Temperaments ist, wenn sie indeß sorglos die Erziehung ihrer Kinder vernachlässigt! Nein! wer Achtung und Zuneigung als Pflicht fordert, der muß Achtung und Zuneigung zu verdienen wissen, und wenn Du willst, daß Deine Frau Dich unter allen Menschen am mehrsten ehren und lieben soll; so verlasse Dich nicht darauf, daß sie Dir's am Altar versprochen hat -- wer kann so etwas versprechen? -- sondern darauf, daß Du alle Kräfte aufbiethest, besser zu seyn als Andre, aber besser in jedem Betrachte! Nur den Folgen nach lassen sich Tugenden und Laster classificieren, denn übrigens sind sie alle gleich wichtig, und ein sorgloser Hausvater ist eben so strafbar, als ein unkeusches Eheweib. Allein das ist die gewöhnliche Art zu handeln der Menschen! Sie eifern gegen Laster, zu wel¬ chen sie keinen Hang haben, und denken nicht, daß die Verabsäumung wichtiger Tugenden ein eben so schweres Verbrechen ist, als die Aus¬ übung einer bösen That. Ein altes Weib ver¬ folgt mit wüthendem Grimme ein armes junges Mädgen, das durch Temperament und Verfüh¬ rung zu einem Fehltritte ist verleitet worden; daß aber die gute Matrone ihre Kinder wie
das
Temperaments iſt, wenn ſie indeß ſorglos die Erziehung ihrer Kinder vernachlaͤſſigt! Nein! wer Achtung und Zuneigung als Pflicht fordert, der muß Achtung und Zuneigung zu verdienen wiſſen, und wenn Du willſt, daß Deine Frau Dich unter allen Menſchen am mehrſten ehren und lieben ſoll; ſo verlaſſe Dich nicht darauf, daß ſie Dir's am Altar verſprochen hat — wer kann ſo etwas verſprechen? — ſondern darauf, daß Du alle Kraͤfte aufbietheſt, beſſer zu ſeyn als Andre, aber beſſer in jedem Betrachte! Nur den Folgen nach laſſen ſich Tugenden und Laſter claſſificieren, denn uͤbrigens ſind ſie alle gleich wichtig, und ein ſorgloſer Hausvater iſt eben ſo ſtrafbar, als ein unkeuſches Eheweib. Allein das iſt die gewoͤhnliche Art zu handeln der Menſchen! Sie eifern gegen Laſter, zu wel¬ chen ſie keinen Hang haben, und denken nicht, daß die Verabſaͤumung wichtiger Tugenden ein eben ſo ſchweres Verbrechen iſt, als die Aus¬ uͤbung einer boͤſen That. Ein altes Weib ver¬ folgt mit wuͤthendem Grimme ein armes junges Maͤdgen, das durch Temperament und Verfuͤh¬ rung zu einem Fehltritte iſt verleitet worden; daß aber die gute Matrone ihre Kinder wie
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Temperaments iſt, wenn ſie indeß ſorglos die
Erziehung ihrer Kinder vernachlaͤſſigt! Nein!
wer Achtung und Zuneigung als Pflicht fordert,
der muß Achtung und Zuneigung zu verdienen
wiſſen, und wenn Du willſt, daß Deine Frau
Dich unter allen Menſchen am mehrſten ehren
und lieben ſoll; ſo verlaſſe Dich nicht darauf,
daß ſie Dir's am Altar verſprochen hat — wer
kann ſo etwas verſprechen? — ſondern darauf,
daß Du alle Kraͤfte aufbietheſt, beſſer zu ſeyn
als Andre, aber beſſer in jedem Betrachte!
Nur den Folgen nach laſſen ſich Tugenden und
Laſter claſſificieren, denn uͤbrigens ſind ſie alle
gleich wichtig, und ein ſorgloſer Hausvater iſt
eben ſo ſtrafbar, als ein unkeuſches Eheweib.
Allein das iſt die gewoͤhnliche Art zu handeln
der Menſchen! Sie eifern gegen Laſter, zu wel¬
chen ſie keinen Hang haben, und denken nicht,
daß die Verabſaͤumung wichtiger Tugenden ein
eben ſo ſchweres Verbrechen iſt, als die Aus¬
uͤbung einer boͤſen That. Ein altes Weib ver¬
folgt mit wuͤthendem Grimme ein armes junges
Maͤdgen, das durch Temperament und Verfuͤh¬
rung zu einem Fehltritte iſt verleitet worden;
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/154>, abgerufen am 28.11.2024.
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