Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Thränen, die über ihr Angesicht schlichen, sagten mehr alles Andere. Plötzlich stand Josseph straff auf. Er dachte an die Mutter, die auf seine Rückkehr harrte. Seltsamer Weise war ihrer zwischen den Geschwistern mit keinem Worte noch erwähnt worden, als ob Aufklärung nur zwischen Beiden nöthig gewesen wäre. Dinah, rief er, du mußt gleich mit mir zur Mamme, sie wart't schon lange auf dich. Nicht wahr, die ist nicht so gegen dich gewesen, wie ich? Ach, meine Mutter, meine gute Mutter! schrie Madlena mit der tiefsten Inbrunst eines kindlichen Herzens. Willst du gleich mit? Fragst du noch? Die Mamme wird vor Freuden fast sterben, meinte Josseph gedrückt, wenn sie dich sieht. Sie red't sich ohnedies ein, sie wird den morgigen Tag nicht überleben. Ist sie krank? Und das sagst mir erst jetzt! schrie Madlena voll Seelenangst. Krank ist sie nicht, sagte Josseph düster, aber sie red't sich ein, sie wird zwischen morgen und übermorgen sterben. Sie hat einen Traum gehabt, und seitdem läßt sie sich ihren Tod nicht ausreden. Ich fürcht' aber, sie wird Recht haben. Um Gott's Willen, rief Madlena, laß uns da nicht länger stehen. Die Mutter liegt im Sterben, und ihre Kinder sind nicht bei ihr! Thränen, die über ihr Angesicht schlichen, sagten mehr alles Andere. Plötzlich stand Josseph straff auf. Er dachte an die Mutter, die auf seine Rückkehr harrte. Seltsamer Weise war ihrer zwischen den Geschwistern mit keinem Worte noch erwähnt worden, als ob Aufklärung nur zwischen Beiden nöthig gewesen wäre. Dinah, rief er, du mußt gleich mit mir zur Mamme, sie wart't schon lange auf dich. Nicht wahr, die ist nicht so gegen dich gewesen, wie ich? Ach, meine Mutter, meine gute Mutter! schrie Madlena mit der tiefsten Inbrunst eines kindlichen Herzens. Willst du gleich mit? Fragst du noch? Die Mamme wird vor Freuden fast sterben, meinte Josseph gedrückt, wenn sie dich sieht. Sie red't sich ohnedies ein, sie wird den morgigen Tag nicht überleben. Ist sie krank? Und das sagst mir erst jetzt! schrie Madlena voll Seelenangst. Krank ist sie nicht, sagte Josseph düster, aber sie red't sich ein, sie wird zwischen morgen und übermorgen sterben. Sie hat einen Traum gehabt, und seitdem läßt sie sich ihren Tod nicht ausreden. Ich fürcht' aber, sie wird Recht haben. Um Gott's Willen, rief Madlena, laß uns da nicht länger stehen. Die Mutter liegt im Sterben, und ihre Kinder sind nicht bei ihr! <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="14"> <p><pb facs="#f0208"/> Thränen, die über ihr Angesicht schlichen, sagten mehr alles Andere.</p><lb/> <p>Plötzlich stand Josseph straff auf. Er dachte an die Mutter, die auf seine Rückkehr harrte. Seltsamer Weise war ihrer zwischen den Geschwistern mit keinem Worte noch erwähnt worden, als ob Aufklärung nur zwischen Beiden nöthig gewesen wäre.</p><lb/> <p>Dinah, rief er, du mußt gleich mit mir zur Mamme, sie wart't schon lange auf dich. Nicht wahr, die ist nicht so gegen dich gewesen, wie ich?</p><lb/> <p>Ach, meine Mutter, meine gute Mutter! schrie Madlena mit der tiefsten Inbrunst eines kindlichen Herzens.</p><lb/> <p>Willst du gleich mit?</p><lb/> <p>Fragst du noch?</p><lb/> <p>Die Mamme wird vor Freuden fast sterben, meinte Josseph gedrückt, wenn sie dich sieht. Sie red't sich ohnedies ein, sie wird den morgigen Tag nicht überleben.</p><lb/> <p>Ist sie krank? Und das sagst mir erst jetzt! schrie Madlena voll Seelenangst.</p><lb/> <p>Krank ist sie nicht, sagte Josseph düster, aber sie red't sich ein, sie wird zwischen morgen und übermorgen sterben. Sie hat einen Traum gehabt, und seitdem läßt sie sich ihren Tod nicht ausreden. Ich fürcht' aber, sie wird Recht haben.</p><lb/> <p>Um Gott's Willen, rief Madlena, laß uns da nicht länger stehen. Die Mutter liegt im Sterben, und ihre Kinder sind nicht bei ihr!</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0208]
Thränen, die über ihr Angesicht schlichen, sagten mehr alles Andere.
Plötzlich stand Josseph straff auf. Er dachte an die Mutter, die auf seine Rückkehr harrte. Seltsamer Weise war ihrer zwischen den Geschwistern mit keinem Worte noch erwähnt worden, als ob Aufklärung nur zwischen Beiden nöthig gewesen wäre.
Dinah, rief er, du mußt gleich mit mir zur Mamme, sie wart't schon lange auf dich. Nicht wahr, die ist nicht so gegen dich gewesen, wie ich?
Ach, meine Mutter, meine gute Mutter! schrie Madlena mit der tiefsten Inbrunst eines kindlichen Herzens.
Willst du gleich mit?
Fragst du noch?
Die Mamme wird vor Freuden fast sterben, meinte Josseph gedrückt, wenn sie dich sieht. Sie red't sich ohnedies ein, sie wird den morgigen Tag nicht überleben.
Ist sie krank? Und das sagst mir erst jetzt! schrie Madlena voll Seelenangst.
Krank ist sie nicht, sagte Josseph düster, aber sie red't sich ein, sie wird zwischen morgen und übermorgen sterben. Sie hat einen Traum gehabt, und seitdem läßt sie sich ihren Tod nicht ausreden. Ich fürcht' aber, sie wird Recht haben.
Um Gott's Willen, rief Madlena, laß uns da nicht länger stehen. Die Mutter liegt im Sterben, und ihre Kinder sind nicht bei ihr!
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(2017-03-15T13:25:39Z)
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