Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Messias.

Einst vor des Leibes Geburt, vorm Antlitz GOttes, be-
sprachen;

Warum damals, auf göttliches Winken, Seraph Eloa
Traurig herabstieg, und einen der hohen goldenen
Stüle,

Die den heiligen Zwölfen GOtt gab, mit Wolken bedeckte.
Auch ist Gabriel traurig und mit verhülltem Gesichte
Vor mir vorübergegangen, als ihn in unseliger Stunde
Seine verlassene Mutter gebar. Wärst du nur nicht ge-
boren!

Hätte von deiner nun ewigen Seele kein Seraph gespro-
chen,

Armer verlohrner! dies wäre dir besser, als daß du den
Mittler

Und der Jünger erhabnen Beruf unedel entheiligst.

Seraph Jthuriel sprachs, und blieb mit sinkenden Bli-
cken

Traurig vor Selia stehen. Mein ganzes Herz erbebt
mir,

Und ein trübes Dunkel, wie Dämmrung, umnebelt mein
Auge!

Sagt itzt Selia seufzend. Jscharioth, einer der Zwölfe,
Und dein Jünger, Jthuriel? Was der Unsterblichen kei-
ner

Jemals geglaubt, was itzo ihr Mund vor Wehmuth kaum
ausspricht!

Der entheiligt der Jünger Beruf und den göttlichen Mitt-
ler?

Doch was ist denn sein traurig Verbrechen? Was that der
Verlorne?
Das

Der Meſſias.

Einſt vor des Leibes Geburt, vorm Antlitz GOttes, be-
ſprachen;

Warum damals, auf goͤttliches Winken, Seraph Eloa
Traurig herabſtieg, und einen der hohen goldenen
Stuͤle,

Die den heiligen Zwoͤlfen GOtt gab, mit Wolken bedeckte.
Auch iſt Gabriel traurig und mit verhuͤlltem Geſichte
Vor mir voruͤbergegangen, als ihn in unſeliger Stunde
Seine verlaſſene Mutter gebar. Waͤrſt du nur nicht ge-
boren!

Haͤtte von deiner nun ewigen Seele kein Seraph geſpro-
chen,

Armer verlohrner! dies waͤre dir beſſer, als daß du den
Mittler

Und der Juͤnger erhabnen Beruf unedel entheiligſt.

Seraph Jthuriel ſprachs, und blieb mit ſinkenden Bli-
cken

Traurig vor Selia ſtehen. Mein ganzes Herz erbebt
mir,

Und ein truͤbes Dunkel, wie Daͤmmrung, umnebelt mein
Auge!

Sagt itzt Selia ſeufzend. Jſcharioth, einer der Zwoͤlfe,
Und dein Juͤnger, Jthuriel? Was der Unſterblichen kei-
ner

Jemals geglaubt, was itzo ihr Mund vor Wehmuth kaum
ausſpricht!

Der entheiligt der Juͤnger Beruf und den goͤttlichen Mitt-
ler?

Doch was iſt denn ſein traurig Verbrechen? Was that der
Verlorne?
Das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <lg type="poem">
        <lg n="25">
          <l>
            <pb facs="#f0122" n="118"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw>
          </l><lb/>
          <l>Ein&#x017F;t vor des Leibes Geburt, vorm Antlitz GOttes, be-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;prachen;</hi></l><lb/>
          <l>Warum damals, auf go&#x0364;ttliches Winken, Seraph Eloa</l><lb/>
          <l>Traurig herab&#x017F;tieg, und einen der hohen goldenen<lb/><hi rendition="#et">Stu&#x0364;le,</hi></l><lb/>
          <l>Die den heiligen Zwo&#x0364;lfen GOtt gab, mit Wolken bedeckte.</l><lb/>
          <l>Auch i&#x017F;t Gabriel traurig und mit verhu&#x0364;lltem Ge&#x017F;ichte</l><lb/>
          <l>Vor mir voru&#x0364;bergegangen, als ihn in un&#x017F;eliger Stunde</l><lb/>
          <l>Seine verla&#x017F;&#x017F;ene Mutter gebar. Wa&#x0364;r&#x017F;t du nur nicht ge-<lb/><hi rendition="#et">boren!</hi></l><lb/>
          <l>Ha&#x0364;tte von deiner nun ewigen Seele kein Seraph ge&#x017F;pro-<lb/><hi rendition="#et">chen,</hi></l><lb/>
          <l>Armer verlohrner! dies wa&#x0364;re dir be&#x017F;&#x017F;er, als daß du den<lb/><hi rendition="#et">Mittler</hi></l><lb/>
          <l>Und der Ju&#x0364;nger erhabnen Beruf unedel entheilig&#x017F;t.</l>
        </lg><lb/>
        <lg n="26">
          <l>Seraph Jthuriel &#x017F;prachs, und blieb mit &#x017F;inkenden Bli-<lb/><hi rendition="#et">cken</hi></l><lb/>
          <l>Traurig vor Selia &#x017F;tehen. Mein ganzes Herz erbebt<lb/><hi rendition="#et">mir,</hi></l><lb/>
          <l>Und ein tru&#x0364;bes Dunkel, wie Da&#x0364;mmrung, umnebelt mein<lb/><hi rendition="#et">Auge!</hi></l><lb/>
          <l>Sagt itzt Selia &#x017F;eufzend. J&#x017F;charioth, einer der Zwo&#x0364;lfe,</l><lb/>
          <l>Und dein Ju&#x0364;nger, Jthuriel? Was der Un&#x017F;terblichen kei-<lb/><hi rendition="#et">ner</hi></l><lb/>
          <l>Jemals geglaubt, was itzo ihr Mund vor Wehmuth kaum<lb/><hi rendition="#et">aus&#x017F;pricht!</hi></l><lb/>
          <l>Der entheiligt der Ju&#x0364;nger Beruf und den go&#x0364;ttlichen Mitt-<lb/><hi rendition="#et">ler?</hi></l><lb/>
          <l>Doch was i&#x017F;t denn &#x017F;ein traurig Verbrechen? Was that der<lb/><hi rendition="#et">Verlorne?</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Das</fw><lb/></l>
        </lg>
      </lg>
    </body>
  </text>
</TEI>
[118/0122] Der Meſſias. Einſt vor des Leibes Geburt, vorm Antlitz GOttes, be- ſprachen; Warum damals, auf goͤttliches Winken, Seraph Eloa Traurig herabſtieg, und einen der hohen goldenen Stuͤle, Die den heiligen Zwoͤlfen GOtt gab, mit Wolken bedeckte. Auch iſt Gabriel traurig und mit verhuͤlltem Geſichte Vor mir voruͤbergegangen, als ihn in unſeliger Stunde Seine verlaſſene Mutter gebar. Waͤrſt du nur nicht ge- boren! Haͤtte von deiner nun ewigen Seele kein Seraph geſpro- chen, Armer verlohrner! dies waͤre dir beſſer, als daß du den Mittler Und der Juͤnger erhabnen Beruf unedel entheiligſt. Seraph Jthuriel ſprachs, und blieb mit ſinkenden Bli- cken Traurig vor Selia ſtehen. Mein ganzes Herz erbebt mir, Und ein truͤbes Dunkel, wie Daͤmmrung, umnebelt mein Auge! Sagt itzt Selia ſeufzend. Jſcharioth, einer der Zwoͤlfe, Und dein Juͤnger, Jthuriel? Was der Unſterblichen kei- ner Jemals geglaubt, was itzo ihr Mund vor Wehmuth kaum ausſpricht! Der entheiligt der Juͤnger Beruf und den goͤttlichen Mitt- ler? Doch was iſt denn ſein traurig Verbrechen? Was that der Verlorne? Das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die ersten drei Gesänge von Klopstocks ‚Messias‘ … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749/122
Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749/122>, abgerufen am 23.11.2024.