Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ist mir, wie das einmal in mir sich festgesetzt hat, als Nichts vorgekommen; kein Mensch auf der Welt, kein Kaiser und König hätten mich davon abbringen können. Es war mir Alles gleichgültig, das sag' ich dir jetzt, denn wo ich gegangen und gestanden bin, da hat es mir nachgeklungen und nachgeschrieen: Pawel muß dein Mann werden. Josseph hörte mit sprachlosem Staunen die Geständnisse der Schwester an. Madlena fuhr nach einer Weile fort: Erst wie mich der Pfarrer getauft gehabt, da ist mir schwer auf die Brust gefallen, was ich euch gethan, daß jetzt Alles wie mit einer Scheere zwischen mir und euch abgeschnitten und zerrissen war. Keine Mutter, keinen Bruder mehr! Sie kennen mich nicht, sie wollen nichts wissen von dir! Wenn mich mein Mann getröstet hat, so war mir gut, aber es hat Stunden gegeben, wie mir sie Gott nicht weiter zuschicken soll. Aber Gott muß mit mir es gut gemeint haben -- er hat mir meine Kinder gegeben. Hätten es nicht jüdische sein können? unterbrach sie Josseph, indem er sein Auge fast vorwurfsvoll auf Madlena richtete. Trösten wir uns, es war die Neige der Bitterkeit, die zum letzten Male zur Oberfläche eines noch nicht beruhigten Gemüthes als Schaum emporstieg. Madlena sah lächelnd zu ihrem Bruder auf. Da sieht man, sagte sie, was ihr Männer seid. ist mir, wie das einmal in mir sich festgesetzt hat, als Nichts vorgekommen; kein Mensch auf der Welt, kein Kaiser und König hätten mich davon abbringen können. Es war mir Alles gleichgültig, das sag' ich dir jetzt, denn wo ich gegangen und gestanden bin, da hat es mir nachgeklungen und nachgeschrieen: Pawel muß dein Mann werden. Josseph hörte mit sprachlosem Staunen die Geständnisse der Schwester an. Madlena fuhr nach einer Weile fort: Erst wie mich der Pfarrer getauft gehabt, da ist mir schwer auf die Brust gefallen, was ich euch gethan, daß jetzt Alles wie mit einer Scheere zwischen mir und euch abgeschnitten und zerrissen war. Keine Mutter, keinen Bruder mehr! Sie kennen mich nicht, sie wollen nichts wissen von dir! Wenn mich mein Mann getröstet hat, so war mir gut, aber es hat Stunden gegeben, wie mir sie Gott nicht weiter zuschicken soll. Aber Gott muß mit mir es gut gemeint haben — er hat mir meine Kinder gegeben. Hätten es nicht jüdische sein können? unterbrach sie Josseph, indem er sein Auge fast vorwurfsvoll auf Madlena richtete. Trösten wir uns, es war die Neige der Bitterkeit, die zum letzten Male zur Oberfläche eines noch nicht beruhigten Gemüthes als Schaum emporstieg. Madlena sah lächelnd zu ihrem Bruder auf. Da sieht man, sagte sie, was ihr Männer seid. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="14"> <p><pb facs="#f0203"/> ist mir, wie das einmal in mir sich festgesetzt hat, als Nichts vorgekommen; kein Mensch auf der Welt, kein Kaiser und König hätten mich davon abbringen können. Es war mir Alles gleichgültig, das sag' ich dir jetzt, denn wo ich gegangen und gestanden bin, da hat es mir nachgeklungen und nachgeschrieen: Pawel muß dein Mann werden.</p><lb/> <p>Josseph hörte mit sprachlosem Staunen die Geständnisse der Schwester an. Madlena fuhr nach einer Weile fort:</p><lb/> <p>Erst wie mich der Pfarrer getauft gehabt, da ist mir schwer auf die Brust gefallen, was ich euch gethan, daß jetzt Alles wie mit einer Scheere zwischen mir und euch abgeschnitten und zerrissen war. Keine Mutter, keinen Bruder mehr! Sie kennen mich nicht, sie wollen nichts wissen von dir! Wenn mich mein Mann getröstet hat, so war mir gut, aber es hat Stunden gegeben, wie mir sie Gott nicht weiter zuschicken soll. Aber Gott muß mit mir es gut gemeint haben — er hat mir meine Kinder gegeben.</p><lb/> <p>Hätten es nicht jüdische sein können? unterbrach sie Josseph, indem er sein Auge fast vorwurfsvoll auf Madlena richtete.</p><lb/> <p>Trösten wir uns, es war die Neige der Bitterkeit, die zum letzten Male zur Oberfläche eines noch nicht beruhigten Gemüthes als Schaum emporstieg.</p><lb/> <p>Madlena sah lächelnd zu ihrem Bruder auf.</p><lb/> <p>Da sieht man, sagte sie, was ihr Männer seid.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0203]
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Josseph hörte mit sprachlosem Staunen die Geständnisse der Schwester an. Madlena fuhr nach einer Weile fort:
Erst wie mich der Pfarrer getauft gehabt, da ist mir schwer auf die Brust gefallen, was ich euch gethan, daß jetzt Alles wie mit einer Scheere zwischen mir und euch abgeschnitten und zerrissen war. Keine Mutter, keinen Bruder mehr! Sie kennen mich nicht, sie wollen nichts wissen von dir! Wenn mich mein Mann getröstet hat, so war mir gut, aber es hat Stunden gegeben, wie mir sie Gott nicht weiter zuschicken soll. Aber Gott muß mit mir es gut gemeint haben — er hat mir meine Kinder gegeben.
Hätten es nicht jüdische sein können? unterbrach sie Josseph, indem er sein Auge fast vorwurfsvoll auf Madlena richtete.
Trösten wir uns, es war die Neige der Bitterkeit, die zum letzten Male zur Oberfläche eines noch nicht beruhigten Gemüthes als Schaum emporstieg.
Madlena sah lächelnd zu ihrem Bruder auf.
Da sieht man, sagte sie, was ihr Männer seid.
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/203>, abgerufen am 16.07.2024. |