Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

Tanz und Malerey würken freylich wohlthätig
auf das Herz. Sie machen es weich und em¬
pfänglich für manche edle Gefühle; sie erheben
und bereichern die Phantasie, schärfen den Witz,
erwecken Fröhlichkeit und Laune, mildern die
Sitten, und befördern die geselligen Tugenden.
Allein eben diese herrlichen Würkungen können,
wenn sie übertrieben werden, mannigfaltiges
Elend veranlassen. Ein zu weiches, weibisches,
von allen wahren und eingebildeten, eigenen und
fremden Leiden in Aufruhr zu bringendes Ge¬
müth ist wahrlich ein trauriges Geschenk; ein
Herz, das, empfänglich für jeden Eindruck, wie
ein Rohr von mannigfaltigen Leidenschaften hin
und her zu bewegen, jeden Augenblick von an¬
dern, sich durchkreuzenden Empfindungen hin¬
gerissen wird; ein Nerven-System, auf wel¬
chem jeder Betrüger, der nur den rechten Ton
zu treffen weiß, nach Gefallen spielen kann --
das alles wird uns sehr zur Last, da, wo es auf
Festigkeit, unerschütterlichen männlichen Muth,
auf Ausdauern und Beharrlichkeit ankömmt.
Eine zu warme, zu hochfliegende Phantasie, die
allen unsern geistigen Anstrengungen einen ro¬
manhaften Schwung giebt, und uns in eine

Ideen¬

Tanz und Malerey wuͤrken freylich wohlthaͤtig
auf das Herz. Sie machen es weich und em¬
pfaͤnglich fuͤr manche edle Gefuͤhle; ſie erheben
und bereichern die Phantaſie, ſchaͤrfen den Witz,
erwecken Froͤhlichkeit und Laune, mildern die
Sitten, und befoͤrdern die geſelligen Tugenden.
Allein eben dieſe herrlichen Wuͤrkungen koͤnnen,
wenn ſie uͤbertrieben werden, mannigfaltiges
Elend veranlaſſen. Ein zu weiches, weibiſches,
von allen wahren und eingebildeten, eigenen und
fremden Leiden in Aufruhr zu bringendes Ge¬
muͤth iſt wahrlich ein trauriges Geſchenk; ein
Herz, das, empfaͤnglich fuͤr jeden Eindruck, wie
ein Rohr von mannigfaltigen Leidenſchaften hin
und her zu bewegen, jeden Augenblick von an¬
dern, ſich durchkreuzenden Empfindungen hin¬
geriſſen wird; ein Nerven-Syſtem, auf wel¬
chem jeder Betruͤger, der nur den rechten Ton
zu treffen weiß, nach Gefallen ſpielen kann —
das alles wird uns ſehr zur Laſt, da, wo es auf
Feſtigkeit, unerſchuͤtterlichen maͤnnlichen Muth,
auf Ausdauern und Beharrlichkeit ankoͤmmt.
Eine zu warme, zu hochfliegende Phantaſie, die
allen unſern geiſtigen Anſtrengungen einen ro¬
manhaften Schwung giebt, und uns in eine

Ideen¬
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0110" n="88"/>
Tanz und Malerey wu&#x0364;rken freylich wohltha&#x0364;tig<lb/>
auf das Herz. Sie machen es weich und em¬<lb/>
pfa&#x0364;nglich fu&#x0364;r manche edle Gefu&#x0364;hle; &#x017F;ie erheben<lb/>
und bereichern die Phanta&#x017F;ie, &#x017F;cha&#x0364;rfen den Witz,<lb/>
erwecken Fro&#x0364;hlichkeit und Laune, mildern die<lb/>
Sitten, und befo&#x0364;rdern die ge&#x017F;elligen Tugenden.<lb/>
Allein eben die&#x017F;e herrlichen Wu&#x0364;rkungen ko&#x0364;nnen,<lb/>
wenn &#x017F;ie u&#x0364;bertrieben werden, mannigfaltiges<lb/>
Elend veranla&#x017F;&#x017F;en. Ein zu weiches, weibi&#x017F;ches,<lb/>
von allen wahren und eingebildeten, eigenen und<lb/>
fremden Leiden in Aufruhr zu bringendes Ge¬<lb/>
mu&#x0364;th i&#x017F;t wahrlich ein trauriges Ge&#x017F;chenk; ein<lb/>
Herz, das, empfa&#x0364;nglich fu&#x0364;r jeden Eindruck, wie<lb/>
ein Rohr von mannigfaltigen Leiden&#x017F;chaften hin<lb/>
und her zu bewegen, jeden Augenblick von an¬<lb/>
dern, &#x017F;ich durchkreuzenden Empfindungen hin¬<lb/>
geri&#x017F;&#x017F;en wird; ein Nerven-Sy&#x017F;tem, auf wel¬<lb/>
chem jeder Betru&#x0364;ger, der nur den rechten Ton<lb/>
zu treffen weiß, nach Gefallen &#x017F;pielen kann &#x2014;<lb/>
das alles wird uns &#x017F;ehr zur La&#x017F;t, da, wo es auf<lb/>
Fe&#x017F;tigkeit, uner&#x017F;chu&#x0364;tterlichen ma&#x0364;nnlichen Muth,<lb/>
auf Ausdauern und Beharrlichkeit anko&#x0364;mmt.<lb/>
Eine zu warme, zu hochfliegende Phanta&#x017F;ie, die<lb/>
allen un&#x017F;ern gei&#x017F;tigen An&#x017F;trengungen einen ro¬<lb/>
manhaften Schwung giebt, und uns in eine<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ideen¬<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0110] Tanz und Malerey wuͤrken freylich wohlthaͤtig auf das Herz. Sie machen es weich und em¬ pfaͤnglich fuͤr manche edle Gefuͤhle; ſie erheben und bereichern die Phantaſie, ſchaͤrfen den Witz, erwecken Froͤhlichkeit und Laune, mildern die Sitten, und befoͤrdern die geſelligen Tugenden. Allein eben dieſe herrlichen Wuͤrkungen koͤnnen, wenn ſie uͤbertrieben werden, mannigfaltiges Elend veranlaſſen. Ein zu weiches, weibiſches, von allen wahren und eingebildeten, eigenen und fremden Leiden in Aufruhr zu bringendes Ge¬ muͤth iſt wahrlich ein trauriges Geſchenk; ein Herz, das, empfaͤnglich fuͤr jeden Eindruck, wie ein Rohr von mannigfaltigen Leidenſchaften hin und her zu bewegen, jeden Augenblick von an¬ dern, ſich durchkreuzenden Empfindungen hin¬ geriſſen wird; ein Nerven-Syſtem, auf wel¬ chem jeder Betruͤger, der nur den rechten Ton zu treffen weiß, nach Gefallen ſpielen kann — das alles wird uns ſehr zur Laſt, da, wo es auf Feſtigkeit, unerſchuͤtterlichen maͤnnlichen Muth, auf Ausdauern und Beharrlichkeit ankoͤmmt. Eine zu warme, zu hochfliegende Phantaſie, die allen unſern geiſtigen Anſtrengungen einen ro¬ manhaften Schwung giebt, und uns in eine Ideen¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/110
Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/110>, abgerufen am 21.11.2024.