Klüber, Johann Ludwig: Europäisches Völkerrecht. Bd. 2. Stuttgart, 1821.I. Cap. Recht des Kriegs. rechten Anwachsens der Macht eines andern Staa-tes (§. 41), Austreten aus dem so genannten po- litischen Gleichgewicht (§. 6 u. 42), sittliche oder religiöse Rohheit des andern Volkes e), wahre oder vermeinte Unsittlichkeit desselben. a) In concreto ist oft schwer, ein richtiges Urtheil zu fällen über die Rechtmäsigkeit eines Kriegs. "Justum est bellum quibus necessarium, et pia arma quibus nulla nisi in armis relinquitur spes". Livius. -- In verschiedener Beziehung, kann derselbe sogar auf beiden Seiten gerecht seyn. Auch behauptet in der Regel jeder Theil, das Recht auf seiner Seite zu haben, und selbst der ungerechte Feind kann in bona fide seyn. Die Rechtsvermuthung streitet, wie über- haupt für das Rechtverhalten, also auch für die Rechtmäsig- keit des Kriegs. Vergl. Grotius, lib. II. c. 23. §. 13. Alber. Gentilis de jure belli, lib. I. c. 6. Vattel, liv. III, ch. 12, §. 188 -- 192. Burlamaqui principes du droit politique, P. IV, ch. 2, p. 296 et suiv. Im Zweifel muss daher, so lang der Krieg dauert, die Rechtmäsigkeit desselben als zweifelhaft angesehen, mithin angenommen werden, dass keine der krieg- führenden Mächte ein entschiedenes Recht für sich habe. -- Vattel (liv. III, ch. 13, §. 195) behauptet, dass nach den Be- stimmungen des so genannten freiwilligen Völkerrechtes (oben §. 1, Note c), jeder förmliche (d. h. ausdrücklich angekün- digte) Krieg, so viel dessen Wirkungen betrifft, als von bei- den Seiten gerecht zu betrachten, und dass Niemand berech- tigt sey, eine Nation wegen des Uebermaases ihrer Ansprü- che, oder wegen desjenigen zu richten, was sie zu ihrer Sicherheit für nöthig erachtet. Inzwischen giebt derselbe Schriftsteller zu, dass es Kriege geben könne, die nicht nur ungerecht seyen, sondern denen es sogar an Vorwand fehle. b) Guil. Schooten diss. de jure hostem imminentem praevenien- di; in s. Speciminibus jurid. (Lugd. Bat.), num. I. c) Vattel, liv. 3, ch. 3. Schriften in v. Ompteda's Lit. II. 626, u. in v. Kamptz neuer Lit., §. 274. d) Immer müssen die Rechtfertigungsgründe des Kriegs un- terschieden werden von den blossen Beweggründen (causae I. Cap. Recht des Kriegs. rechten Anwachsens der Macht eines andern Staa-tes (§. 41), Austreten aus dem so genannten po- litischen Gleichgewicht (§. 6 u. 42), sittliche oder religiöse Rohheit des andern Volkes e), wahre oder vermeinte Unsittlichkeit desselben. a) In concreto ist oft schwer, ein richtiges Urtheil zu fällen über die Rechtmäsigkeit eines Kriegs. „Justum est bellum quibus necessarium, et pia arma quibus nulla nisi in armis relinquitur spes“. Livius. — In verschiedener Beziehung, kann derselbe sogar auf beiden Seiten gerecht seyn. Auch behauptet in der Regel jeder Theil, das Recht auf seiner Seite zu haben, und selbst der ungerechte Feind kann in bona fide seyn. Die Rechtsvermuthung streitet, wie über- haupt für das Rechtverhalten, also auch für die Rechtmäsig- keit des Kriegs. Vergl. Grotius, lib. II. c. 23. §. 13. Alber. Gentilis de jure belli, lib. I. c. 6. Vattel, liv. III, ch. 12, §. 188 — 192. Burlamaqui principes du droit politique, P. IV, ch. 2, p. 296 et suiv. Im Zweifel muſs daher, so lang der Krieg dauert, die Rechtmäsigkeit desselben als zweifelhaft angesehen, mithin angenommen werden, daſs keine der krieg- führenden Mächte ein entschiedenes Recht für sich habe. — Vattel (liv. III, ch. 13, §. 195) behauptet, daſs nach den Be- stimmungen des so genannten freiwilligen Völkerrechtes (oben §. 1, Note c), jeder förmliche (d. h. ausdrücklich angekün- digte) Krieg, so viel dessen Wirkungen betrifft, als von bei- den Seiten gerecht zu betrachten, und daſs Niemand berech- tigt sey, eine Nation wegen des Uebermaases ihrer Ansprü- che, oder wegen desjenigen zu richten, was sie zu ihrer Sicherheit für nöthig erachtet. Inzwischen giebt derselbe Schriftsteller zu, daſs es Kriege geben könne, die nicht nur ungerecht seyen, sondern denen es sogar an Vorwand fehle. b) Guil. Schooten diss. de jure hostem imminentem praevenien- di; in s. Speciminibus jurid. (Lugd. Bat.), num. I. c) Vattel, liv. 3, ch. 3. Schriften in v. Ompteda’s Lit. II. 626, u. in v. Kamptz neuer Lit., §. 274. d) Immer müssen die Rechtfertigungsgründe des Kriegs un- terschieden werden von den blossen Beweggründen (causae <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0019" n="387"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#i">I. Cap. 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I. Cap. Recht des Kriegs.
rechten Anwachsens der Macht eines andern Staa-
tes (§. 41), Austreten aus dem so genannten po-
litischen Gleichgewicht (§. 6 u. 42), sittliche
oder religiöse Rohheit des andern Volkes e),
wahre oder vermeinte Unsittlichkeit desselben.
a⁾ In concreto ist oft schwer, ein richtiges Urtheil zu fällen
über die Rechtmäsigkeit eines Kriegs. „Justum est bellum
quibus necessarium, et pia arma quibus nulla nisi in armis
relinquitur spes“. Livius. — In verschiedener Beziehung,
kann derselbe sogar auf beiden Seiten gerecht seyn. Auch
behauptet in der Regel jeder Theil, das Recht auf seiner
Seite zu haben, und selbst der ungerechte Feind kann in
bona fide seyn. Die Rechtsvermuthung streitet, wie über-
haupt für das Rechtverhalten, also auch für die Rechtmäsig-
keit des Kriegs. Vergl. Grotius, lib. II. c. 23. §. 13. Alber.
Gentilis de jure belli, lib. I. c. 6. Vattel, liv. III, ch. 12,
§. 188 — 192. Burlamaqui principes du droit politique, P. IV,
ch. 2, p. 296 et suiv. Im Zweifel muſs daher, so lang der
Krieg dauert, die Rechtmäsigkeit desselben als zweifelhaft
angesehen, mithin angenommen werden, daſs keine der krieg-
führenden Mächte ein entschiedenes Recht für sich habe. —
Vattel (liv. III, ch. 13, §. 195) behauptet, daſs nach den Be-
stimmungen des so genannten freiwilligen Völkerrechtes (oben
§. 1, Note c), jeder förmliche (d. h. ausdrücklich angekün-
digte) Krieg, so viel dessen Wirkungen betrifft, als von bei-
den Seiten gerecht zu betrachten, und daſs Niemand berech-
tigt sey, eine Nation wegen des Uebermaases ihrer Ansprü-
che, oder wegen desjenigen zu richten, was sie zu ihrer
Sicherheit für nöthig erachtet. Inzwischen giebt derselbe
Schriftsteller zu, daſs es Kriege geben könne, die nicht
nur ungerecht seyen, sondern denen es sogar an Vorwand
fehle.
b⁾ Guil. Schooten diss. de jure hostem imminentem praevenien-
di; in s. Speciminibus jurid. (Lugd. Bat.), num. I.
c⁾ Vattel, liv. 3, ch. 3. Schriften in v. Ompteda’s Lit. II. 626,
u. in v. Kamptz neuer Lit., §. 274.
d⁾ Immer müssen die Rechtfertigungsgründe des Kriegs un-
terschieden werden von den blossen Beweggründen (causae
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