Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Oden. Hamburg, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

Schon hat den Geist der Donnerer ausgehaucht,
Schon wälzt sein Leib sich blutig im Rheine fort,
Doch bleibt am leichenvollen Ufer
Horchend der eilende Geist noch schweben.
Du schweigest, Freund, und siehest mich weinend an.
Ach warum starb die zärtliche Radikin?
Schön, wie die junge Morgenröthe,
Heiter und sanft, wie die Sommermondnacht.
Nimm diese Rosen, Gieseke; Lesbia
Hat sie mit Zähren heute noch sanft benetzt,
Als sie dein Lied mir von den Schmerzen
Deiner Gespielin der Liebe vorsang.
Du lächelst: Ja, dein Auge voll Zärtlichkeit
Hat dir mein Herz schon dazumal zugewandt,
Als ich zum erstenmal dich sahe,
Als ich dich sah, und du mich nicht kanntest.
Wenn einst ich todt bin, Freund, so besinge mich!
Dein Lied voll Thränen wird den entfliehenden
Dir treuen Geist noch um dein Auge,
Das mich beweint, zu verweilen zwingen.
Dann soll mein Schutzgeist, schweigend und unbemerkt
Dich dreymal segnen! dreymal dein sinkend Haupt
Umfliegen, und nach mir beym Abschied
Dreymal noch seyn, und dein Schutzgeist werden.

Der

Schon hat den Geiſt der Donnerer ausgehaucht,
Schon waͤlzt ſein Leib ſich blutig im Rheine fort,
Doch bleibt am leichenvollen Ufer
Horchend der eilende Geiſt noch ſchweben.
Du ſchweigeſt, Freund, und ſieheſt mich weinend an.
Ach warum ſtarb die zaͤrtliche Radikin?
Schoͤn, wie die junge Morgenroͤthe,
Heiter und ſanft, wie die Sommermondnacht.
Nimm dieſe Roſen, Gieſeke; Lesbia
Hat ſie mit Zaͤhren heute noch ſanft benetzt,
Als ſie dein Lied mir von den Schmerzen
Deiner Geſpielin der Liebe vorſang.
Du laͤchelſt: Ja, dein Auge voll Zaͤrtlichkeit
Hat dir mein Herz ſchon dazumal zugewandt,
Als ich zum erſtenmal dich ſahe,
Als ich dich ſah, und du mich nicht kannteſt.
Wenn einſt ich todt bin, Freund, ſo beſinge mich!
Dein Lied voll Thraͤnen wird den entfliehenden
Dir treuen Geiſt noch um dein Auge,
Das mich beweint, zu verweilen zwingen.
Dann ſoll mein Schutzgeiſt, ſchweigend und unbemerkt
Dich dreymal ſegnen! dreymal dein ſinkend Haupt
Umfliegen, und nach mir beym Abſchied
Dreymal noch ſeyn, und dein Schutzgeiſt werden.

Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg>
              <pb facs="#f0071" n="63"/>
              <lg n="52">
                <l><hi rendition="#in">S</hi>chon hat den Gei&#x017F;t der Donnerer ausgehaucht,</l><lb/>
                <l>Schon wa&#x0364;lzt &#x017F;ein Leib &#x017F;ich blutig im Rheine fort,</l><lb/>
                <l>Doch bleibt am leichenvollen Ufer</l><lb/>
                <l>Horchend der eilende Gei&#x017F;t noch &#x017F;chweben.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="53">
                <l><hi rendition="#in">D</hi>u &#x017F;chweige&#x017F;t, Freund, und &#x017F;iehe&#x017F;t mich weinend an.</l><lb/>
                <l>Ach warum &#x017F;tarb die za&#x0364;rtliche Radikin?</l><lb/>
                <l>Scho&#x0364;n, wie die junge Morgenro&#x0364;the,</l><lb/>
                <l>Heiter und &#x017F;anft, wie die Sommermondnacht.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="54">
                <l><hi rendition="#in">N</hi>imm die&#x017F;e Ro&#x017F;en, Gie&#x017F;eke; Lesbia</l><lb/>
                <l>Hat &#x017F;ie mit Za&#x0364;hren heute noch &#x017F;anft benetzt,</l><lb/>
                <l>Als &#x017F;ie dein Lied mir von den Schmerzen</l><lb/>
                <l>Deiner Ge&#x017F;pielin der Liebe vor&#x017F;ang.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="55">
                <l><hi rendition="#in">D</hi>u la&#x0364;chel&#x017F;t: Ja, dein Auge voll Za&#x0364;rtlichkeit</l><lb/>
                <l>Hat dir mein Herz &#x017F;chon dazumal zugewandt,</l><lb/>
                <l>Als ich zum er&#x017F;tenmal dich &#x017F;ahe,</l><lb/>
                <l>Als ich dich &#x017F;ah, und du mich nicht kannte&#x017F;t.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="56">
                <l><hi rendition="#in">W</hi>enn ein&#x017F;t ich todt bin, Freund, &#x017F;o be&#x017F;inge mich!</l><lb/>
                <l>Dein Lied voll Thra&#x0364;nen wird den entfliehenden</l><lb/>
                <l>Dir treuen Gei&#x017F;t noch um dein Auge,</l><lb/>
                <l>Das mich beweint, zu verweilen zwingen.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="57">
                <l><hi rendition="#in">D</hi>ann &#x017F;oll mein Schutzgei&#x017F;t, &#x017F;chweigend und unbemerkt</l><lb/>
                <l>Dich dreymal &#x017F;egnen! dreymal dein &#x017F;inkend Haupt</l><lb/>
                <l>Umfliegen, und nach mir beym Ab&#x017F;chied</l><lb/>
                <l>Dreymal noch &#x017F;eyn, und dein Schutzgei&#x017F;t werden.</l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0071] Schon hat den Geiſt der Donnerer ausgehaucht, Schon waͤlzt ſein Leib ſich blutig im Rheine fort, Doch bleibt am leichenvollen Ufer Horchend der eilende Geiſt noch ſchweben. Du ſchweigeſt, Freund, und ſieheſt mich weinend an. Ach warum ſtarb die zaͤrtliche Radikin? Schoͤn, wie die junge Morgenroͤthe, Heiter und ſanft, wie die Sommermondnacht. Nimm dieſe Roſen, Gieſeke; Lesbia Hat ſie mit Zaͤhren heute noch ſanft benetzt, Als ſie dein Lied mir von den Schmerzen Deiner Geſpielin der Liebe vorſang. Du laͤchelſt: Ja, dein Auge voll Zaͤrtlichkeit Hat dir mein Herz ſchon dazumal zugewandt, Als ich zum erſtenmal dich ſahe, Als ich dich ſah, und du mich nicht kannteſt. Wenn einſt ich todt bin, Freund, ſo beſinge mich! Dein Lied voll Thraͤnen wird den entfliehenden Dir treuen Geiſt noch um dein Auge, Das mich beweint, zu verweilen zwingen. Dann ſoll mein Schutzgeiſt, ſchweigend und unbemerkt Dich dreymal ſegnen! dreymal dein ſinkend Haupt Umfliegen, und nach mir beym Abſchied Dreymal noch ſeyn, und dein Schutzgeiſt werden. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_oden_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_oden_1771/71
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Oden. Hamburg, 1771, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_oden_1771/71>, abgerufen am 22.12.2024.