Jch hab' eine traurige Gruppe menschlichen Elends, menschlicher Leiden gesehen, und die Rükerinnerung erregt noch einen kalten Schau- der durch meine Gebeine. Das Haus, wo Tolle und Unsinnige aufbewahret werden, liefert dergleichen traurige Szenen, ich wagte es zu betreten, und verließ es erschüttert. Da sah ich Menschen in Ketten und Banden, im immerwärenden Aufruhr ihrer zerrütteten Seele. Jn wütender Verzweifelung, den marterndsten Qualen zum Raube, suchten sie ihre elenden Tage zu kürzen, und vermochtens nicht. Wenn sie lange gerungen und gekämpft hatten, und ein kalter Schweis ihre Glieder überströmte, so verhüll- ten sie ihr entstelltes Gesicht, und weinten so laut, daß es in dem dunkeln Gemäure widerhallte. Bei einigen war der Verstand nur auf einen gewissen Punkt zerrüttet: so lange man diesen unberührt ließ, so konnte man keine Spur eines Wahnsinns
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IX. Stolz und Liebe, Triebfedern des Wahnſinns.
Jch hab’ eine traurige Gruppe menſchlichen Elends, menſchlicher Leiden geſehen, und die Ruͤkerinnerung erregt noch einen kalten Schau- der durch meine Gebeine. Das Haus, wo Tolle und Unſinnige aufbewahret werden, liefert dergleichen traurige Szenen, ich wagte es zu betreten, und verließ es erſchuͤttert. Da ſah ich Menſchen in Ketten und Banden, im immerwaͤrenden Aufruhr ihrer zerruͤtteten Seele. Jn wuͤtender Verzweifelung, den marterndſten Qualen zum Raube, ſuchten ſie ihre elenden Tage zu kuͤrzen, und vermochtens nicht. Wenn ſie lange gerungen und gekaͤmpft hatten, und ein kalter Schweis ihre Glieder uͤberſtroͤmte, ſo verhuͤll- ten ſie ihr entſtelltes Geſicht, und weinten ſo laut, daß es in dem dunkeln Gemaͤure widerhallte. Bei einigen war der Verſtand nur auf einen gewiſſen Punkt zerruͤttet: ſo lange man dieſen unberuͤhrt ließ, ſo konnte man keine Spur eines Wahnſinns
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IX.
Stolz und Liebe, Triebfedern
des Wahnſinns.
Jch hab’ eine traurige Gruppe menſchlichen
Elends, menſchlicher Leiden geſehen, und die
Ruͤkerinnerung erregt noch einen kalten Schau-
der durch meine Gebeine. Das Haus, wo
Tolle und Unſinnige aufbewahret werden,
liefert dergleichen traurige Szenen, ich wagte
es zu betreten, und verließ es erſchuͤttert. Da
ſah ich Menſchen in Ketten und Banden, im
immerwaͤrenden Aufruhr ihrer zerruͤtteten Seele.
Jn wuͤtender Verzweifelung, den marterndſten
Qualen zum Raube, ſuchten ſie ihre elenden
Tage zu kuͤrzen, und vermochtens nicht. Wenn
ſie lange gerungen und gekaͤmpft hatten, und ein
kalter Schweis ihre Glieder uͤberſtroͤmte, ſo verhuͤll-
ten ſie ihr entſtelltes Geſicht, und weinten ſo laut,
daß es in dem dunkeln Gemaͤure widerhallte. Bei
einigen war der Verſtand nur auf einen gewiſſen
Punkt zerruͤttet: ſo lange man dieſen unberuͤhrt
ließ, ſo konnte man keine Spur eines Wahnſinns
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/201>, abgerufen am 23.11.2024.
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