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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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lösenden Geister, und wehe der Seele, die es nicht vermag, das letzte Wort zu behaupten!

So war der Abend gekommen, so die Nacht, vor der er sich heute unerklärlich fürchtete. Was hatte er den ganzen Tag gelitten, und welches Ergebniß brachte ihm die Nacht? Lag ein bestimmter Gedanke vor ihm, an den er sich anklammern konnte?

Die alte Marjim hatte an diesem Tage unausgesetzt in dem "Wegweiser des Jenseits" gesagt und fast kein anderes Wort, weder mit Josseph noch mit Fischele, gesprochen. Als Josseph spät am Abend, nachdem er das Gewölbe geschlossen, in die Stube trat, lag die Großmutter in einem leichten Schlummer, das Sterbebüchlein neben sich auf dem Bette. Sie mußte vor Müdigkeit entschlummert sein. Josseph trat zu ihr hin und betrachtete sie lange und anhaltend. Im fahlen Glanze des Kerzenlichtes, der auf ihr Antlitz fiel, kam es ihm beinahe vor, als sähe er eine Todte vor sich: schon leuchtete darauf jener unendliche, in Gott ruhende Friede, mit dem dieses Leben einmal schließen mußte. Und in zwei Tagen schon? Wie kurz, wie unhörbar ging bereits der Athem, wie dünn und durchsichtig war schon das Gesicht!

Josseph schlich dann leise herbei und nahm das Sterbebüchlein hinweg, in der frommen Absicht, daß sich die Mutter mit dem Lesen dieser so aufregenden Gebete nicht noch mehr abmatte. In demselben Augenblicke aber wachte Marjim schon auf und langte mit

lösenden Geister, und wehe der Seele, die es nicht vermag, das letzte Wort zu behaupten!

So war der Abend gekommen, so die Nacht, vor der er sich heute unerklärlich fürchtete. Was hatte er den ganzen Tag gelitten, und welches Ergebniß brachte ihm die Nacht? Lag ein bestimmter Gedanke vor ihm, an den er sich anklammern konnte?

Die alte Marjim hatte an diesem Tage unausgesetzt in dem „Wegweiser des Jenseits“ gesagt und fast kein anderes Wort, weder mit Josseph noch mit Fischele, gesprochen. Als Josseph spät am Abend, nachdem er das Gewölbe geschlossen, in die Stube trat, lag die Großmutter in einem leichten Schlummer, das Sterbebüchlein neben sich auf dem Bette. Sie mußte vor Müdigkeit entschlummert sein. Josseph trat zu ihr hin und betrachtete sie lange und anhaltend. Im fahlen Glanze des Kerzenlichtes, der auf ihr Antlitz fiel, kam es ihm beinahe vor, als sähe er eine Todte vor sich: schon leuchtete darauf jener unendliche, in Gott ruhende Friede, mit dem dieses Leben einmal schließen mußte. Und in zwei Tagen schon? Wie kurz, wie unhörbar ging bereits der Athem, wie dünn und durchsichtig war schon das Gesicht!

Josseph schlich dann leise herbei und nahm das Sterbebüchlein hinweg, in der frommen Absicht, daß sich die Mutter mit dem Lesen dieser so aufregenden Gebete nicht noch mehr abmatte. In demselben Augenblicke aber wachte Marjim schon auf und langte mit

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[0173] lösenden Geister, und wehe der Seele, die es nicht vermag, das letzte Wort zu behaupten! So war der Abend gekommen, so die Nacht, vor der er sich heute unerklärlich fürchtete. Was hatte er den ganzen Tag gelitten, und welches Ergebniß brachte ihm die Nacht? Lag ein bestimmter Gedanke vor ihm, an den er sich anklammern konnte? Die alte Marjim hatte an diesem Tage unausgesetzt in dem „Wegweiser des Jenseits“ gesagt und fast kein anderes Wort, weder mit Josseph noch mit Fischele, gesprochen. Als Josseph spät am Abend, nachdem er das Gewölbe geschlossen, in die Stube trat, lag die Großmutter in einem leichten Schlummer, das Sterbebüchlein neben sich auf dem Bette. Sie mußte vor Müdigkeit entschlummert sein. Josseph trat zu ihr hin und betrachtete sie lange und anhaltend. Im fahlen Glanze des Kerzenlichtes, der auf ihr Antlitz fiel, kam es ihm beinahe vor, als sähe er eine Todte vor sich: schon leuchtete darauf jener unendliche, in Gott ruhende Friede, mit dem dieses Leben einmal schließen mußte. Und in zwei Tagen schon? Wie kurz, wie unhörbar ging bereits der Athem, wie dünn und durchsichtig war schon das Gesicht! Josseph schlich dann leise herbei und nahm das Sterbebüchlein hinweg, in der frommen Absicht, daß sich die Mutter mit dem Lesen dieser so aufregenden Gebete nicht noch mehr abmatte. In demselben Augenblicke aber wachte Marjim schon auf und langte mit

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/173>, abgerufen am 27.11.2024.