Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

Wollust, dem Trunke, dem vermaledeyeten
Spiele alles aufopfert; wessen Abgott falsche
Ehre, Gold, oder sein eigenes Ich ist; wer,
wankelmüthig in Grundsätzen und Meynun¬
gen, einen Character hat, der sich, wie Wachs,
von Jedem in jede Form drücken lässt; der mag
vielleicht ein guter Gesellschafter, aber nie wird
er ein beständiger, treuer Freund seyn. So¬
bald es auf Verleugnung, Aufopferung, auf Be¬
harrlichkeit und Festigkeit ankömmt, wird ein
Solcher Dich im Stiche lassen; Du wirst al¬
lein da stehn, und Dich hintergangen glauben,
da doch Du allein Dich betrogen, indem Du
unvorsichtig gewählt hast. Ueberhaupt ist es
in dieser Welt so oft der Fall, daß unsre Phan¬
tasie uns die Menschen malt, wie wir gern mög¬
ten, daß sie aussehn sollten, und es nachher
sehr übel nimmt, wenn sie wird, daß die
Natur nicht das Original dem Gemählde gleich
geschaffen hat.

4.

Ist es aber würklich so schwer, in dieser
Welt treue Freunde zu finden? Ich meine,
nicht halb so schwer, als man gewöhnlich glaubt.

Unsre

Wolluſt, dem Trunke, dem vermaledeyeten
Spiele alles aufopfert; weſſen Abgott falſche
Ehre, Gold, oder ſein eigenes Ich iſt; wer,
wankelmuͤthig in Grundſaͤtzen und Meynun¬
gen, einen Character hat, der ſich, wie Wachs,
von Jedem in jede Form druͤcken laͤſſt; der mag
vielleicht ein guter Geſellſchafter, aber nie wird
er ein beſtaͤndiger, treuer Freund ſeyn. So¬
bald es auf Verleugnung, Aufopferung, auf Be¬
harrlichkeit und Feſtigkeit ankoͤmmt, wird ein
Solcher Dich im Stiche laſſen; Du wirſt al¬
lein da ſtehn, und Dich hintergangen glauben,
da doch Du allein Dich betrogen, indem Du
unvorſichtig gewaͤhlt haſt. Ueberhaupt iſt es
in dieſer Welt ſo oft der Fall, daß unſre Phan¬
taſie uns die Menſchen malt, wie wir gern moͤg¬
ten, daß ſie ausſehn ſollten, und es nachher
ſehr uͤbel nimmt, wenn ſie wird, daß die
Natur nicht das Original dem Gemaͤhlde gleich
geſchaffen hat.

4.

Iſt es aber wuͤrklich ſo ſchwer, in dieſer
Welt treue Freunde zu finden? Ich meine,
nicht halb ſo ſchwer, als man gewoͤhnlich glaubt.

Unſre
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0265" n="235"/>
Wollu&#x017F;t, dem Trunke, dem vermaledeyeten<lb/>
Spiele alles aufopfert; we&#x017F;&#x017F;en Abgott fal&#x017F;che<lb/>
Ehre, Gold, oder &#x017F;ein eigenes Ich i&#x017F;t; wer,<lb/>
wankelmu&#x0364;thig in Grund&#x017F;a&#x0364;tzen und Meynun¬<lb/>
gen, einen Character hat, der &#x017F;ich, wie Wachs,<lb/>
von Jedem in jede Form dru&#x0364;cken la&#x0364;&#x017F;&#x017F;t; der mag<lb/>
vielleicht ein guter Ge&#x017F;ell&#x017F;chafter, aber nie wird<lb/>
er ein be&#x017F;ta&#x0364;ndiger, treuer Freund &#x017F;eyn. So¬<lb/>
bald es auf Verleugnung, Aufopferung, auf Be¬<lb/>
harrlichkeit und Fe&#x017F;tigkeit anko&#x0364;mmt, wird ein<lb/>
Solcher Dich im Stiche la&#x017F;&#x017F;en; Du wir&#x017F;t al¬<lb/>
lein da &#x017F;tehn, und Dich hintergangen glauben,<lb/>
da doch Du allein Dich betrogen, indem Du<lb/>
unvor&#x017F;ichtig gewa&#x0364;hlt ha&#x017F;t. Ueberhaupt i&#x017F;t es<lb/>
in die&#x017F;er Welt &#x017F;o oft der Fall, daß un&#x017F;re Phan¬<lb/>
ta&#x017F;ie uns die Men&#x017F;chen malt, wie wir gern mo&#x0364;<lb/>
ten, daß &#x017F;ie aus&#x017F;ehn &#x017F;ollten, und es nachher<lb/>
&#x017F;ehr u&#x0364;bel nimmt, wenn &#x017F;ie wird, daß die<lb/>
Natur nicht das Original dem Gema&#x0364;hlde gleich<lb/>
ge&#x017F;chaffen hat.</p><lb/>
          </div>
          <div n="3">
            <head>4.<lb/></head>
            <p>I&#x017F;t es aber wu&#x0364;rklich &#x017F;o &#x017F;chwer, in die&#x017F;er<lb/>
Welt treue Freunde zu finden? Ich meine,<lb/>
nicht halb &#x017F;o &#x017F;chwer, als man gewo&#x0364;hnlich glaubt.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Un&#x017F;re<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[235/0265] Wolluſt, dem Trunke, dem vermaledeyeten Spiele alles aufopfert; weſſen Abgott falſche Ehre, Gold, oder ſein eigenes Ich iſt; wer, wankelmuͤthig in Grundſaͤtzen und Meynun¬ gen, einen Character hat, der ſich, wie Wachs, von Jedem in jede Form druͤcken laͤſſt; der mag vielleicht ein guter Geſellſchafter, aber nie wird er ein beſtaͤndiger, treuer Freund ſeyn. So¬ bald es auf Verleugnung, Aufopferung, auf Be¬ harrlichkeit und Feſtigkeit ankoͤmmt, wird ein Solcher Dich im Stiche laſſen; Du wirſt al¬ lein da ſtehn, und Dich hintergangen glauben, da doch Du allein Dich betrogen, indem Du unvorſichtig gewaͤhlt haſt. Ueberhaupt iſt es in dieſer Welt ſo oft der Fall, daß unſre Phan¬ taſie uns die Menſchen malt, wie wir gern moͤg¬ ten, daß ſie ausſehn ſollten, und es nachher ſehr uͤbel nimmt, wenn ſie wird, daß die Natur nicht das Original dem Gemaͤhlde gleich geſchaffen hat. 4. Iſt es aber wuͤrklich ſo ſchwer, in dieſer Welt treue Freunde zu finden? Ich meine, nicht halb ſo ſchwer, als man gewoͤhnlich glaubt. Unſre

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/265
Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/265>, abgerufen am 24.11.2024.