lein kein Anblick ist so wiedrig für den verstän¬ digen Mann, als der eines Menschen, welcher sich durch starke Getränke um Sinne und Ver¬ nunft gebracht hat. Wenn dies aber auch nicht der Fall ist; -- so bleibt es schon unangenehm, der Einzige ganz Kaltblütige in einer Gesell¬ schaft von Leuten zu seyn, die sich durch ein Gläschen über die Gebühr um einen Ton höher gestimmt haben; und wenn man so den Tag mit ernsthaften Geschäften hingebracht hat, und dann von ohngefehr des Abends in einen Cirkel von solchen muntern Gästen geräth; so ist fast kein anders Mittel zu finden, oder man müsste denn von Natur immer zum Scherze aufgelegt seyn, als ein wenig mit zu zechen, um sich den nemlichen Schwung zu geben.
Die Würkungen des Weins auf die Gemü¬ ther der Menschen sind aber, nach ihren natür¬ lichen Temperamenten, sehr verschieden. Man¬ che zeigen sich äusserst lustig; Andre sehr zärt¬ lich, wohlwollend und offenherzig. Andre me¬ lancholisch, schläferig, verschlossen; Andre hin¬ gegen geschwätzig, und noch Andre zänkisch, wenn sie berauscht sind. Man thut wohl, der
Ge¬
lein kein Anblick iſt ſo wiedrig fuͤr den verſtaͤn¬ digen Mann, als der eines Menſchen, welcher ſich durch ſtarke Getraͤnke um Sinne und Ver¬ nunft gebracht hat. Wenn dies aber auch nicht der Fall iſt; — ſo bleibt es ſchon unangenehm, der Einzige ganz Kaltbluͤtige in einer Geſell¬ ſchaft von Leuten zu ſeyn, die ſich durch ein Glaͤschen uͤber die Gebuͤhr um einen Ton hoͤher geſtimmt haben; und wenn man ſo den Tag mit ernſthaften Geſchaͤften hingebracht hat, und dann von ohngefehr des Abends in einen Cirkel von ſolchen muntern Gaͤſten geraͤth; ſo iſt faſt kein anders Mittel zu finden, oder man muͤſſte denn von Natur immer zum Scherze aufgelegt ſeyn, als ein wenig mit zu zechen, um ſich den nemlichen Schwung zu geben.
Die Wuͤrkungen des Weins auf die Gemuͤ¬ ther der Menſchen ſind aber, nach ihren natuͤr¬ lichen Temperamenten, ſehr verſchieden. Man¬ che zeigen ſich aͤuſſerſt luſtig; Andre ſehr zaͤrt¬ lich, wohlwollend und offenherzig. Andre me¬ lancholiſch, ſchlaͤferig, verſchloſſen; Andre hin¬ gegen geſchwaͤtzig, und noch Andre zaͤnkiſch, wenn ſie berauſcht ſind. Man thut wohl, der
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lein kein Anblick iſt ſo wiedrig fuͤr den verſtaͤn¬
digen Mann, als der eines Menſchen, welcher
ſich durch ſtarke Getraͤnke um Sinne und Ver¬
nunft gebracht hat. Wenn dies aber auch nicht
der Fall iſt; — ſo bleibt es ſchon unangenehm,
der Einzige ganz Kaltbluͤtige in einer Geſell¬
ſchaft von Leuten zu ſeyn, die ſich durch ein
Glaͤschen uͤber die Gebuͤhr um einen Ton hoͤher
geſtimmt haben; und wenn man ſo den Tag
mit ernſthaften Geſchaͤften hingebracht hat, und
dann von ohngefehr des Abends in einen Cirkel
von ſolchen muntern Gaͤſten geraͤth; ſo iſt faſt
kein anders Mittel zu finden, oder man muͤſſte
denn von Natur immer zum Scherze aufgelegt
ſeyn, als ein wenig mit zu zechen, um ſich den
nemlichen Schwung zu geben.
Die Wuͤrkungen des Weins auf die Gemuͤ¬
ther der Menſchen ſind aber, nach ihren natuͤr¬
lichen Temperamenten, ſehr verſchieden. Man¬
che zeigen ſich aͤuſſerſt luſtig; Andre ſehr zaͤrt¬
lich, wohlwollend und offenherzig. Andre me¬
lancholiſch, ſchlaͤferig, verſchloſſen; Andre hin¬
gegen geſchwaͤtzig, und noch Andre zaͤnkiſch,
wenn ſie berauſcht ſind. Man thut wohl, der
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/314>, abgerufen am 21.11.2024.
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