Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

schaft riß sie in einer gefahrvollen Stunde hinweg,
nud übertäubte die Stimme der Religion, und
die ohnmächtige Sprache der Vernunft. Jhre
That
war die Frucht des Wahnsinns, und
eine Zerrüttung all' ihrer Sinne. Sie war
zu der Stunde, da sie die mütterlichen Gefühle
verleugnete, nicht fähig zu denken -- zu empfin-
den und zu fühlen -- Sie hatte also alle Attri-
bute der Menschheit verloren, und hatte blos ei-
nen thierischen Jnstinkt, und auch der war ge-
wissermassen betäubt; konnte sie daher als
Mensch betrachtet werden? Konnten mensch-
liche Gesezze
auf sie würken? Beantworte
diese Fragen, wer überzeugt ist, und wer sollte es
nicht sein? daß der Richter ohne Kenntnis
des Menschen, seiner innern Neigungen,
und der Entstehungsart seiner Handlungen
ohne Philosophie des Lebens, der gefähr-
lichste Bube
ist, der auf Gottes Erdboden
schleicht, der unter dem Schirm der Gesezze han-
delt, und gefährlicher ist wie der Räuber, der
mir nach meinem Gut, und der Mörder, der
mir nach dem Leben steht.

Jhre öffentliche Hinrichtung! was sollte
sie bewürken? Abscheu vor Laster! Ein warnen-

E 2

ſchaft riß ſie in einer gefahrvollen Stunde hinweg,
nud uͤbertaͤubte die Stimme der Religion, und
die ohnmaͤchtige Sprache der Vernunft. Jhre
That
war die Frucht des Wahnſinns, und
eine Zerruͤttung all’ ihrer Sinne. Sie war
zu der Stunde, da ſie die muͤtterlichen Gefuͤhle
verleugnete, nicht faͤhig zu denken — zu empfin-
den und zu fuͤhlen — Sie hatte alſo alle Attri-
bute der Menſchheit verloren, und hatte blos ei-
nen thieriſchen Jnſtinkt, und auch der war ge-
wiſſermaſſen betaͤubt; konnte ſie daher als
Menſch betrachtet werden? Konnten menſch-
liche Geſezze
auf ſie wuͤrken? Beantworte
dieſe Fragen, wer uͤberzeugt iſt, und wer ſollte es
nicht ſein? daß der Richter ohne Kenntnis
des Menſchen, ſeiner innern Neigungen,
und der Entſtehungsart ſeiner Handlungen
ohne Philoſophie des Lebens, der gefaͤhr-
lichſte Bube
iſt, der auf Gottes Erdboden
ſchleicht, der unter dem Schirm der Geſezze han-
delt, und gefaͤhrlicher iſt wie der Raͤuber, der
mir nach meinem Gut, und der Moͤrder, der
mir nach dem Leben ſteht.

Jhre oͤffentliche Hinrichtung! was ſollte
ſie bewuͤrken? Abſcheu vor Laſter! Ein warnen-

E 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0075" n="67"/>
&#x017F;chaft riß &#x017F;ie in einer gefahrvollen Stunde hinweg,<lb/>
nud u&#x0364;berta&#x0364;ubte die Stimme der Religion, und<lb/>
die ohnma&#x0364;chtige Sprache der Vernunft. <hi rendition="#fr">Jhre<lb/>
That</hi> war die <hi rendition="#fr">Frucht des Wahn&#x017F;inns,</hi> und<lb/><hi rendition="#fr">eine Zerru&#x0364;ttung all&#x2019; ihrer Sinne.</hi> Sie war<lb/>
zu der Stunde, da &#x017F;ie die mu&#x0364;tterlichen Gefu&#x0364;hle<lb/>
verleugnete, nicht fa&#x0364;hig zu denken &#x2014; zu empfin-<lb/>
den und zu fu&#x0364;hlen &#x2014; Sie hatte al&#x017F;o alle Attri-<lb/>
bute der Men&#x017F;chheit verloren, und hatte blos ei-<lb/>
nen thieri&#x017F;chen Jn&#x017F;tinkt, und auch der war ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;erma&#x017F;&#x017F;en beta&#x0364;ubt; konnte &#x017F;ie daher als<lb/><hi rendition="#fr">Men&#x017F;ch</hi> betrachtet werden? Konnten <hi rendition="#fr">men&#x017F;ch-<lb/>
liche Ge&#x017F;ezze</hi> auf &#x017F;ie wu&#x0364;rken? Beantworte<lb/>
die&#x017F;e Fragen, wer u&#x0364;berzeugt i&#x017F;t, und wer &#x017F;ollte es<lb/>
nicht &#x017F;ein? daß der <hi rendition="#fr">Richter ohne Kenntnis<lb/>
des Men&#x017F;chen, &#x017F;einer innern Neigungen,<lb/>
und der Ent&#x017F;tehungsart &#x017F;einer Handlungen<lb/>
ohne Philo&#x017F;ophie des Lebens, der gefa&#x0364;hr-<lb/>
lich&#x017F;te Bube</hi> i&#x017F;t, der auf Gottes Erdboden<lb/>
&#x017F;chleicht, der unter dem Schirm der Ge&#x017F;ezze han-<lb/>
delt, und gefa&#x0364;hrlicher i&#x017F;t wie der Ra&#x0364;uber, der<lb/>
mir nach meinem Gut, und der Mo&#x0364;rder, der<lb/>
mir nach dem Leben &#x017F;teht.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Jhre o&#x0364;ffentliche Hinrichtung!</hi> was &#x017F;ollte<lb/>
&#x017F;ie bewu&#x0364;rken? Ab&#x017F;cheu vor La&#x017F;ter! Ein warnen-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 2</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0075] ſchaft riß ſie in einer gefahrvollen Stunde hinweg, nud uͤbertaͤubte die Stimme der Religion, und die ohnmaͤchtige Sprache der Vernunft. Jhre That war die Frucht des Wahnſinns, und eine Zerruͤttung all’ ihrer Sinne. Sie war zu der Stunde, da ſie die muͤtterlichen Gefuͤhle verleugnete, nicht faͤhig zu denken — zu empfin- den und zu fuͤhlen — Sie hatte alſo alle Attri- bute der Menſchheit verloren, und hatte blos ei- nen thieriſchen Jnſtinkt, und auch der war ge- wiſſermaſſen betaͤubt; konnte ſie daher als Menſch betrachtet werden? Konnten menſch- liche Geſezze auf ſie wuͤrken? Beantworte dieſe Fragen, wer uͤberzeugt iſt, und wer ſollte es nicht ſein? daß der Richter ohne Kenntnis des Menſchen, ſeiner innern Neigungen, und der Entſtehungsart ſeiner Handlungen ohne Philoſophie des Lebens, der gefaͤhr- lichſte Bube iſt, der auf Gottes Erdboden ſchleicht, der unter dem Schirm der Geſezze han- delt, und gefaͤhrlicher iſt wie der Raͤuber, der mir nach meinem Gut, und der Moͤrder, der mir nach dem Leben ſteht. Jhre oͤffentliche Hinrichtung! was ſollte ſie bewuͤrken? Abſcheu vor Laſter! Ein warnen- E 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/75
Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/75>, abgerufen am 04.12.2024.