Erzählungen von den Freuden unsrer schönsten Jahre nur aus Gefälligkeit ohne Jähnen an. Gleiche Erfahrungen geben reichhaltigern Stoff zur Unterhaltung, als wenn das, was ein Mensch erlebt hat, dem andern ganz fremd ist -- Das alles leidet keinen Widerspruch; Doch rückt Verschiedenheit der Temperamente, der Erzie¬ hung, der Lebensart und der Erfahrungen diese Grenzlinien oft vor und zurück. Viel Menschen bleiben in gewissem Betrachte ewig Kinder, in¬ deß Andre vor der Zeit Greise werden. Der an Leib und Seele abgenutzte Jüngling, der alle Welt-Lüste bis zum Eckel geschmeckt hat, findet freylich wenig Genuß im Cirkel junger unschul¬ diger Landleute, die noch Sinn für einfache Freuden haben, und der alte Biedermann, der nicht weiter als höchstens in einem Umkreise von fünf Meilen sich von seiner Heimath entfernt hat, ist unter einem Haufen erfahrner und belebter Resi¬ denz-Bewohner, mit ihm von gleichem Alter, eben so wenig an seinem Platze, als ein betagter Ca¬ puziner in einer Gesellschaft von alten Gelehrten. Dagegen aber binden auch manche Neigungen, zum Beyspiel die noblen Passionen der Jagd, des Spiels und des Trunks vielfältig Greise,
Jüng
Erzaͤhlungen von den Freuden unſrer ſchoͤnſten Jahre nur aus Gefaͤlligkeit ohne Jaͤhnen an. Gleiche Erfahrungen geben reichhaltigern Stoff zur Unterhaltung, als wenn das, was ein Menſch erlebt hat, dem andern ganz fremd iſt — Das alles leidet keinen Widerſpruch; Doch ruͤckt Verſchiedenheit der Temperamente, der Erzie¬ hung, der Lebensart und der Erfahrungen dieſe Grenzlinien oft vor und zuruͤck. Viel Menſchen bleiben in gewiſſem Betrachte ewig Kinder, in¬ deß Andre vor der Zeit Greiſe werden. Der an Leib und Seele abgenutzte Juͤngling, der alle Welt-Luͤſte bis zum Eckel geſchmeckt hat, findet freylich wenig Genuß im Cirkel junger unſchul¬ diger Landleute, die noch Sinn fuͤr einfache Freuden haben, und der alte Biedermann, der nicht weiter als hoͤchſtens in einem Umkreiſe von fuͤnf Meilen ſich von ſeiner Heimath entfernt hat, iſt unter einem Haufen erfahrner und belebter Reſi¬ denz-Bewohner, mit ihm von gleichem Alter, eben ſo wenig an ſeinem Platze, als ein betagter Ca¬ puziner in einer Geſellſchaft von alten Gelehrten. Dagegen aber binden auch manche Neigungen, zum Beyſpiel die noblen Paſſionen der Jagd, des Spiels und des Trunks vielfaͤltig Greiſe,
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Erzaͤhlungen von den Freuden unſrer ſchoͤnſten
Jahre nur aus Gefaͤlligkeit ohne Jaͤhnen an.
Gleiche Erfahrungen geben reichhaltigern Stoff
zur Unterhaltung, als wenn das, was ein Menſch
erlebt hat, dem andern ganz fremd iſt — Das
alles leidet keinen Widerſpruch; Doch ruͤckt
Verſchiedenheit der Temperamente, der Erzie¬
hung, der Lebensart und der Erfahrungen dieſe
Grenzlinien oft vor und zuruͤck. Viel Menſchen
bleiben in gewiſſem Betrachte ewig Kinder, in¬
deß Andre vor der Zeit Greiſe werden. Der
an Leib und Seele abgenutzte Juͤngling, der alle
Welt-Luͤſte bis zum Eckel geſchmeckt hat, findet
freylich wenig Genuß im Cirkel junger unſchul¬
diger Landleute, die noch Sinn fuͤr einfache
Freuden haben, und der alte Biedermann, der
nicht weiter als hoͤchſtens in einem Umkreiſe von
fuͤnf Meilen ſich von ſeiner Heimath entfernt hat,
iſt unter einem Haufen erfahrner und belebter Reſi¬
denz-Bewohner, mit ihm von gleichem Alter, eben
ſo wenig an ſeinem Platze, als ein betagter Ca¬
puziner in einer Geſellſchaft von alten Gelehrten.
Dagegen aber binden auch manche Neigungen,
zum Beyſpiel die noblen Paſſionen der Jagd,
des Spiels und des Trunks vielfaͤltig Greiſe,
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/118>, abgerufen am 23.11.2024.
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