Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

konnte, so warf sie sich oft in wütender Ver-
zweiflung auf die Knie und bat den Urheber ihres
Daseins, sie wegzuraffen mit einem seiner töden-
den Blizze -- sie auszutilgen aus der Zal der
Lebenden. Jn einer solchen Zerrüttung ihrer
Seelenkräfte erschien nun die gefürchtete Stunde
-- sie rang zwischen Tod und Leben, Hülfe ru-
fen konnte sie nicht, denn auch der Gebrauch der
Zunge war ihr gehemmt; auf einmal erwachte
sie von einer gänzlichen Erschlaffung ihrer Kräfte,
der Säugling krümmte sich zu ihren Füssen, im
Streit mit Tod und Leben. Mit der Mine der
Verzweifelung blikte sie es an, dachte es sich als
ein verworfenes Glied der Gesellschaft -- als
Bastard -- sah änliche Züge mit ihrem Verfüh-
rer, und plözlich verlies ihr auch noch die wenige
Vernunft und Besinnungskraft, so ihr noch übrig
blieb, sie faßte und zerschmetterte es im wilden
Wahnsinn. Da sie seine zerschellerten Gebeine
sah, stieß sie einen wütenden Schrei aus, und
stürzte darnieder; man eilte herzu, fand sie blaß
mit entstelltem Gesicht, mit aufgelößtem Haar,
mit starrem Blik auf die noch zukkenden Glieder
gerichtet. Man eilte herzu, schlepte sie mit Mühe
weg, öfnete ihr eine Ader, und sie kam wieder

E

konnte, ſo warf ſie ſich oft in wuͤtender Ver-
zweiflung auf die Knie und bat den Urheber ihres
Daſeins, ſie wegzuraffen mit einem ſeiner toͤden-
den Blizze — ſie auszutilgen aus der Zal der
Lebenden. Jn einer ſolchen Zerruͤttung ihrer
Seelenkraͤfte erſchien nun die gefuͤrchtete Stunde
— ſie rang zwiſchen Tod und Leben, Huͤlfe ru-
fen konnte ſie nicht, denn auch der Gebrauch der
Zunge war ihr gehemmt; auf einmal erwachte
ſie von einer gaͤnzlichen Erſchlaffung ihrer Kraͤfte,
der Saͤugling kruͤmmte ſich zu ihren Fuͤſſen, im
Streit mit Tod und Leben. Mit der Mine der
Verzweifelung blikte ſie es an, dachte es ſich als
ein verworfenes Glied der Geſellſchaft — als
Baſtard — ſah aͤnliche Zuͤge mit ihrem Verfuͤh-
rer, und ploͤzlich verlies ihr auch noch die wenige
Vernunft und Beſinnungskraft, ſo ihr noch uͤbrig
blieb, ſie faßte und zerſchmetterte es im wilden
Wahnſinn. Da ſie ſeine zerſchellerten Gebeine
ſah, ſtieß ſie einen wuͤtenden Schrei aus, und
ſtuͤrzte darnieder; man eilte herzu, fand ſie blaß
mit entſtelltem Geſicht, mit aufgeloͤßtem Haar,
mit ſtarrem Blik auf die noch zukkenden Glieder
gerichtet. Man eilte herzu, ſchlepte ſie mit Muͤhe
weg, oͤfnete ihr eine Ader, und ſie kam wieder

E
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0073" n="65"/>
konnte, &#x017F;o warf &#x017F;ie &#x017F;ich oft in wu&#x0364;tender Ver-<lb/>
zweiflung auf die Knie und bat den Urheber ihres<lb/>
Da&#x017F;eins, &#x017F;ie wegzuraffen mit einem &#x017F;einer to&#x0364;den-<lb/>
den Blizze &#x2014; &#x017F;ie auszutilgen aus der Zal der<lb/>
Lebenden. Jn einer &#x017F;olchen Zerru&#x0364;ttung ihrer<lb/>
Seelenkra&#x0364;fte er&#x017F;chien nun die gefu&#x0364;rchtete Stunde<lb/>
&#x2014; &#x017F;ie rang zwi&#x017F;chen Tod und Leben, Hu&#x0364;lfe ru-<lb/>
fen konnte &#x017F;ie nicht, denn auch der Gebrauch der<lb/>
Zunge war ihr gehemmt; auf einmal erwachte<lb/>
&#x017F;ie von einer ga&#x0364;nzlichen Er&#x017F;chlaffung ihrer Kra&#x0364;fte,<lb/>
der Sa&#x0364;ugling kru&#x0364;mmte &#x017F;ich zu ihren Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, im<lb/>
Streit mit Tod und Leben. Mit der Mine der<lb/>
Verzweifelung blikte &#x017F;ie es an, dachte es &#x017F;ich als<lb/>
ein verworfenes Glied der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x2014; als<lb/>
Ba&#x017F;tard &#x2014; &#x017F;ah a&#x0364;nliche Zu&#x0364;ge mit ihrem Verfu&#x0364;h-<lb/>
rer, und plo&#x0364;zlich verlies ihr auch noch die wenige<lb/>
Vernunft und Be&#x017F;innungskraft, &#x017F;o ihr noch u&#x0364;brig<lb/>
blieb, &#x017F;ie faßte und zer&#x017F;chmetterte es im wilden<lb/>
Wahn&#x017F;inn. Da &#x017F;ie &#x017F;eine zer&#x017F;chellerten Gebeine<lb/>
&#x017F;ah, &#x017F;tieß &#x017F;ie einen wu&#x0364;tenden Schrei aus, und<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;rzte darnieder; man eilte herzu, fand &#x017F;ie blaß<lb/>
mit ent&#x017F;telltem Ge&#x017F;icht, mit aufgelo&#x0364;ßtem Haar,<lb/>
mit &#x017F;tarrem Blik auf die noch zukkenden Glieder<lb/>
gerichtet. Man eilte herzu, &#x017F;chlepte &#x017F;ie mit Mu&#x0364;he<lb/>
weg, o&#x0364;fnete ihr eine Ader, und &#x017F;ie kam wieder<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0073] konnte, ſo warf ſie ſich oft in wuͤtender Ver- zweiflung auf die Knie und bat den Urheber ihres Daſeins, ſie wegzuraffen mit einem ſeiner toͤden- den Blizze — ſie auszutilgen aus der Zal der Lebenden. Jn einer ſolchen Zerruͤttung ihrer Seelenkraͤfte erſchien nun die gefuͤrchtete Stunde — ſie rang zwiſchen Tod und Leben, Huͤlfe ru- fen konnte ſie nicht, denn auch der Gebrauch der Zunge war ihr gehemmt; auf einmal erwachte ſie von einer gaͤnzlichen Erſchlaffung ihrer Kraͤfte, der Saͤugling kruͤmmte ſich zu ihren Fuͤſſen, im Streit mit Tod und Leben. Mit der Mine der Verzweifelung blikte ſie es an, dachte es ſich als ein verworfenes Glied der Geſellſchaft — als Baſtard — ſah aͤnliche Zuͤge mit ihrem Verfuͤh- rer, und ploͤzlich verlies ihr auch noch die wenige Vernunft und Beſinnungskraft, ſo ihr noch uͤbrig blieb, ſie faßte und zerſchmetterte es im wilden Wahnſinn. Da ſie ſeine zerſchellerten Gebeine ſah, ſtieß ſie einen wuͤtenden Schrei aus, und ſtuͤrzte darnieder; man eilte herzu, fand ſie blaß mit entſtelltem Geſicht, mit aufgeloͤßtem Haar, mit ſtarrem Blik auf die noch zukkenden Glieder gerichtet. Man eilte herzu, ſchlepte ſie mit Muͤhe weg, oͤfnete ihr eine Ader, und ſie kam wieder E

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/73
Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/73>, abgerufen am 04.12.2024.