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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Entwicklung des Knochensystems.
physis, deren Bildung wir beim Gehirn besprechen werden, nir-
gends eine Lücke des Schädelgrundes an und sind seine Balken
nichts als derbere Streifen in der zusammenhängenden Basis. Dass
solche aber wirklich vorkommen, kann meiner Meinung zufolge nicht
bezweifelt werden und hat diess ja auch Reichert z. Th. zugegeben.
Der mittlere Schädelbalken ist meinen Untersuchungen an jungen
menschlichen Embryonen zufolge nichts als das sehr früh auftretende
Tentorium cerebelli (Fig. 86), und nicht Sattellehne,
die erst später hervorwächst, und was die Chorda
anlangt, so muss ich nach Untersuchungen an Hüh-
nerembryonen mich dahin aussprechen, dass sie,
wenn auch nicht bis an's vorderste Ende der Urwir-
[Abbildung] Fig. 86.
belplatten, doch anfangs weiter nach vorn reicht, als Rathke und
auch Remak annehmen, dann aber in Folge der mächtigen Entwick-
lung der vordersten Theile des Schädels immer weiter nach hinten
zu liegen kommt.

Der häutige Primordialschädel, der ein ganz getreuer Ab-Knorpeliges Pri-
mordialcranium.

druck des Gehirns ist, besteht nur kurze Zeit und wandelt sich
bald durch histologische Differenzirung in das knorpelige Pri-
mordialcranium
um, wobei nur das sicher ist, dass die Ver-
knorpelung an der Basis beginnt, dagegen zweifelhaft bleibt, ob

[Abbildung]

Fig. 86. Senkrechter Durchschnitt durch den Schädel eines 8 Wochen
alten menschlichen Embryo in natürlicher Grösse. Die Schädelbasis erhebt
sich in der Gegend der spätern Sattellehne in einen grossen mittleren, am Ur-
sprunge im Innern knorpeligen, sonst häutigen Fortsatz, welcher der mittlere
Schädelbalken Rathke's ist. Von diesem zieht sich bis zu 2 eine Falte der
harten Hirnhaut, das Tentorium cerebelli, zu dem auch der häutige Theil des
erwähnten Fortsatzes gehört. Die kleine Grube vor dem Tentorium unmittel-
bar über dem Fortsatze ist für das Mittelhirn (Vierhügel), die grössere Grube
zwischen 2 und 3 für das Cerebellum. Bei 3 ist eine Falte der Hirnhaut, die
zwischen Cerebellum und Medulla oblongata sich einsenkt, für welche letztere
die Grube hinter dieser Falte bei 4 bestimmt ist. In diese erhebt sich noch eine
kleine Kante der Basis, die unmittelbar hinter dem Pons liegt und dem hinter-
sten Theile der Schädelbasis entspricht. Der grössere Raum der Schädelhöhle
vor dem grossen Basilarfortsatze wird nochmals durch eine seitliche Hirnhaut-
falte bei 1 in zwei Räume geschieden, von denen der vordere das grosse Hirn,
der hintere den Sehhügel mit den entsprechenden Basaltheilen (Tuber cine-
reum, Hypophysis
etc.) enthält. Der vorderste höhere Theil der Schädelbasis
ist das Siebbein und Nasentheil derselben. -- Zur bessern Orientirung ver-
gleiche man die spätere Zeichnung des Gehirns eines Embryo aus dem 2. Mo-
nate.

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Entwicklung des Knochensystems.
physis, deren Bildung wir beim Gehirn besprechen werden, nir-
gends eine Lücke des Schädelgrundes an und sind seine Balken
nichts als derbere Streifen in der zusammenhängenden Basis. Dass
solche aber wirklich vorkommen, kann meiner Meinung zufolge nicht
bezweifelt werden und hat diess ja auch Reichert z. Th. zugegeben.
Der mittlere Schädelbalken ist meinen Untersuchungen an jungen
menschlichen Embryonen zufolge nichts als das sehr früh auftretende
Tentorium cerebelli (Fig. 86), und nicht Sattellehne,
die erst später hervorwächst, und was die Chorda
anlangt, so muss ich nach Untersuchungen an Hüh-
nerembryonen mich dahin aussprechen, dass sie,
wenn auch nicht bis an’s vorderste Ende der Urwir-
[Abbildung] Fig. 86.
belplatten, doch anfangs weiter nach vorn reicht, als Rathke und
auch Remak annehmen, dann aber in Folge der mächtigen Entwick-
lung der vordersten Theile des Schädels immer weiter nach hinten
zu liegen kommt.

Der häutige Primordialschädel, der ein ganz getreuer Ab-Knorpeliges Pri-
mordialcranium.

druck des Gehirns ist, besteht nur kurze Zeit und wandelt sich
bald durch histologische Differenzirung in das knorpelige Pri-
mordialcranium
um, wobei nur das sicher ist, dass die Ver-
knorpelung an der Basis beginnt, dagegen zweifelhaft bleibt, ob

[Abbildung]

Fig. 86. Senkrechter Durchschnitt durch den Schädel eines 8 Wochen
alten menschlichen Embryo in natürlicher Grösse. Die Schädelbasis erhebt
sich in der Gegend der spätern Sattellehne in einen grossen mittleren, am Ur-
sprunge im Innern knorpeligen, sonst häutigen Fortsatz, welcher der mittlere
Schädelbalken Rathke’s ist. Von diesem zieht sich bis zu 2 eine Falte der
harten Hirnhaut, das Tentorium cerebelli, zu dem auch der häutige Theil des
erwähnten Fortsatzes gehört. Die kleine Grube vor dem Tentorium unmittel-
bar über dem Fortsatze ist für das Mittelhirn (Vierhügel), die grössere Grube
zwischen 2 und 3 für das Cerebellum. Bei 3 ist eine Falte der Hirnhaut, die
zwischen Cerebellum und Medulla oblongata sich einsenkt, für welche letztere
die Grube hinter dieser Falte bei 4 bestimmt ist. In diese erhebt sich noch eine
kleine Kante der Basis, die unmittelbar hinter dem Pons liegt und dem hinter-
sten Theile der Schädelbasis entspricht. Der grössere Raum der Schädelhöhle
vor dem grossen Basilarfortsatze wird nochmals durch eine seitliche Hirnhaut-
falte bei 1 in zwei Räume geschieden, von denen der vordere das grosse Hirn,
der hintere den Sehhügel mit den entsprechenden Basaltheilen (Tuber cine-
reum, Hypophysis
etc.) enthält. Der vorderste höhere Theil der Schädelbasis
ist das Siebbein und Nasentheil derselben. — Zur bessern Orientirung ver-
gleiche man die spätere Zeichnung des Gehirns eines Embryo aus dem 2. Mo-
nate.

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[195/0211] Entwicklung des Knochensystems. physis, deren Bildung wir beim Gehirn besprechen werden, nir- gends eine Lücke des Schädelgrundes an und sind seine Balken nichts als derbere Streifen in der zusammenhängenden Basis. Dass solche aber wirklich vorkommen, kann meiner Meinung zufolge nicht bezweifelt werden und hat diess ja auch Reichert z. Th. zugegeben. Der mittlere Schädelbalken ist meinen Untersuchungen an jungen menschlichen Embryonen zufolge nichts als das sehr früh auftretende Tentorium cerebelli (Fig. 86), und nicht Sattellehne, die erst später hervorwächst, und was die Chorda anlangt, so muss ich nach Untersuchungen an Hüh- nerembryonen mich dahin aussprechen, dass sie, wenn auch nicht bis an’s vorderste Ende der Urwir- [Abbildung Fig. 86.] belplatten, doch anfangs weiter nach vorn reicht, als Rathke und auch Remak annehmen, dann aber in Folge der mächtigen Entwick- lung der vordersten Theile des Schädels immer weiter nach hinten zu liegen kommt. Der häutige Primordialschädel, der ein ganz getreuer Ab- druck des Gehirns ist, besteht nur kurze Zeit und wandelt sich bald durch histologische Differenzirung in das knorpelige Pri- mordialcranium um, wobei nur das sicher ist, dass die Ver- knorpelung an der Basis beginnt, dagegen zweifelhaft bleibt, ob [Abbildung Fig. 86. Senkrechter Durchschnitt durch den Schädel eines 8 Wochen alten menschlichen Embryo in natürlicher Grösse. Die Schädelbasis erhebt sich in der Gegend der spätern Sattellehne in einen grossen mittleren, am Ur- sprunge im Innern knorpeligen, sonst häutigen Fortsatz, welcher der mittlere Schädelbalken Rathke’s ist. Von diesem zieht sich bis zu 2 eine Falte der harten Hirnhaut, das Tentorium cerebelli, zu dem auch der häutige Theil des erwähnten Fortsatzes gehört. Die kleine Grube vor dem Tentorium unmittel- bar über dem Fortsatze ist für das Mittelhirn (Vierhügel), die grössere Grube zwischen 2 und 3 für das Cerebellum. Bei 3 ist eine Falte der Hirnhaut, die zwischen Cerebellum und Medulla oblongata sich einsenkt, für welche letztere die Grube hinter dieser Falte bei 4 bestimmt ist. In diese erhebt sich noch eine kleine Kante der Basis, die unmittelbar hinter dem Pons liegt und dem hinter- sten Theile der Schädelbasis entspricht. Der grössere Raum der Schädelhöhle vor dem grossen Basilarfortsatze wird nochmals durch eine seitliche Hirnhaut- falte bei 1 in zwei Räume geschieden, von denen der vordere das grosse Hirn, der hintere den Sehhügel mit den entsprechenden Basaltheilen (Tuber cine- reum, Hypophysis etc.) enthält. Der vorderste höhere Theil der Schädelbasis ist das Siebbein und Nasentheil derselben. — Zur bessern Orientirung ver- gleiche man die spätere Zeichnung des Gehirns eines Embryo aus dem 2. Mo- nate.] Knorpeliges Pri- mordialcranium. 13*

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/211>, abgerufen am 23.11.2024.