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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

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Rechteus oder nicht -- Doch will ich nicht beim
blossen Jdeal stehen bleiben, sondern Würklich-
keit erzehlen, will das unglükliche Schiksal eines
Menschen ganz ohne Schminke darstellen, des-
sen größter Fehler gar zu hohes inniges Gefühl
für Tugend und Religion war, der dennoch ein
blutiges Opfer der Gerechtigkeit, gerädert und
den Flammen preis gegeben ward, und dessen
nun entsündigte Asche jedem Richter ein Denkmal
des Entsezzens sein sollte. Nicht auf Schulen,
nicht in den Spizfündigkeiten der Rechtsgelehr-
samkeit, werdet ihr das Leben eurer Mitgeschöpfe
schätzen lernen, leset vielmehr alle Morgen jene
Akten der Märtirer, jene schaudervolle, leider
authentischere Legenden, als die, welche blos mit
Sentenzen, Hinrichtungen und Freisprechungen
angefüllt sind -- anklagende Behälter der
Mängel unserer Gesezze,
oder der Unwis-
senheit der Richter.

So mancher Märtirer der Warheit war
zwar so glüklich, nach so manchen erduldeten Lei-
den, sein Leben zu retten, wenn man ihm Zeit
zu seiner Rechtfertigung ließ, aber hier! Hier
ward die anerkannte Unschuld selbst gemordet,
und wie gemordet? Der Bewoner Libiens

M 2

Rechteus oder nicht — Doch will ich nicht beim
bloſſen Jdeal ſtehen bleiben, ſondern Wuͤrklich-
keit erzehlen, will das ungluͤkliche Schikſal eines
Menſchen ganz ohne Schminke darſtellen, deſ-
ſen groͤßter Fehler gar zu hohes inniges Gefuͤhl
fuͤr Tugend und Religion war, der dennoch ein
blutiges Opfer der Gerechtigkeit, geraͤdert und
den Flammen preis gegeben ward, und deſſen
nun entſuͤndigte Aſche jedem Richter ein Denkmal
des Entſezzens ſein ſollte. Nicht auf Schulen,
nicht in den Spizfuͤndigkeiten der Rechtsgelehr-
ſamkeit, werdet ihr das Leben eurer Mitgeſchoͤpfe
ſchaͤtzen lernen, leſet vielmehr alle Morgen jene
Akten der Maͤrtirer, jene ſchaudervolle, leider
authentiſchere Legenden, als die, welche blos mit
Sentenzen, Hinrichtungen und Freiſprechungen
angefuͤllt ſind — anklagende Behaͤlter der
Maͤngel unſerer Geſezze,
oder der Unwiſ-
ſenheit der Richter.

So mancher Maͤrtirer der Warheit war
zwar ſo gluͤklich, nach ſo manchen erduldeten Lei-
den, ſein Leben zu retten, wenn man ihm Zeit
zu ſeiner Rechtfertigung ließ, aber hier! Hier
ward die anerkannte Unſchuld ſelbſt gemordet,
und wie gemordet? Der Bewoner Libiens

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[179/0187] Rechteus oder nicht — Doch will ich nicht beim bloſſen Jdeal ſtehen bleiben, ſondern Wuͤrklich- keit erzehlen, will das ungluͤkliche Schikſal eines Menſchen ganz ohne Schminke darſtellen, deſ- ſen groͤßter Fehler gar zu hohes inniges Gefuͤhl fuͤr Tugend und Religion war, der dennoch ein blutiges Opfer der Gerechtigkeit, geraͤdert und den Flammen preis gegeben ward, und deſſen nun entſuͤndigte Aſche jedem Richter ein Denkmal des Entſezzens ſein ſollte. Nicht auf Schulen, nicht in den Spizfuͤndigkeiten der Rechtsgelehr- ſamkeit, werdet ihr das Leben eurer Mitgeſchoͤpfe ſchaͤtzen lernen, leſet vielmehr alle Morgen jene Akten der Maͤrtirer, jene ſchaudervolle, leider authentiſchere Legenden, als die, welche blos mit Sentenzen, Hinrichtungen und Freiſprechungen angefuͤllt ſind — anklagende Behaͤlter der Maͤngel unſerer Geſezze, oder der Unwiſ- ſenheit der Richter. So mancher Maͤrtirer der Warheit war zwar ſo gluͤklich, nach ſo manchen erduldeten Lei- den, ſein Leben zu retten, wenn man ihm Zeit zu ſeiner Rechtfertigung ließ, aber hier! Hier ward die anerkannte Unſchuld ſelbſt gemordet, und wie gemordet? Der Bewoner Libiens M 2

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Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/187>, abgerufen am 25.11.2024.