Entwicklung der Faserhaut des Auges.Meine Herren! Nachdem ich Ihnen nun die Bildung des Auges im Allgemeinen und namentlich mit Hinsicht auf die frühesten Zu- stände geschildert habe, wende ich mich jetzt zu einer speciellen Darstellung der einzelnen Theile desselben und beginne mit der Sclerotica und Cornea. Beide diese Häute, welche zusammen die Faserhaut des Auges darstellen, sind bei der ersten Entwicklung des Auges noch nicht angelegt, vielmehr sondern sich dieselben erst in zweiter Linie aus den benachbarten Theilen der Kopfplatten in ähnlicher Weise wie z. B. die Dura und Pia mater des Gehirns und Rückenmarks aus den Urwirbeln und nicht aus dem Medullarrohre selbst hervorgehen. So sicher diess ist, so wenig ausgemacht ist es auf der anderen Seite, ob die Faserhaut des Auges gleich als ge- schlossene Blase erscheint oder ursprünglich die Form der eben- gebildeten secundären Augenblase hat, d. h. eine Spalte oder Lücke an der unteren inneren Seite und vorn ein Loch entsprechend der Linse besitzt. Für das Vorkommen einer Art Spalte an der jungen Sclera sprechen einige jedoch nicht klar genug vorgebrachte Mitthei- lungen von Ammon (die Entwicklungsgesch. d. menschl. Auges. 1858. St. 40 u. flgde.) und zu Gunsten der Annahme eines ursprünglichen Mangels der Faserhaut vor der Linse lässt sich der Umstand anfüh- ren, dass auf jeden Fall die Linse uranfänglich nur von der äusseren Haut, nach Remak selbst nur von dem Hornblatte bedeckt ist. Mag dem sein wie ihm wolle, so bildet auf jeden Fall die Faserhaut sehr früh schon eine vollkommen geschlossene Blase, und ist in der Mitte des zweiten Monats bei menschlichen Embryonen deutlich und be- stimmt zu erkennen, während der vier Wochen alte Embryo noch keine Spur von ihr zeigt. In diesem und in der ersten Hälfte des
Neunundzwanzigste Vorlesung.
Entwicklung der Faserhaut des Auges.Meine Herren! Nachdem ich Ihnen nun die Bildung des Auges im Allgemeinen und namentlich mit Hinsicht auf die frühesten Zu- stände geschildert habe, wende ich mich jetzt zu einer speciellen Darstellung der einzelnen Theile desselben und beginne mit der Sclerotica und Cornea. Beide diese Häute, welche zusammen die Faserhaut des Auges darstellen, sind bei der ersten Entwicklung des Auges noch nicht angelegt, vielmehr sondern sich dieselben erst in zweiter Linie aus den benachbarten Theilen der Kopfplatten in ähnlicher Weise wie z. B. die Dura und Pia mater des Gehirns und Rückenmarks aus den Urwirbeln und nicht aus dem Medullarrohre selbst hervorgehen. So sicher diess ist, so wenig ausgemacht ist es auf der anderen Seite, ob die Faserhaut des Auges gleich als ge- schlossene Blase erscheint oder ursprünglich die Form der eben- gebildeten secundären Augenblase hat, d. h. eine Spalte oder Lücke an der unteren inneren Seite und vorn ein Loch entsprechend der Linse besitzt. Für das Vorkommen einer Art Spalte an der jungen Sclera sprechen einige jedoch nicht klar genug vorgebrachte Mitthei- lungen von Ammon (die Entwicklungsgesch. d. menschl. Auges. 1858. St. 40 u. flgde.) und zu Gunsten der Annahme eines ursprünglichen Mangels der Faserhaut vor der Linse lässt sich der Umstand anfüh- ren, dass auf jeden Fall die Linse uranfänglich nur von der äusseren Haut, nach Remak selbst nur von dem Hornblatte bedeckt ist. Mag dem sein wie ihm wolle, so bildet auf jeden Fall die Faserhaut sehr früh schon eine vollkommen geschlossene Blase, und ist in der Mitte des zweiten Monats bei menschlichen Embryonen deutlich und be- stimmt zu erkennen, während der vier Wochen alte Embryo noch keine Spur von ihr zeigt. In diesem und in der ersten Hälfte des
<TEI><text><body><pbfacs="#f0302"n="[286]"/><divn="1"><head><hirendition="#b">Neunundzwanzigste Vorlesung.</hi></head><lb/><p><noteplace="left">Entwicklung<lb/>
der Faserhaut<lb/>
des Auges.</note>Meine Herren! Nachdem ich Ihnen nun die Bildung des Auges<lb/>
im Allgemeinen und namentlich mit Hinsicht auf die frühesten Zu-<lb/>
stände geschildert habe, wende ich mich jetzt zu einer speciellen<lb/>
Darstellung der einzelnen Theile desselben und beginne mit der<lb/><hirendition="#i"><hirendition="#g">Sclerotica</hi></hi> und <hirendition="#i"><hirendition="#g">Cornea</hi></hi>. Beide diese Häute, welche zusammen<lb/>
die Faserhaut des Auges darstellen, sind bei der ersten Entwicklung<lb/>
des Auges noch nicht angelegt, vielmehr sondern sich dieselben erst<lb/>
in zweiter Linie aus den benachbarten Theilen der Kopfplatten in<lb/>
ähnlicher Weise wie z. B. die <hirendition="#i">Dura</hi> und <hirendition="#i">Pia mater</hi> des Gehirns und<lb/>
Rückenmarks aus den Urwirbeln und nicht aus dem Medullarrohre<lb/>
selbst hervorgehen. So sicher diess ist, so wenig ausgemacht ist es<lb/>
auf der anderen Seite, ob die Faserhaut des Auges gleich als ge-<lb/>
schlossene Blase erscheint oder ursprünglich die Form der eben-<lb/>
gebildeten secundären Augenblase hat, d. h. eine Spalte oder Lücke<lb/>
an der unteren inneren Seite und vorn ein Loch entsprechend der<lb/>
Linse besitzt. Für das Vorkommen einer Art Spalte an der jungen<lb/><hirendition="#i">Sclera</hi> sprechen einige jedoch nicht klar genug vorgebrachte Mitthei-<lb/>
lungen von <hirendition="#k">Ammon</hi> (die Entwicklungsgesch. d. menschl. Auges. 1858.<lb/>
St. 40 u. flgde.) und zu Gunsten der Annahme eines ursprünglichen<lb/>
Mangels der Faserhaut vor der Linse lässt sich der Umstand anfüh-<lb/>
ren, dass auf jeden Fall die Linse uranfänglich nur von der äusseren<lb/>
Haut, nach <hirendition="#k">Remak</hi> selbst nur von dem Hornblatte bedeckt ist. Mag<lb/>
dem sein wie ihm wolle, so bildet auf jeden Fall die Faserhaut sehr<lb/>
früh schon eine vollkommen geschlossene Blase, und ist in der Mitte<lb/>
des zweiten Monats bei menschlichen Embryonen deutlich und be-<lb/>
stimmt zu erkennen, während der vier Wochen alte Embryo noch<lb/>
keine Spur von ihr zeigt. In diesem und in der ersten Hälfte des<lb/></p></div></body></text></TEI>
[[286]/0302]
Neunundzwanzigste Vorlesung.
Meine Herren! Nachdem ich Ihnen nun die Bildung des Auges
im Allgemeinen und namentlich mit Hinsicht auf die frühesten Zu-
stände geschildert habe, wende ich mich jetzt zu einer speciellen
Darstellung der einzelnen Theile desselben und beginne mit der
Sclerotica und Cornea. Beide diese Häute, welche zusammen
die Faserhaut des Auges darstellen, sind bei der ersten Entwicklung
des Auges noch nicht angelegt, vielmehr sondern sich dieselben erst
in zweiter Linie aus den benachbarten Theilen der Kopfplatten in
ähnlicher Weise wie z. B. die Dura und Pia mater des Gehirns und
Rückenmarks aus den Urwirbeln und nicht aus dem Medullarrohre
selbst hervorgehen. So sicher diess ist, so wenig ausgemacht ist es
auf der anderen Seite, ob die Faserhaut des Auges gleich als ge-
schlossene Blase erscheint oder ursprünglich die Form der eben-
gebildeten secundären Augenblase hat, d. h. eine Spalte oder Lücke
an der unteren inneren Seite und vorn ein Loch entsprechend der
Linse besitzt. Für das Vorkommen einer Art Spalte an der jungen
Sclera sprechen einige jedoch nicht klar genug vorgebrachte Mitthei-
lungen von Ammon (die Entwicklungsgesch. d. menschl. Auges. 1858.
St. 40 u. flgde.) und zu Gunsten der Annahme eines ursprünglichen
Mangels der Faserhaut vor der Linse lässt sich der Umstand anfüh-
ren, dass auf jeden Fall die Linse uranfänglich nur von der äusseren
Haut, nach Remak selbst nur von dem Hornblatte bedeckt ist. Mag
dem sein wie ihm wolle, so bildet auf jeden Fall die Faserhaut sehr
früh schon eine vollkommen geschlossene Blase, und ist in der Mitte
des zweiten Monats bei menschlichen Embryonen deutlich und be-
stimmt zu erkennen, während der vier Wochen alte Embryo noch
keine Spur von ihr zeigt. In diesem und in der ersten Hälfte des
Entwicklung
der Faserhaut
des Auges.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. [286]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/302>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.