bracht und erbittert gegen den Mann, der ihre Erwartungen so getäuscht hatte, und das gieng denn so weit, daß Alle behaupteten: Dieser sey nicht der Abbe' Raynal gewesen, oder es sey ohn¬ möglich, daß der Abbe' Raynal so schöne Sachen geschrieben habe.
Spricht aber ein Gelehrter, ein Künstler gern und viel von seinem Fache! so nim ihm auch das nicht übel auf! Die unglückliche Poly¬ historey, die Wuth auf allen Zweigen der Wis¬ senschaften und Künste herumzuhüpfen, sich zu schämen, daß irgend etwas unter der Sonne seyn dürfte, worüber wir nicht raisonnieren könnten, ist nicht eben das, was unserm Zeit¬ alter am mehrsten Ehre macht, und wenn es langweilig ist, einen Mann alle Gespräche auf seinen Lieblings-Gegenstand lenken zu hören; so ist es mehr als langweilig, es ist empöhrend, wenn ein Schwätzer entscheidende Urtheile über Dinge ausspricht, die gänzlich ausser seinem Ge¬ sichtskreise liegen, wenn der Priester über Poli¬ tic, der Jurist über Theater, der Arzt über Ma¬ lerey, die Cokette über philosophische Gegen¬ stände, der süße Herr über Tactic deraisoniert.
Er¬
E 5
bracht und erbittert gegen den Mann, der ihre Erwartungen ſo getaͤuſcht hatte, und das gieng denn ſo weit, daß Alle behaupteten: Dieſer ſey nicht der Abbe' Raynal geweſen, oder es ſey ohn¬ moͤglich, daß der Abbe' Raynal ſo ſchoͤne Sachen geſchrieben habe.
Spricht aber ein Gelehrter, ein Kuͤnſtler gern und viel von ſeinem Fache! ſo nim ihm auch das nicht uͤbel auf! Die ungluͤckliche Poly¬ hiſtorey, die Wuth auf allen Zweigen der Wiſ¬ ſenſchaften und Kuͤnſte herumzuhuͤpfen, ſich zu ſchaͤmen, daß irgend etwas unter der Sonne ſeyn duͤrfte, woruͤber wir nicht raiſonnieren koͤnnten, iſt nicht eben das, was unſerm Zeit¬ alter am mehrſten Ehre macht, und wenn es langweilig iſt, einen Mann alle Geſpraͤche auf ſeinen Lieblings-Gegenſtand lenken zu hoͤren; ſo iſt es mehr als langweilig, es iſt empoͤhrend, wenn ein Schwaͤtzer entſcheidende Urtheile uͤber Dinge ausſpricht, die gaͤnzlich auſſer ſeinem Ge¬ ſichtskreiſe liegen, wenn der Prieſter uͤber Poli¬ tic, der Juriſt uͤber Theater, der Arzt uͤber Ma¬ lerey, die Cokette uͤber philoſophiſche Gegen¬ ſtaͤnde, der ſuͤße Herr uͤber Tactic deraiſoniert.
Er¬
E 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0095"n="73"/>
bracht und erbittert gegen den Mann, der ihre<lb/>
Erwartungen ſo getaͤuſcht hatte, und das gieng<lb/>
denn ſo weit, daß Alle behaupteten: Dieſer ſey<lb/>
nicht der Abbe' Raynal geweſen, oder es ſey ohn¬<lb/>
moͤglich, daß der Abbe' Raynal ſo ſchoͤne Sachen<lb/>
geſchrieben habe.</p><lb/><p>Spricht aber ein Gelehrter, ein Kuͤnſtler<lb/>
gern und viel von ſeinem Fache! ſo nim ihm<lb/>
auch das nicht uͤbel auf! Die ungluͤckliche Poly¬<lb/>
hiſtorey, die Wuth auf allen Zweigen der Wiſ¬<lb/>ſenſchaften und Kuͤnſte herumzuhuͤpfen, ſich zu<lb/>ſchaͤmen, daß irgend etwas unter der Sonne<lb/>ſeyn duͤrfte, woruͤber wir nicht raiſonnieren<lb/>
koͤnnten, iſt nicht eben das, was unſerm Zeit¬<lb/>
alter am mehrſten Ehre macht, und wenn es<lb/>
langweilig iſt, einen Mann alle Geſpraͤche auf<lb/>ſeinen Lieblings-Gegenſtand lenken zu hoͤren; ſo<lb/>
iſt es mehr als langweilig, es iſt empoͤhrend,<lb/>
wenn ein Schwaͤtzer entſcheidende Urtheile uͤber<lb/>
Dinge ausſpricht, die gaͤnzlich auſſer ſeinem Ge¬<lb/>ſichtskreiſe liegen, wenn der Prieſter uͤber Poli¬<lb/>
tic, der Juriſt uͤber Theater, der Arzt uͤber Ma¬<lb/>
lerey, die Cokette uͤber philoſophiſche Gegen¬<lb/>ſtaͤnde, der ſuͤße Herr uͤber Tactic deraiſoniert.<lb/><fwplace="bottom"type="sig">E 5<lb/></fw><fwplace="bottom"type="catch">Er¬<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[73/0095]
bracht und erbittert gegen den Mann, der ihre
Erwartungen ſo getaͤuſcht hatte, und das gieng
denn ſo weit, daß Alle behaupteten: Dieſer ſey
nicht der Abbe' Raynal geweſen, oder es ſey ohn¬
moͤglich, daß der Abbe' Raynal ſo ſchoͤne Sachen
geſchrieben habe.
Spricht aber ein Gelehrter, ein Kuͤnſtler
gern und viel von ſeinem Fache! ſo nim ihm
auch das nicht uͤbel auf! Die ungluͤckliche Poly¬
hiſtorey, die Wuth auf allen Zweigen der Wiſ¬
ſenſchaften und Kuͤnſte herumzuhuͤpfen, ſich zu
ſchaͤmen, daß irgend etwas unter der Sonne
ſeyn duͤrfte, woruͤber wir nicht raiſonnieren
koͤnnten, iſt nicht eben das, was unſerm Zeit¬
alter am mehrſten Ehre macht, und wenn es
langweilig iſt, einen Mann alle Geſpraͤche auf
ſeinen Lieblings-Gegenſtand lenken zu hoͤren; ſo
iſt es mehr als langweilig, es iſt empoͤhrend,
wenn ein Schwaͤtzer entſcheidende Urtheile uͤber
Dinge ausſpricht, die gaͤnzlich auſſer ſeinem Ge¬
ſichtskreiſe liegen, wenn der Prieſter uͤber Poli¬
tic, der Juriſt uͤber Theater, der Arzt uͤber Ma¬
lerey, die Cokette uͤber philoſophiſche Gegen¬
ſtaͤnde, der ſuͤße Herr uͤber Tactic deraiſoniert.
Er¬
E 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/95>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.