Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ich, sie bekommt wieder ein Kind um's andere ins Haus, da hab' ich mir gedacht, sie wird das Geld nöthig haben, kann ein Stück Feld dafür kaufen und ein Kind drauf einschreiben lassen. Welche ungewohnte Sprache tönte heute zum ersten Mal nach zehn Jahren an die Ohren der alten Frau! Hörte sie Himmelsharmonieen, Chöre engelhafter Stimmen, die ihr auf Schwingen des Gesanges die Kunde zutrugen, welche Veränderung mit ihrem Sohne vorgegangen? Josseph, Josseph, rief sie schluchzend, Gott soll dir's zahlen! Sage nur der Dienstmagd scharf ein, sprach er auf diesen Ausbruch mütterlicher Zärtlichkeit mit überlegter Kälte, sag ihr's nur scharf ein, sie darf nicht weggehen, bis sie nicht die Quittung in der Hand hat. Josseph, Josseph! weinte die alte Frau. Er stand vom Tische auf, schob das Geld auf einen Haufen und trat dann zum Fenster; leise pfeifend blickte er eine lange Weile in die finstere Nacht hinaus. Dachte er an etwas, was wir nicht errathen können? Vom Fenster ging er dann wieder zum Tische und ließ noch einmal den Blick auf den geschriebenen 578 fl. 35 kr. haften. Mit einem heftigen Rucke der Hand löschte er sie dann aus. So, sagte er halblaut für sich, das Beste ist, ich bin mit ihr fertig geworden. Die alte Marjim war eine feinfühlende Natur. ich, sie bekommt wieder ein Kind um's andere ins Haus, da hab' ich mir gedacht, sie wird das Geld nöthig haben, kann ein Stück Feld dafür kaufen und ein Kind drauf einschreiben lassen. Welche ungewohnte Sprache tönte heute zum ersten Mal nach zehn Jahren an die Ohren der alten Frau! Hörte sie Himmelsharmonieen, Chöre engelhafter Stimmen, die ihr auf Schwingen des Gesanges die Kunde zutrugen, welche Veränderung mit ihrem Sohne vorgegangen? Josseph, Josseph, rief sie schluchzend, Gott soll dir's zahlen! Sage nur der Dienstmagd scharf ein, sprach er auf diesen Ausbruch mütterlicher Zärtlichkeit mit überlegter Kälte, sag ihr's nur scharf ein, sie darf nicht weggehen, bis sie nicht die Quittung in der Hand hat. Josseph, Josseph! weinte die alte Frau. Er stand vom Tische auf, schob das Geld auf einen Haufen und trat dann zum Fenster; leise pfeifend blickte er eine lange Weile in die finstere Nacht hinaus. Dachte er an etwas, was wir nicht errathen können? Vom Fenster ging er dann wieder zum Tische und ließ noch einmal den Blick auf den geschriebenen 578 fl. 35 kr. haften. Mit einem heftigen Rucke der Hand löschte er sie dann aus. So, sagte er halblaut für sich, das Beste ist, ich bin mit ihr fertig geworden. Die alte Marjim war eine feinfühlende Natur. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="9"> <p><pb facs="#f0134"/> ich, sie bekommt wieder ein Kind um's andere ins Haus, da hab' ich mir gedacht, sie wird das Geld nöthig haben, kann ein Stück Feld dafür kaufen und ein Kind drauf einschreiben lassen.</p><lb/> <p>Welche ungewohnte Sprache tönte heute zum ersten Mal nach zehn Jahren an die Ohren der alten Frau! Hörte sie Himmelsharmonieen, Chöre engelhafter Stimmen, die ihr auf Schwingen des Gesanges die Kunde zutrugen, welche Veränderung mit ihrem Sohne vorgegangen?</p><lb/> <p>Josseph, Josseph, rief sie schluchzend, Gott soll dir's zahlen!</p><lb/> <p>Sage nur der Dienstmagd scharf ein, sprach er auf diesen Ausbruch mütterlicher Zärtlichkeit mit überlegter Kälte, sag ihr's nur scharf ein, sie darf nicht weggehen, bis sie nicht die Quittung in der Hand hat.</p><lb/> <p>Josseph, Josseph! weinte die alte Frau.</p><lb/> <p>Er stand vom Tische auf, schob das Geld auf einen Haufen und trat dann zum Fenster; leise pfeifend blickte er eine lange Weile in die finstere Nacht hinaus. Dachte er an etwas, was wir nicht errathen können? Vom Fenster ging er dann wieder zum Tische und ließ noch einmal den Blick auf den geschriebenen 578 fl. 35 kr. haften. Mit einem heftigen Rucke der Hand löschte er sie dann aus.</p><lb/> <p>So, sagte er halblaut für sich, das Beste ist, ich bin mit ihr fertig geworden.</p><lb/> <p>Die alte Marjim war eine feinfühlende Natur.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0134]
ich, sie bekommt wieder ein Kind um's andere ins Haus, da hab' ich mir gedacht, sie wird das Geld nöthig haben, kann ein Stück Feld dafür kaufen und ein Kind drauf einschreiben lassen.
Welche ungewohnte Sprache tönte heute zum ersten Mal nach zehn Jahren an die Ohren der alten Frau! Hörte sie Himmelsharmonieen, Chöre engelhafter Stimmen, die ihr auf Schwingen des Gesanges die Kunde zutrugen, welche Veränderung mit ihrem Sohne vorgegangen?
Josseph, Josseph, rief sie schluchzend, Gott soll dir's zahlen!
Sage nur der Dienstmagd scharf ein, sprach er auf diesen Ausbruch mütterlicher Zärtlichkeit mit überlegter Kälte, sag ihr's nur scharf ein, sie darf nicht weggehen, bis sie nicht die Quittung in der Hand hat.
Josseph, Josseph! weinte die alte Frau.
Er stand vom Tische auf, schob das Geld auf einen Haufen und trat dann zum Fenster; leise pfeifend blickte er eine lange Weile in die finstere Nacht hinaus. Dachte er an etwas, was wir nicht errathen können? Vom Fenster ging er dann wieder zum Tische und ließ noch einmal den Blick auf den geschriebenen 578 fl. 35 kr. haften. Mit einem heftigen Rucke der Hand löschte er sie dann aus.
So, sagte er halblaut für sich, das Beste ist, ich bin mit ihr fertig geworden.
Die alte Marjim war eine feinfühlende Natur.
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/134>, abgerufen am 17.07.2024. |