Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

sie zu wachen; und trösten! konnten wir's, da
wir selbst des Trosts bedurften?

Der alte N ... raubte uns durch Ränke, und
unzäliche Arten Bedrükkungen alles, was Fleiß
und Mühe uns erworben hatten. Sein Wille
war's, uns in Armut zu stürzen, Freiheit und Ruhe
zu rauben. Unsere Leiden, unsere stille Tränen
waren Dolchstösse für meine arme Schwester;
düster und schwermütig schlich sie umher; seit
einigen Tagen entwölkte sich ihr Gesicht, so wie
die Sonne zwischen dunkel erzeugten Wolken
einen matten Schein wirft, aber oft plözlich
schwärzere Wolken die Erde in Nacht hüllen.
Ach, der Entschluß uns zu verlassen, ihr freu-
denleeres Leben zu enden, reifte schon lange in
ihrer Seele! Sie hat ihn in der Morgenstunde
vollendet, und wir ahndeten es nicht, daß sie
uns gestern zum leztenmal umarmen, das lezte Le-
bewol stammeln würde. Es war eine fürchter-
liche Nacht, Regenstürme durchschauerten die
Luft, der Morgen war dunkel und stürmisch; ich
erwachte vom ängstlichen Traum erschüttert,
suchte meine Schwester im Hause, Garten, in
der ganzen Flur, und sie war nirgends. Wie ich
nun so aufs Feld hinschlendere, und mein Blik

ſie zu wachen; und troͤſten! konnten wir’s, da
wir ſelbſt des Troſts bedurften?

Der alte N … raubte uns durch Raͤnke, und
unzaͤliche Arten Bedruͤkkungen alles, was Fleiß
und Muͤhe uns erworben hatten. Sein Wille
war’s, uns in Armut zu ſtuͤrzen, Freiheit und Ruhe
zu rauben. Unſere Leiden, unſere ſtille Traͤnen
waren Dolchſtoͤſſe fuͤr meine arme Schweſter;
duͤſter und ſchwermuͤtig ſchlich ſie umher; ſeit
einigen Tagen entwoͤlkte ſich ihr Geſicht, ſo wie
die Sonne zwiſchen dunkel erzeugten Wolken
einen matten Schein wirft, aber oft ploͤzlich
ſchwaͤrzere Wolken die Erde in Nacht huͤllen.
Ach, der Entſchluß uns zu verlaſſen, ihr freu-
denleeres Leben zu enden, reifte ſchon lange in
ihrer Seele! Sie hat ihn in der Morgenſtunde
vollendet, und wir ahndeten es nicht, daß ſie
uns geſtern zum leztenmal umarmen, das lezte Le-
bewol ſtammeln wuͤrde. Es war eine fuͤrchter-
liche Nacht, Regenſtuͤrme durchſchauerten die
Luft, der Morgen war dunkel und ſtuͤrmiſch; ich
erwachte vom aͤngſtlichen Traum erſchuͤttert,
ſuchte meine Schweſter im Hauſe, Garten, in
der ganzen Flur, und ſie war nirgends. Wie ich
nun ſo aufs Feld hinſchlendere, und mein Blik

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0119" n="111"/>
&#x017F;ie zu wachen; und tro&#x0364;&#x017F;ten! konnten wir&#x2019;s, da<lb/>
wir &#x017F;elb&#x017F;t des Tro&#x017F;ts bedurften?</p><lb/>
          <p>Der alte N &#x2026; raubte uns durch Ra&#x0364;nke, und<lb/>
unza&#x0364;liche Arten Bedru&#x0364;kkungen alles, was Fleiß<lb/>
und Mu&#x0364;he uns erworben hatten. Sein Wille<lb/>
war&#x2019;s, uns in Armut zu &#x017F;tu&#x0364;rzen, Freiheit und Ruhe<lb/>
zu rauben. Un&#x017F;ere Leiden, un&#x017F;ere &#x017F;tille Tra&#x0364;nen<lb/>
waren Dolch&#x017F;to&#x0364;&#x017F;&#x017F;e fu&#x0364;r meine arme Schwe&#x017F;ter;<lb/>
du&#x0364;&#x017F;ter und &#x017F;chwermu&#x0364;tig &#x017F;chlich &#x017F;ie umher; &#x017F;eit<lb/>
einigen Tagen entwo&#x0364;lkte &#x017F;ich ihr Ge&#x017F;icht, &#x017F;o wie<lb/>
die Sonne zwi&#x017F;chen dunkel erzeugten Wolken<lb/>
einen matten Schein wirft, aber oft plo&#x0364;zlich<lb/>
&#x017F;chwa&#x0364;rzere Wolken die Erde in Nacht hu&#x0364;llen.<lb/>
Ach, der Ent&#x017F;chluß uns zu verla&#x017F;&#x017F;en, ihr freu-<lb/>
denleeres Leben zu enden, reifte &#x017F;chon lange in<lb/>
ihrer Seele! Sie hat ihn in der Morgen&#x017F;tunde<lb/>
vollendet, und wir ahndeten es nicht, daß &#x017F;ie<lb/>
uns ge&#x017F;tern zum leztenmal umarmen, das lezte Le-<lb/>
bewol &#x017F;tammeln wu&#x0364;rde. Es war eine fu&#x0364;rchter-<lb/>
liche Nacht, Regen&#x017F;tu&#x0364;rme durch&#x017F;chauerten die<lb/>
Luft, der Morgen war dunkel und &#x017F;tu&#x0364;rmi&#x017F;ch; ich<lb/>
erwachte vom a&#x0364;ng&#x017F;tlichen Traum er&#x017F;chu&#x0364;ttert,<lb/>
&#x017F;uchte meine Schwe&#x017F;ter im Hau&#x017F;e, Garten, in<lb/>
der ganzen Flur, und &#x017F;ie war nirgends. Wie ich<lb/>
nun &#x017F;o aufs Feld hin&#x017F;chlendere, und mein Blik<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[111/0119] ſie zu wachen; und troͤſten! konnten wir’s, da wir ſelbſt des Troſts bedurften? Der alte N … raubte uns durch Raͤnke, und unzaͤliche Arten Bedruͤkkungen alles, was Fleiß und Muͤhe uns erworben hatten. Sein Wille war’s, uns in Armut zu ſtuͤrzen, Freiheit und Ruhe zu rauben. Unſere Leiden, unſere ſtille Traͤnen waren Dolchſtoͤſſe fuͤr meine arme Schweſter; duͤſter und ſchwermuͤtig ſchlich ſie umher; ſeit einigen Tagen entwoͤlkte ſich ihr Geſicht, ſo wie die Sonne zwiſchen dunkel erzeugten Wolken einen matten Schein wirft, aber oft ploͤzlich ſchwaͤrzere Wolken die Erde in Nacht huͤllen. Ach, der Entſchluß uns zu verlaſſen, ihr freu- denleeres Leben zu enden, reifte ſchon lange in ihrer Seele! Sie hat ihn in der Morgenſtunde vollendet, und wir ahndeten es nicht, daß ſie uns geſtern zum leztenmal umarmen, das lezte Le- bewol ſtammeln wuͤrde. Es war eine fuͤrchter- liche Nacht, Regenſtuͤrme durchſchauerten die Luft, der Morgen war dunkel und ſtuͤrmiſch; ich erwachte vom aͤngſtlichen Traum erſchuͤttert, ſuchte meine Schweſter im Hauſe, Garten, in der ganzen Flur, und ſie war nirgends. Wie ich nun ſo aufs Feld hinſchlendere, und mein Blik

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/119
Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/119>, abgerufen am 21.11.2024.