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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788.

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man geneigt ist, jedes Märchen für wahr, jede
Täuschung für Realität zu halten, damit man
seinem Glauben Gewicht gebe. Je aufgeklär¬
ter aber die Zeiten werden, je ämsiger man sich
bestrebt, der Wahrheit auf den Grund zu kom¬
men; desto sichtbarer wird es uns, daß wir auf
Erden diesen Grund nicht finden, um desto leich¬
ter also gerathen wir auf jenen Weg, den wir
vorher verachtet haben, so lange noch auf dem
hellen Wege der Theorien neue Entdeckungen
zu machen waren. Ich glaube, daß dies eine
ungezwungene Erklärung des Phänomens ist,
das so Manchen höchst wunderbar scheint, des
Phänomens, daß in den Zeiten der größten Auf¬
klärung ein blinder Glaube an Ammen-Mär¬
chen grade am stärksten einreisst.

Diese Stimmung des Publicums nun ma¬
chen sich eine Menge von Betrügern zu Nutze,
die, theils planmäßig verbunden uns zu unter¬
jochen, theils einzeln, nach Zeit und Gelegenheit,
darauf ausgehen, die Augen der Schwachen
zu blenden.

Sey es nun dabey auf unsere Geldbeutel,
oder auf Tyranney über unsern Willen, oder auf

irgend

man geneigt iſt, jedes Maͤrchen fuͤr wahr, jede
Taͤuſchung fuͤr Realitaͤt zu halten, damit man
ſeinem Glauben Gewicht gebe. Je aufgeklaͤr¬
ter aber die Zeiten werden, je aͤmſiger man ſich
beſtrebt, der Wahrheit auf den Grund zu kom¬
men; deſto ſichtbarer wird es uns, daß wir auf
Erden dieſen Grund nicht finden, um deſto leich¬
ter alſo gerathen wir auf jenen Weg, den wir
vorher verachtet haben, ſo lange noch auf dem
hellen Wege der Theorien neue Entdeckungen
zu machen waren. Ich glaube, daß dies eine
ungezwungene Erklaͤrung des Phaͤnomens iſt,
das ſo Manchen hoͤchſt wunderbar ſcheint, des
Phaͤnomens, daß in den Zeiten der groͤßten Auf¬
klaͤrung ein blinder Glaube an Ammen-Maͤr¬
chen grade am ſtaͤrkſten einreiſſt.

Dieſe Stimmung des Publicums nun ma¬
chen ſich eine Menge von Betruͤgern zu Nutze,
die, theils planmaͤßig verbunden uns zu unter¬
jochen, theils einzeln, nach Zeit und Gelegenheit,
darauf ausgehen, die Augen der Schwachen
zu blenden.

Sey es nun dabey auf unſere Geldbeutel,
oder auf Tyranney uͤber unſern Willen, oder auf

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[160/0182] man geneigt iſt, jedes Maͤrchen fuͤr wahr, jede Taͤuſchung fuͤr Realitaͤt zu halten, damit man ſeinem Glauben Gewicht gebe. Je aufgeklaͤr¬ ter aber die Zeiten werden, je aͤmſiger man ſich beſtrebt, der Wahrheit auf den Grund zu kom¬ men; deſto ſichtbarer wird es uns, daß wir auf Erden dieſen Grund nicht finden, um deſto leich¬ ter alſo gerathen wir auf jenen Weg, den wir vorher verachtet haben, ſo lange noch auf dem hellen Wege der Theorien neue Entdeckungen zu machen waren. Ich glaube, daß dies eine ungezwungene Erklaͤrung des Phaͤnomens iſt, das ſo Manchen hoͤchſt wunderbar ſcheint, des Phaͤnomens, daß in den Zeiten der groͤßten Auf¬ klaͤrung ein blinder Glaube an Ammen-Maͤr¬ chen grade am ſtaͤrkſten einreiſſt. Dieſe Stimmung des Publicums nun ma¬ chen ſich eine Menge von Betruͤgern zu Nutze, die, theils planmaͤßig verbunden uns zu unter¬ jochen, theils einzeln, nach Zeit und Gelegenheit, darauf ausgehen, die Augen der Schwachen zu blenden. Sey es nun dabey auf unſere Geldbeutel, oder auf Tyranney uͤber unſern Willen, oder auf irgend

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Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/182>, abgerufen am 27.11.2024.