sittlichen Verderbnissen, die mit der Corrup¬ tion in den größten Städten wetteifern, noch obendrein alle Gebrechen kleiner Städte, Klat¬ schereyen, Anhänglichkeit an Schlendrian, an Gewohnheiten und Familien-Verbindungen, die abgeschmacktesten Forderungen und die lä¬ cherlichste Classificierung der Stände. So habe ich eine Stadt gesehn, in welcher ein Mann durch seine kürzlich erhaltene Bedienung, die ehemals dort nicht existirt hatte, so sehr von al¬ len übrigen einmal bestimmten Rang-Ordnun¬ gen abgesondert war, daß er wie ein Elephant in einer Menagerie, immer für sich allein spa¬ zieren gehn musste, ohne seines Gleichen, we¬ der einen Gesellschafter, noch eine Gefährtinn finden zu können. Vielleicht bin ich partheyisch für meine liebe Vaterstadt, aber ich glaube, (und auch andre einsichtsvollere Männer lassen ihr diese Gerechtigkeit wiederfahren) daß, ob¬ gleich Hannover nicht zu den größten Städten in Teutschland gehört, man dennoch hier so frey und ohnbemerkt leben könne, als irgendwo. Vermuthlich hat unsre Verbindung mit Eng¬ land, wo manche Vorurtheile von der Art ver¬ achtet werden, hierzu viel beygetragen. Da
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ſittlichen Verderbniſſen, die mit der Corrup¬ tion in den groͤßten Staͤdten wetteifern, noch obendrein alle Gebrechen kleiner Staͤdte, Klat¬ ſchereyen, Anhaͤnglichkeit an Schlendrian, an Gewohnheiten und Familien-Verbindungen, die abgeſchmackteſten Forderungen und die laͤ¬ cherlichſte Claſſificierung der Staͤnde. So habe ich eine Stadt geſehn, in welcher ein Mann durch ſeine kuͤrzlich erhaltene Bedienung, die ehemals dort nicht exiſtirt hatte, ſo ſehr von al¬ len uͤbrigen einmal beſtimmten Rang-Ordnun¬ gen abgeſondert war, daß er wie ein Elephant in einer Menagerie, immer fuͤr ſich allein ſpa¬ zieren gehn muſſte, ohne ſeines Gleichen, we¬ der einen Geſellſchafter, noch eine Gefaͤhrtinn finden zu koͤnnen. Vielleicht bin ich partheyiſch fuͤr meine liebe Vaterſtadt, aber ich glaube, (und auch andre einſichtsvollere Maͤnner laſſen ihr dieſe Gerechtigkeit wiederfahren) daß, ob¬ gleich Hannover nicht zu den groͤßten Staͤdten in Teutſchland gehoͤrt, man dennoch hier ſo frey und ohnbemerkt leben koͤnne, als irgendwo. Vermuthlich hat unſre Verbindung mit Eng¬ land, wo manche Vorurtheile von der Art ver¬ achtet werden, hierzu viel beygetragen. Da
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ſittlichen Verderbniſſen, die mit der Corrup¬
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obendrein alle Gebrechen kleiner Staͤdte, Klat¬
ſchereyen, Anhaͤnglichkeit an Schlendrian, an
Gewohnheiten und Familien-Verbindungen,
die abgeſchmackteſten Forderungen und die laͤ¬
cherlichſte Claſſificierung der Staͤnde. So habe
ich eine Stadt geſehn, in welcher ein Mann
durch ſeine kuͤrzlich erhaltene Bedienung, die
ehemals dort nicht exiſtirt hatte, ſo ſehr von al¬
len uͤbrigen einmal beſtimmten Rang-Ordnun¬
gen abgeſondert war, daß er wie ein Elephant
in einer Menagerie, immer fuͤr ſich allein ſpa¬
zieren gehn muſſte, ohne ſeines Gleichen, we¬
der einen Geſellſchafter, noch eine Gefaͤhrtinn
finden zu koͤnnen. Vielleicht bin ich partheyiſch
fuͤr meine liebe Vaterſtadt, aber ich glaube,
(und auch andre einſichtsvollere Maͤnner laſſen
ihr dieſe Gerechtigkeit wiederfahren) daß, ob¬
gleich Hannover nicht zu den groͤßten Staͤdten
in Teutſchland gehoͤrt, man dennoch hier ſo
frey und ohnbemerkt leben koͤnne, als irgendwo.
Vermuthlich hat unſre Verbindung mit Eng¬
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/83>, abgerufen am 21.11.2024.
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