Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

auch des mäßigsten Mannes der in der Welt le¬
ben und eine Familie unterhalten muß, so groß
sind; wo der Preis der nöthigsten Lebensmittel
täglich steigt; wo die Macht des Geldes so viel
entscheidet; wo der Reiche ein so beträchtliches
Uebergewicht über den Armen hat; endlich, wo
von der einen Seite Betrug und Falschheit,
und von der andern Mistraun und Mangel an
brüderlichen Gesinnungen in allen Ständen sich
ausbreiten, und daher die Zuversicht auf die
Hülfe der Mitmenschen ein unsicheres Capital
wird; in diesen Zeiten, meine ich, hat man
Unrecht, wenn man einen sparsamen, vorsich¬
tigen Mann, ohne nähere Prüfung seiner Um¬
stände und der Bewegungsgründe, welche seine
Handlungen leiten, sogleich für einen Knicker
erklärt.

Es giebt ferner unter den würklich geizigen
Leuten solche, die neben dieser Geld-Begierde
noch von einer andern mitherrschenden Leiden¬
schaft regiert werden. Diese scharren dann zu¬
sammen, sparen, betrügen Andre, und versagen
sich alles, ausser wo es auf Befriedigung dieser
Leidenschaft ankömmt; sey es nun Wollust,

Ge¬

auch des maͤßigſten Mannes der in der Welt le¬
ben und eine Familie unterhalten muß, ſo groß
ſind; wo der Preis der noͤthigſten Lebensmittel
taͤglich ſteigt; wo die Macht des Geldes ſo viel
entſcheidet; wo der Reiche ein ſo betraͤchtliches
Uebergewicht uͤber den Armen hat; endlich, wo
von der einen Seite Betrug und Falſchheit,
und von der andern Mistraun und Mangel an
bruͤderlichen Geſinnungen in allen Staͤnden ſich
ausbreiten, und daher die Zuverſicht auf die
Huͤlfe der Mitmenſchen ein unſicheres Capital
wird; in dieſen Zeiten, meine ich, hat man
Unrecht, wenn man einen ſparſamen, vorſich¬
tigen Mann, ohne naͤhere Pruͤfung ſeiner Um¬
ſtaͤnde und der Bewegungsgruͤnde, welche ſeine
Handlungen leiten, ſogleich fuͤr einen Knicker
erklaͤrt.

Es giebt ferner unter den wuͤrklich geizigen
Leuten ſolche, die neben dieſer Geld-Begierde
noch von einer andern mitherrſchenden Leiden¬
ſchaft regiert werden. Dieſe ſcharren dann zu¬
ſammen, ſparen, betruͤgen Andre, und verſagen
ſich alles, auſſer wo es auf Befriedigung dieſer
Leidenſchaft ankoͤmmt; ſey es nun Wolluſt,

Ge¬
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0245" n="223"/>
auch des ma&#x0364;ßig&#x017F;ten Mannes der in der Welt le¬<lb/>
ben und eine Familie unterhalten muß, &#x017F;o groß<lb/>
&#x017F;ind; wo der Preis der no&#x0364;thig&#x017F;ten Lebensmittel<lb/>
ta&#x0364;glich &#x017F;teigt; wo die Macht des Geldes &#x017F;o viel<lb/>
ent&#x017F;cheidet; wo der Reiche ein &#x017F;o betra&#x0364;chtliches<lb/>
Uebergewicht u&#x0364;ber den Armen hat; endlich, wo<lb/>
von der einen Seite Betrug und Fal&#x017F;chheit,<lb/>
und von der andern Mistraun und Mangel an<lb/>
bru&#x0364;derlichen Ge&#x017F;innungen in allen Sta&#x0364;nden &#x017F;ich<lb/>
ausbreiten, und daher die Zuver&#x017F;icht auf die<lb/>
Hu&#x0364;lfe der Mitmen&#x017F;chen ein un&#x017F;icheres Capital<lb/>
wird; in die&#x017F;en Zeiten, meine ich, hat man<lb/>
Unrecht, wenn man einen &#x017F;par&#x017F;amen, vor&#x017F;ich¬<lb/>
tigen Mann, ohne na&#x0364;here Pru&#x0364;fung &#x017F;einer Um¬<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde und der <choice><sic>Bewegunsgru&#x0364;nde</sic><corr>Bewegungsgru&#x0364;nde</corr></choice>, welche &#x017F;eine<lb/>
Handlungen leiten, &#x017F;ogleich fu&#x0364;r einen Knicker<lb/>
erkla&#x0364;rt.</p><lb/>
            <p>Es giebt ferner unter den wu&#x0364;rklich geizigen<lb/>
Leuten &#x017F;olche, die neben die&#x017F;er Geld-Begierde<lb/>
noch von einer andern mitherr&#x017F;chenden Leiden¬<lb/>
&#x017F;chaft regiert werden. Die&#x017F;e &#x017F;charren dann zu¬<lb/>
&#x017F;ammen, &#x017F;paren, betru&#x0364;gen Andre, und ver&#x017F;agen<lb/>
&#x017F;ich alles, au&#x017F;&#x017F;er wo es auf Befriedigung die&#x017F;er<lb/>
Leiden&#x017F;chaft anko&#x0364;mmt; &#x017F;ey es nun Wollu&#x017F;t,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ge¬<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0245] auch des maͤßigſten Mannes der in der Welt le¬ ben und eine Familie unterhalten muß, ſo groß ſind; wo der Preis der noͤthigſten Lebensmittel taͤglich ſteigt; wo die Macht des Geldes ſo viel entſcheidet; wo der Reiche ein ſo betraͤchtliches Uebergewicht uͤber den Armen hat; endlich, wo von der einen Seite Betrug und Falſchheit, und von der andern Mistraun und Mangel an bruͤderlichen Geſinnungen in allen Staͤnden ſich ausbreiten, und daher die Zuverſicht auf die Huͤlfe der Mitmenſchen ein unſicheres Capital wird; in dieſen Zeiten, meine ich, hat man Unrecht, wenn man einen ſparſamen, vorſich¬ tigen Mann, ohne naͤhere Pruͤfung ſeiner Um¬ ſtaͤnde und der Bewegungsgruͤnde, welche ſeine Handlungen leiten, ſogleich fuͤr einen Knicker erklaͤrt. Es giebt ferner unter den wuͤrklich geizigen Leuten ſolche, die neben dieſer Geld-Begierde noch von einer andern mitherrſchenden Leiden¬ ſchaft regiert werden. Dieſe ſcharren dann zu¬ ſammen, ſparen, betruͤgen Andre, und verſagen ſich alles, auſſer wo es auf Befriedigung dieſer Leidenſchaft ankoͤmmt; ſey es nun Wolluſt, Ge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/245
Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/245>, abgerufen am 21.11.2024.