Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

jeder angehende Bürger der Themis es lese
-- könnt ich sie den Lehrern der Rechte an
ihre Hörsäle schreiben, daß sie ihren Zuhörern
Worte ans Herz redeten, und jedem angehenden
Juristen zuriefen:

"Es ist nicht genug, junger Mann, daß
du das römische Chaos der Gesezze entwik-
kelst, daß du sie herplappern, und nach der Leier
absingen kannst, du mußt auch die Welt, den
Menschen, dich selbst kennen, du mußt nicht
blos eine obenhin geschöpfte Kenutniß der Litte-
ratur haben, nein du mußt ihr innerstes Heilig-
thum durchdrungen haben; du mußt eine an-
schauende Kenntniß der alten und neuen
Geschichte
besizzen, wie Völker entstanden und
Reiche gegründet sind, wie sich die Menschen zu
Staaten gebildet, und sich gewisse Vorschriften
entworfen, darnach sie ihre Handlungen einrich-
ten könnten, wie der Karakter eines Volks --
ihr Klima -- ihre innere Verfassung, ein Gesez
notwendig gemacht, was bei einem andern Volk
unter einem andern Himmelsstrich, thöricht und
zweklos gewesen wäre. Du mußt die Verfas-
sung deines Vaterlandes
-- die besondere
Einrichtung der Provinz, deren Bewoner

jeder angehende Buͤrger der Themis es leſe
— koͤnnt ich ſie den Lehrern der Rechte an
ihre Hoͤrſaͤle ſchreiben, daß ſie ihren Zuhoͤrern
Worte ans Herz redeten, und jedem angehenden
Juriſten zuriefen:

„Es iſt nicht genug, junger Mann, daß
du das roͤmiſche Chaos der Geſezze entwik-
kelſt, daß du ſie herplappern, und nach der Leier
abſingen kannſt, du mußt auch die Welt, den
Menſchen, dich ſelbſt kennen, du mußt nicht
blos eine obenhin geſchoͤpfte Kenutniß der Litte-
ratur haben, nein du mußt ihr innerſtes Heilig-
thum durchdrungen haben; du mußt eine an-
ſchauende Kenntniß der alten und neuen
Geſchichte
beſizzen, wie Voͤlker entſtanden und
Reiche gegruͤndet ſind, wie ſich die Menſchen zu
Staaten gebildet, und ſich gewiſſe Vorſchriften
entworfen, darnach ſie ihre Handlungen einrich-
ten koͤnnten, wie der Karakter eines Volks —
ihr Klima — ihre innere Verfaſſung, ein Geſez
notwendig gemacht, was bei einem andern Volk
unter einem andern Himmelsſtrich, thoͤricht und
zweklos geweſen waͤre. Du mußt die Verfaſ-
ſung deines Vaterlandes
— die beſondere
Einrichtung der Provinz, deren Bewoner

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0039" n="31"/>
jeder <hi rendition="#fr">angehende Bu&#x0364;rger der Themis</hi> es le&#x017F;e<lb/>
&#x2014; ko&#x0364;nnt ich &#x017F;ie den <hi rendition="#fr">Lehrern der Rechte</hi> an<lb/>
ihre Ho&#x0364;r&#x017F;a&#x0364;le &#x017F;chreiben, daß &#x017F;ie ihren Zuho&#x0364;rern<lb/>
Worte ans Herz redeten, und jedem angehenden<lb/>
Juri&#x017F;ten zuriefen:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es i&#x017F;t nicht genug, <hi rendition="#fr">junger Mann,</hi> daß<lb/>
du das <hi rendition="#fr">ro&#x0364;mi&#x017F;che Chaos der Ge&#x017F;ezze</hi> entwik-<lb/>
kel&#x017F;t, daß du &#x017F;ie herplappern, und nach der Leier<lb/>
ab&#x017F;ingen kann&#x017F;t, du mußt auch die <hi rendition="#fr">Welt,</hi> den<lb/><hi rendition="#fr">Men&#x017F;chen, dich &#x017F;elb&#x017F;t</hi> kennen, <hi rendition="#fr">du</hi> mußt nicht<lb/>
blos eine obenhin ge&#x017F;cho&#x0364;pfte Kenutniß der Litte-<lb/>
ratur haben, nein du mußt ihr inner&#x017F;tes Heilig-<lb/>
thum durchdrungen haben; <hi rendition="#fr">du</hi> mußt eine <hi rendition="#fr">an-<lb/>
&#x017F;chauende Kenntniß der alten und neuen<lb/>
Ge&#x017F;chichte</hi> be&#x017F;izzen, wie Vo&#x0364;lker ent&#x017F;tanden und<lb/>
Reiche gegru&#x0364;ndet &#x017F;ind, wie &#x017F;ich die Men&#x017F;chen zu<lb/>
Staaten gebildet, und &#x017F;ich gewi&#x017F;&#x017F;e Vor&#x017F;chriften<lb/>
entworfen, darnach &#x017F;ie ihre Handlungen einrich-<lb/>
ten ko&#x0364;nnten, wie der Karakter eines Volks &#x2014;<lb/>
ihr Klima &#x2014; ihre innere Verfa&#x017F;&#x017F;ung, ein Ge&#x017F;ez<lb/>
notwendig gemacht, was bei einem andern Volk<lb/>
unter einem andern Himmels&#x017F;trich, tho&#x0364;richt und<lb/>
zweklos gewe&#x017F;en wa&#x0364;re. <hi rendition="#fr">Du</hi> mußt die <hi rendition="#fr">Verfa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ung deines Vaterlandes</hi> &#x2014; die be&#x017F;ondere<lb/><hi rendition="#fr">Einrichtung der Provinz,</hi> deren Bewoner<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0039] jeder angehende Buͤrger der Themis es leſe — koͤnnt ich ſie den Lehrern der Rechte an ihre Hoͤrſaͤle ſchreiben, daß ſie ihren Zuhoͤrern Worte ans Herz redeten, und jedem angehenden Juriſten zuriefen: „Es iſt nicht genug, junger Mann, daß du das roͤmiſche Chaos der Geſezze entwik- kelſt, daß du ſie herplappern, und nach der Leier abſingen kannſt, du mußt auch die Welt, den Menſchen, dich ſelbſt kennen, du mußt nicht blos eine obenhin geſchoͤpfte Kenutniß der Litte- ratur haben, nein du mußt ihr innerſtes Heilig- thum durchdrungen haben; du mußt eine an- ſchauende Kenntniß der alten und neuen Geſchichte beſizzen, wie Voͤlker entſtanden und Reiche gegruͤndet ſind, wie ſich die Menſchen zu Staaten gebildet, und ſich gewiſſe Vorſchriften entworfen, darnach ſie ihre Handlungen einrich- ten koͤnnten, wie der Karakter eines Volks — ihr Klima — ihre innere Verfaſſung, ein Geſez notwendig gemacht, was bei einem andern Volk unter einem andern Himmelsſtrich, thoͤricht und zweklos geweſen waͤre. Du mußt die Verfaſ- ſung deines Vaterlandes — die beſondere Einrichtung der Provinz, deren Bewoner

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/39
Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/39>, abgerufen am 21.11.2024.