Unter den heutigen so genannten Gelehrten muß man billiger Weise einigen unsrer Journa¬ listen und Anecdoten-Sammler einen ansehnlichen Rang einräumen. Mit diesen Leuten aber ist eine ganz besondre Vorsicht im Umgange nöthig. Sie stehen gemeiniglich, bey geringem Vorrathe an eigener Gelehrsamkeit, im Solde irgend ei¬ ner herrschsüchtigen Parthey, oder eines Anfüh¬ rers derselben, sey es nun von Naturalisten, Ortodoxen, Deisten, Schwärmern, Weltbür¬ gern, Mystikern, oder wovon es immer sey. Dann ziehen sie durch's Land, um Märchen zu sammlen, die sie nach Gelegenheit Documente nennen, oder mit dem Schwerdte der Verleum¬ dung Jeden zu verfolgen, der nicht zu ihrer Fahne schwören will, Jedem das Maul zu stop¬ fen, der es wagt, an ihrer Ohnfehlbarkeit zu zweifeln. Ein einziges Wörtgen, das nicht in ihr System passt, und das sie irgendwo auffan¬ gen, giebt ihnen Stoff zu Verketzerungen, zu unwürdigen Neckereyen, zu Verfolgungen der besten, sorglosesten, planlosesten Menschen. Sey behutsam im Reden, wenn ein Solcher Dich freundlich besucht und erwarte, daß er nach¬
her
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Unter den heutigen ſo genannten Gelehrten muß man billiger Weiſe einigen unſrer Journa¬ liſten und Anecdoten-Sammler einen anſehnlichen Rang einraͤumen. Mit dieſen Leuten aber iſt eine ganz beſondre Vorſicht im Umgange noͤthig. Sie ſtehen gemeiniglich, bey geringem Vorrathe an eigener Gelehrſamkeit, im Solde irgend ei¬ ner herrſchſuͤchtigen Parthey, oder eines Anfuͤh¬ rers derſelben, ſey es nun von Naturaliſten, Ortodoxen, Deiſten, Schwaͤrmern, Weltbuͤr¬ gern, Myſtikern, oder wovon es immer ſey. Dann ziehen ſie durch's Land, um Maͤrchen zu ſammlen, die ſie nach Gelegenheit Documente nennen, oder mit dem Schwerdte der Verleum¬ dung Jeden zu verfolgen, der nicht zu ihrer Fahne ſchwoͤren will, Jedem das Maul zu ſtop¬ fen, der es wagt, an ihrer Ohnfehlbarkeit zu zweifeln. Ein einziges Woͤrtgen, das nicht in ihr Syſtem paſſt, und das ſie irgendwo auffan¬ gen, giebt ihnen Stoff zu Verketzerungen, zu unwuͤrdigen Neckereyen, zu Verfolgungen der beſten, ſorgloſeſten, planloſeſten Menſchen. Sey behutſam im Reden, wenn ein Solcher Dich freundlich beſucht und erwarte, daß er nach¬
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Unter den heutigen ſo genannten Gelehrten
muß man billiger Weiſe einigen unſrer Journa¬
liſten und Anecdoten-Sammler einen anſehnlichen
Rang einraͤumen. Mit dieſen Leuten aber iſt
eine ganz beſondre Vorſicht im Umgange noͤthig.
Sie ſtehen gemeiniglich, bey geringem Vorrathe
an eigener Gelehrſamkeit, im Solde irgend ei¬
ner herrſchſuͤchtigen Parthey, oder eines Anfuͤh¬
rers derſelben, ſey es nun von Naturaliſten,
Ortodoxen, Deiſten, Schwaͤrmern, Weltbuͤr¬
gern, Myſtikern, oder wovon es immer ſey.
Dann ziehen ſie durch's Land, um Maͤrchen zu
ſammlen, die ſie nach Gelegenheit Documente
nennen, oder mit dem Schwerdte der Verleum¬
dung Jeden zu verfolgen, der nicht zu ihrer
Fahne ſchwoͤren will, Jedem das Maul zu ſtop¬
fen, der es wagt, an ihrer Ohnfehlbarkeit zu
zweifeln. Ein einziges Woͤrtgen, das nicht in
ihr Syſtem paſſt, und das ſie irgendwo auffan¬
gen, giebt ihnen Stoff zu Verketzerungen, zu
unwuͤrdigen Neckereyen, zu Verfolgungen der
beſten, ſorgloſeſten, planloſeſten Menſchen. Sey
behutſam im Reden, wenn ein Solcher Dich
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/101>, abgerufen am 21.11.2024.
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