Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.seinem Weib genommen hat. Jetzt ist er wieder gut mit ihm, aber während dem haben wir zu unserem Hauswesen sehen müssen, wie es eben gegangen ist. Wo wären wir hingekommen, wenn wir hätten unsere Hände sinken lassen? Kinder hat man auch, und wenn man nicht will, daß die einmal fremder Leute Kost essen sollen, muß man zu sich sehen und darf sich nicht auf Andere verlassen. Gott Lob und Dank! Wir haben's aber jetzt doch so weit gebracht, wir könnten auch ohne den Vater bestehen. Josseph hörte nach zehn Jahren zum ersten Mal wieder die Schwester sprechen, es kam ihm vor, als hätte sich die Stimme gar nicht verändert; nur klang ihm die ganze Redeweise etwas fremdartig; Madlena sprach das Jüdische wie eine Christin, die im Hause eines Juden lange geweilt und die Sprache sich zu eigen gemacht hat. Und dein Mann hilft dir nicht? fragte er. Der, gab Madlena zur Antwort, arbeitet noch mehr, als ich, der kümmert sich ganz gewaltig ums Haus, der trinkt nicht, der spielt nicht, wie die Andern, und bringt jeden Kreuzer zurück, den er verdient. Da wär' ich aber ein schlecht Weib, wenn ich dem nicht helfen wollte. Der Mann ist doch immer eigentlich derjenige, welcher das Haus erhält; das Weib vermag nur wenig auszurichten, wenn der Mann nicht will. Aber helfen muß sie ihm doch, wo sie kann, und das seinem Weib genommen hat. Jetzt ist er wieder gut mit ihm, aber während dem haben wir zu unserem Hauswesen sehen müssen, wie es eben gegangen ist. Wo wären wir hingekommen, wenn wir hätten unsere Hände sinken lassen? Kinder hat man auch, und wenn man nicht will, daß die einmal fremder Leute Kost essen sollen, muß man zu sich sehen und darf sich nicht auf Andere verlassen. Gott Lob und Dank! Wir haben's aber jetzt doch so weit gebracht, wir könnten auch ohne den Vater bestehen. Josseph hörte nach zehn Jahren zum ersten Mal wieder die Schwester sprechen, es kam ihm vor, als hätte sich die Stimme gar nicht verändert; nur klang ihm die ganze Redeweise etwas fremdartig; Madlena sprach das Jüdische wie eine Christin, die im Hause eines Juden lange geweilt und die Sprache sich zu eigen gemacht hat. Und dein Mann hilft dir nicht? fragte er. Der, gab Madlena zur Antwort, arbeitet noch mehr, als ich, der kümmert sich ganz gewaltig ums Haus, der trinkt nicht, der spielt nicht, wie die Andern, und bringt jeden Kreuzer zurück, den er verdient. Da wär' ich aber ein schlecht Weib, wenn ich dem nicht helfen wollte. Der Mann ist doch immer eigentlich derjenige, welcher das Haus erhält; das Weib vermag nur wenig auszurichten, wenn der Mann nicht will. Aber helfen muß sie ihm doch, wo sie kann, und das <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="14"> <p><pb facs="#f0200"/> seinem Weib genommen hat. Jetzt ist er wieder gut mit ihm, aber während dem haben wir zu unserem Hauswesen sehen müssen, wie es eben gegangen ist. Wo wären wir hingekommen, wenn wir hätten unsere Hände sinken lassen? Kinder hat man auch, und wenn man nicht will, daß die einmal fremder Leute Kost essen sollen, muß man zu sich sehen und darf sich nicht auf Andere verlassen. Gott Lob und Dank! Wir haben's aber jetzt doch so weit gebracht, wir könnten auch ohne den Vater bestehen.</p><lb/> <p>Josseph hörte nach zehn Jahren zum ersten Mal wieder die Schwester sprechen, es kam ihm vor, als hätte sich die Stimme gar nicht verändert; nur klang ihm die ganze Redeweise etwas fremdartig; Madlena sprach das Jüdische wie eine Christin, die im Hause eines Juden lange geweilt und die Sprache sich zu eigen gemacht hat.</p><lb/> <p>Und dein Mann hilft dir nicht? fragte er.</p><lb/> <p>Der, gab Madlena zur Antwort, arbeitet noch mehr, als ich, der kümmert sich ganz gewaltig ums Haus, der trinkt nicht, der spielt nicht, wie die Andern, und bringt jeden Kreuzer zurück, den er verdient. Da wär' ich aber ein schlecht Weib, wenn ich dem nicht helfen wollte. Der Mann ist doch immer eigentlich derjenige, welcher das Haus erhält; das Weib vermag nur wenig auszurichten, wenn der Mann nicht will. Aber helfen muß sie ihm doch, wo sie kann, und das<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0200]
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Josseph hörte nach zehn Jahren zum ersten Mal wieder die Schwester sprechen, es kam ihm vor, als hätte sich die Stimme gar nicht verändert; nur klang ihm die ganze Redeweise etwas fremdartig; Madlena sprach das Jüdische wie eine Christin, die im Hause eines Juden lange geweilt und die Sprache sich zu eigen gemacht hat.
Und dein Mann hilft dir nicht? fragte er.
Der, gab Madlena zur Antwort, arbeitet noch mehr, als ich, der kümmert sich ganz gewaltig ums Haus, der trinkt nicht, der spielt nicht, wie die Andern, und bringt jeden Kreuzer zurück, den er verdient. Da wär' ich aber ein schlecht Weib, wenn ich dem nicht helfen wollte. Der Mann ist doch immer eigentlich derjenige, welcher das Haus erhält; das Weib vermag nur wenig auszurichten, wenn der Mann nicht will. Aber helfen muß sie ihm doch, wo sie kann, und das
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/200>, abgerufen am 16.07.2024. |