten &#x017F;ie hoch, und &#x017F;uchten</l><lb/>
              <l>Pfad &#x017F;ich, und fehlten, und fanden den Ausgang; kehrten zuru&#x0364;cke,</l><lb/>
              <l>Riefen, noch bebe der Stern nicht! Die andern Haufen entdeckten</l><lb/>
              <l>Nun den Ausgang auch, und kamen nicht wieder. Da &#x017F;tro&#x0364;mt&#x2019; es,</l><lb/>
              <l>Hoch die Flamme, den Haufen in Schaaren nach. So empo&#x0364;rt &#x017F;ich,</l><lb/>
              <l>Heben &#x017F;ich Stu&#x0364;rme, das Meer; er&#x017F;t rau&#x017F;chen Wellen, wie Hu&#x0364;gel,</l><lb/>
              <l>Aber nicht lange, &#x017F;o brau&#x017F;en Wogen, wie Berg&#x2019;, ans Ge&#x017F;tade.</l><lb/>
              <l>Etliche kehrten zuru&#x0364;ck. Denn immer wallten die Sterne</l><lb/>
              <l>Jhres Weges noch fort. Doch weit hinunter am Strome</l><lb/>
              <l>Standen, die Flamme zu &#x017F;cho&#x0364;pfen bereit, unza&#x0364;hlbare Todte,</l><lb/>
              <l>Daß &#x017F;ie eilten, und &#x017F;chauten, wenn nun der Verheißne des Engels</l><lb/>
              <l>Ka&#x0364;me, wenn nun die Er&#x017F;cheinung des lebenden Todten er&#x017F;chiene!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="12">
              <l>Je&#x017F;us &#x017F;prach zu Gabriel: Eile voran. Und der Seraph</l><lb/>
              <l>Schwebte nicht lange, &#x017F;o trat er, wie &#x017F;ie noch niemals ihn &#x017F;ahen,</l><lb/>
              <l>Ganz mit Herrlichkeit u&#x0364;berkleidet, mit Strahlen des Urlichts,</l><lb/>
              <l>Jn des Gefa&#x0364;ngni&#x017F;&#x017F;es Thor. Jezt wurde Geth&#x017F;emane &#x017F;ta&#x0364;rker,</l><lb/>
              <l>Nun noch &#x017F;ta&#x0364;rker er&#x017F;chu&#x0364;ttert, &#x017F;o &#x017F;ehr, daß die wartenden Haufen</l><lb/>
              <l>Endlich &#x017F;ahn, wie der Stern mit wankendem Pol aus der Bahn wich.</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;ie eilten hinab, zu verku&#x0364;ndigen, &#x017F;ahen den Seraph</l><lb/>
              <l>Kaum, der vor ihnen in &#x017F;einer Herrlichkeit &#x017F;tand. Der Ver&#x017F;o&#x0364;hner</l><lb/>
              <l>Kam, und Tag gieng auf vor dem Go&#x0364;ttlichen, leuchtet&#x2019; hinunter</l><lb/>
              <l>Jn des Gefa&#x0364;ngni&#x017F;&#x017F;es tiefes Geklu&#x0364;ft, auf die Fel&#x017F;enha&#x0364;nge</l><lb/>
              <l>Voller tru&#x0364;ben Quellen, hinab in die fern&#x017F;ten Gewo&#x0364;lbe</l><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Unter</fw><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58/0058] Der Meſſias. Siehe Gethſemane bebt! es wanken des Sternes Geſaͤhrten! Einige Todte ruften von Kluͤften zu Kluͤften: Die Zeit naht! Und: Die Zeit naht! ſchollen die Wiederhalle der Tiefe. Haufen ſonderten ſich, und ſchoͤpften voll, aus dem truͤben Feuerſtrome, die Schalen, und hielten ſie hoch, und ſuchten Pfad ſich, und fehlten, und fanden den Ausgang; kehrten zuruͤcke, Riefen, noch bebe der Stern nicht! Die andern Haufen entdeckten Nun den Ausgang auch, und kamen nicht wieder. Da ſtroͤmt’ es, Hoch die Flamme, den Haufen in Schaaren nach. So empoͤrt ſich, Heben ſich Stuͤrme, das Meer; erſt rauſchen Wellen, wie Huͤgel, Aber nicht lange, ſo brauſen Wogen, wie Berg’, ans Geſtade. Etliche kehrten zuruͤck. Denn immer wallten die Sterne Jhres Weges noch fort. Doch weit hinunter am Strome Standen, die Flamme zu ſchoͤpfen bereit, unzaͤhlbare Todte, Daß ſie eilten, und ſchauten, wenn nun der Verheißne des Engels Kaͤme, wenn nun die Erſcheinung des lebenden Todten erſchiene! Jeſus ſprach zu Gabriel: Eile voran. Und der Seraph Schwebte nicht lange, ſo trat er, wie ſie noch niemals ihn ſahen, Ganz mit Herrlichkeit uͤberkleidet, mit Strahlen des Urlichts, Jn des Gefaͤngniſſes Thor. Jezt wurde Gethſemane ſtaͤrker, Nun noch ſtaͤrker erſchuͤttert, ſo ſehr, daß die wartenden Haufen Endlich ſahn, wie der Stern mit wankendem Pol aus der Bahn wich. Und ſie eilten hinab, zu verkuͤndigen, ſahen den Seraph Kaum, der vor ihnen in ſeiner Herrlichkeit ſtand. Der Verſoͤhner Kam, und Tag gieng auf vor dem Goͤttlichen, leuchtet’ hinunter Jn des Gefaͤngniſſes tiefes Gekluͤft, auf die Felſenhaͤnge Voller truͤben Quellen, hinab in die fernſten Gewoͤlbe Unter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/58
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/58>, abgerufen am 04.12.2024.