Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.seiner Schwester in tiefer Nacht an ihren Fenstern gehorcht hatte, trieb es ihn auch jetzt, dort zu lauschen . . . zu erfahren, warum in später Stunde noch Licht bei ihr brenne. Ein einziger Blick zeigte ihm ein ganzes, rührend schönes Bild. Madlena saß an der Wiege ihres Kindes mit nickendem, schläfrigem Kopfe, die eine Hand an das Spinnrad gedrückt, dessen Rad nicht ging, die andere unbewußt die Wiege schaukelnd. Das Licht auf dem Tische ließ das Alles sehr deutlich erkennen. Ist das Kind krank? überkam es ihn mit wunderbarer Gewalt des empfangenen Eindruckes. Dann schlich er leise fort, fast fürchtend, als ob ein schwerer Tritt Madlena aufwecken könnte. Als er zum Dorfe hinaus kam, fiel ihm erst das nächtliche Stelldichein mit Parzik ein, so mächtig war der vorhergehende Moment für diese so stürmisch bewegte Seele gewesen. Mit dem Bauer fiel ihm auch sogleich die angebliche Ursache dieser Besprechung ein. Anezka sollte der Gegenstand sein, die unter so eigenthümlichen, mehr als rätselhaften Umständen verschwundene Magd. -- Ob sie von Madlena doch ist angestiftet worden? fragte er sich jetzt, und ob Parzik etwas davon weiß? Mit Herzklopfen eilte Josseph nach der Brücke, kein Augenblick schien ihm zu verlieren. Als er die Brücke betrat, kam ihm Stepan Parzik, seiner Schwester in tiefer Nacht an ihren Fenstern gehorcht hatte, trieb es ihn auch jetzt, dort zu lauschen . . . zu erfahren, warum in später Stunde noch Licht bei ihr brenne. Ein einziger Blick zeigte ihm ein ganzes, rührend schönes Bild. Madlena saß an der Wiege ihres Kindes mit nickendem, schläfrigem Kopfe, die eine Hand an das Spinnrad gedrückt, dessen Rad nicht ging, die andere unbewußt die Wiege schaukelnd. Das Licht auf dem Tische ließ das Alles sehr deutlich erkennen. Ist das Kind krank? überkam es ihn mit wunderbarer Gewalt des empfangenen Eindruckes. Dann schlich er leise fort, fast fürchtend, als ob ein schwerer Tritt Madlena aufwecken könnte. Als er zum Dorfe hinaus kam, fiel ihm erst das nächtliche Stelldichein mit Parzik ein, so mächtig war der vorhergehende Moment für diese so stürmisch bewegte Seele gewesen. Mit dem Bauer fiel ihm auch sogleich die angebliche Ursache dieser Besprechung ein. Anezka sollte der Gegenstand sein, die unter so eigenthümlichen, mehr als rätselhaften Umständen verschwundene Magd. — Ob sie von Madlena doch ist angestiftet worden? fragte er sich jetzt, und ob Parzik etwas davon weiß? Mit Herzklopfen eilte Josseph nach der Brücke, kein Augenblick schien ihm zu verlieren. Als er die Brücke betrat, kam ihm Stepan Parzik, <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="10"> <p><pb facs="#f0144"/> seiner Schwester in tiefer Nacht an ihren Fenstern gehorcht hatte, trieb es ihn auch jetzt, dort zu lauschen . . . zu erfahren, warum in später Stunde noch Licht bei ihr brenne. Ein einziger Blick zeigte ihm ein ganzes, rührend schönes Bild. Madlena saß an der Wiege ihres Kindes mit nickendem, schläfrigem Kopfe, die eine Hand an das Spinnrad gedrückt, dessen Rad nicht ging, die andere unbewußt die Wiege schaukelnd. Das Licht auf dem Tische ließ das Alles sehr deutlich erkennen.</p><lb/> <p>Ist das Kind krank? überkam es ihn mit wunderbarer Gewalt des empfangenen Eindruckes.</p><lb/> <p>Dann schlich er leise fort, fast fürchtend, als ob ein schwerer Tritt Madlena aufwecken könnte.</p><lb/> <p>Als er zum Dorfe hinaus kam, fiel ihm erst das nächtliche Stelldichein mit Parzik ein, so mächtig war der vorhergehende Moment für diese so stürmisch bewegte Seele gewesen. Mit dem Bauer fiel ihm auch sogleich die angebliche Ursache dieser Besprechung ein. Anezka sollte der Gegenstand sein, die unter so eigenthümlichen, mehr als rätselhaften Umständen verschwundene Magd. —</p><lb/> <p>Ob sie von Madlena doch ist angestiftet worden? fragte er sich jetzt, und ob Parzik etwas davon weiß?</p><lb/> <p>Mit Herzklopfen eilte Josseph nach der Brücke, kein Augenblick schien ihm zu verlieren.</p><lb/> <p>Als er die Brücke betrat, kam ihm Stepan Parzik,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0144]
seiner Schwester in tiefer Nacht an ihren Fenstern gehorcht hatte, trieb es ihn auch jetzt, dort zu lauschen . . . zu erfahren, warum in später Stunde noch Licht bei ihr brenne. Ein einziger Blick zeigte ihm ein ganzes, rührend schönes Bild. Madlena saß an der Wiege ihres Kindes mit nickendem, schläfrigem Kopfe, die eine Hand an das Spinnrad gedrückt, dessen Rad nicht ging, die andere unbewußt die Wiege schaukelnd. Das Licht auf dem Tische ließ das Alles sehr deutlich erkennen.
Ist das Kind krank? überkam es ihn mit wunderbarer Gewalt des empfangenen Eindruckes.
Dann schlich er leise fort, fast fürchtend, als ob ein schwerer Tritt Madlena aufwecken könnte.
Als er zum Dorfe hinaus kam, fiel ihm erst das nächtliche Stelldichein mit Parzik ein, so mächtig war der vorhergehende Moment für diese so stürmisch bewegte Seele gewesen. Mit dem Bauer fiel ihm auch sogleich die angebliche Ursache dieser Besprechung ein. Anezka sollte der Gegenstand sein, die unter so eigenthümlichen, mehr als rätselhaften Umständen verschwundene Magd. —
Ob sie von Madlena doch ist angestiftet worden? fragte er sich jetzt, und ob Parzik etwas davon weiß?
Mit Herzklopfen eilte Josseph nach der Brücke, kein Augenblick schien ihm zu verlieren.
Als er die Brücke betrat, kam ihm Stepan Parzik,
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