Klostermann, Rudolf: Das geistige Eigenthum an Schriften, Kunstwerken und Erfindungen. Bd. 2. Berlin, 1869.Anwendung wissenschaftlicher Prinzipien. bereits bekannten Prozesses, bereichert aber die Gesellschaftdurch einen Gewerbszweig, welchen sie früher nicht besass und ist deshalb patentfähig; und derjenige, welcher aus einer frü- heren Entdeckung neue practische Anwendungen zieht, die vor ihm nicht gemacht waren und welche der Gesammtheit als ein neuer Besitz zugewendet werden können, ist wirklich Erfinder und hat Anspruch auf die Vortheile, welche das Gesetz den- jenigen zusichert, die durch ihren Geist und durch ihre Arbeit das Gebiet der Gewerbthätigkeit erweitern." Die practische Anwendung der oben entwickelten Regeln Auf der andern Seite können aus der unendlichen Man- 1) Vergl. Renouard, Traite des brevets d'invention p. 239: "Re-
clamer du legislateur des regles precises et ccmpletes sur la nou- veaute des inventions, ce serait exiger, qu'il classat a l'avance l'infinie variete des faits individuels: on ne plante pas des bornes sur l'Ocean." Anwendung wissenschaftlicher Prinzipien. bereits bekannten Prozesses, bereichert aber die Gesellschaftdurch einen Gewerbszweig, welchen sie früher nicht besass und ist deshalb patentfähig; und derjenige, welcher aus einer frü- heren Entdeckung neue practische Anwendungen zieht, die vor ihm nicht gemacht waren und welche der Gesammtheit als ein neuer Besitz zugewendet werden können, ist wirklich Erfinder und hat Anspruch auf die Vortheile, welche das Gesetz den- jenigen zusichert, die durch ihren Geist und durch ihre Arbeit das Gebiet der Gewerbthätigkeit erweitern.« Die practische Anwendung der oben entwickelten Regeln Auf der andern Seite können aus der unendlichen Man- 1) Vergl. Renouard, Traité des brevets d’invention p. 239: »Ré-
clamer du législateur des règles précises et ccmplètes sur la nou- veauté des inventions, ce serait exiger, qu’il classât à l’avance l’infinie variété des faits individuels: on ne plante pas des bornes sur l’Océan.« <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0066" n="39"/><fw place="top" type="header">Anwendung wissenschaftlicher Prinzipien.</fw><lb/> bereits bekannten Prozesses, bereichert aber die Gesellschaft<lb/> durch einen Gewerbszweig, welchen sie früher nicht besass und<lb/> ist deshalb patentfähig; und derjenige, welcher aus einer frü-<lb/> heren Entdeckung neue practische Anwendungen zieht, die vor<lb/> ihm nicht gemacht waren und welche der Gesammtheit als ein<lb/> neuer Besitz zugewendet werden können, ist wirklich Erfinder<lb/> und hat Anspruch auf die Vortheile, welche das Gesetz den-<lb/> jenigen zusichert, die durch ihren Geist und durch ihre Arbeit<lb/> das Gebiet der Gewerbthätigkeit erweitern.«</p><lb/> <p>Die practische Anwendung der oben entwickelten Regeln<lb/> über die Neuheit der Erfindung hängt von einer richtigen Wür-<lb/> digung der thatsächlichen Verhältnisse ab. Es ist unmöglich,<lb/> äussere Merkmale für das Requisit der Neuheit aufzustellen<note place="foot" n="1)">Vergl. Renouard, Traité des brevets d’invention p. 239: »Ré-<lb/> clamer du législateur des règles précises et ccmplètes sur la nou-<lb/> veauté des inventions, ce serait exiger, qu’il classât à l’avance l’infinie<lb/> variété des faits individuels: on ne plante pas des bornes sur l’Océan.«</note>,<lb/> da in der That Erfindungen von der grössten Tragweite häufig<lb/> durch sehr unscheinbare Veränderungen der früher angewen-<lb/> deten Vorrichtungen und Regeln zu Stande kommen.</p><lb/> <p>Auf der andern Seite können aus der unendlichen Man-<lb/> nichfaltigkeit der möglichen Abänderungen, deren der Gewer-<lb/> bebetrieb fähig ist, nur diejenigen als neue Erfindungen auf den<lb/> Patentschutz Anspruch machen, welche sich nicht bloss durch<lb/> willkürliche Formen, sondern durch den materiellen Gebrauch<lb/> von den bisher bekannten Producten, Vorrichtungen und Ver-<lb/> fahrungsweisen unterscheiden. So ist z. B. die Zahl der Mi-<lb/> schungsverhältnisse, in welcher das Aluminium mit dem Kupfer<lb/> legirt werden kann, unendlich gross. Eine von diesen Mischun-<lb/> gen indess mit einem Aluminiumgehalte von 7½ Procent zeigt<lb/> besondere Eigenschaften, welche weder die beiden einfachen Me-<lb/> talle noch die übrigen Legirungen besitzen, da sie federhart und<lb/> elastisch ist. Ebenso zeichnet sich unter der unendlichen Zahl<lb/> der Silberlegirungen die in der französischen Münze angewen-<lb/> dete von 88,3 Prozent Silbergehalt vor allen übrigen Legirun-<lb/> gen durch ihre grosse Härte und ihre geringe Abnutzung aus.<lb/> Die Entdeckung einer solchen Mischung, sofern sie früher nicht<lb/> bekannt oder gebraucht war, hat als eine neue Erfindung An-<lb/> spruch auf den Patentschutz. Dagegen würde es durchaus un-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [39/0066]
Anwendung wissenschaftlicher Prinzipien.
bereits bekannten Prozesses, bereichert aber die Gesellschaft
durch einen Gewerbszweig, welchen sie früher nicht besass und
ist deshalb patentfähig; und derjenige, welcher aus einer frü-
heren Entdeckung neue practische Anwendungen zieht, die vor
ihm nicht gemacht waren und welche der Gesammtheit als ein
neuer Besitz zugewendet werden können, ist wirklich Erfinder
und hat Anspruch auf die Vortheile, welche das Gesetz den-
jenigen zusichert, die durch ihren Geist und durch ihre Arbeit
das Gebiet der Gewerbthätigkeit erweitern.«
Die practische Anwendung der oben entwickelten Regeln
über die Neuheit der Erfindung hängt von einer richtigen Wür-
digung der thatsächlichen Verhältnisse ab. Es ist unmöglich,
äussere Merkmale für das Requisit der Neuheit aufzustellen 1),
da in der That Erfindungen von der grössten Tragweite häufig
durch sehr unscheinbare Veränderungen der früher angewen-
deten Vorrichtungen und Regeln zu Stande kommen.
Auf der andern Seite können aus der unendlichen Man-
nichfaltigkeit der möglichen Abänderungen, deren der Gewer-
bebetrieb fähig ist, nur diejenigen als neue Erfindungen auf den
Patentschutz Anspruch machen, welche sich nicht bloss durch
willkürliche Formen, sondern durch den materiellen Gebrauch
von den bisher bekannten Producten, Vorrichtungen und Ver-
fahrungsweisen unterscheiden. So ist z. B. die Zahl der Mi-
schungsverhältnisse, in welcher das Aluminium mit dem Kupfer
legirt werden kann, unendlich gross. Eine von diesen Mischun-
gen indess mit einem Aluminiumgehalte von 7½ Procent zeigt
besondere Eigenschaften, welche weder die beiden einfachen Me-
talle noch die übrigen Legirungen besitzen, da sie federhart und
elastisch ist. Ebenso zeichnet sich unter der unendlichen Zahl
der Silberlegirungen die in der französischen Münze angewen-
dete von 88,3 Prozent Silbergehalt vor allen übrigen Legirun-
gen durch ihre grosse Härte und ihre geringe Abnutzung aus.
Die Entdeckung einer solchen Mischung, sofern sie früher nicht
bekannt oder gebraucht war, hat als eine neue Erfindung An-
spruch auf den Patentschutz. Dagegen würde es durchaus un-
1) Vergl. Renouard, Traité des brevets d’invention p. 239: »Ré-
clamer du législateur des règles précises et ccmplètes sur la nou-
veauté des inventions, ce serait exiger, qu’il classât à l’avance l’infinie
variété des faits individuels: on ne plante pas des bornes sur l’Océan.«
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