Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

dann bückte sie sich wieder zu der Haue und dem schweren Sacke nieder, um sie aufzulesen und fortzueilen; es drängte sie mit Sturmgewalt aus der Nähe der vier Augen, die wie glühende Kohlen auf ihr brannten. War es allzu große Ermattung, war es eine andere Empfindung, so oft sie sich niederbeugte, um die schwere Last aufzuheben, so oft mußte sie davon abstehen, kaum daß sie die Haue ergreifen konnte.

Babe, sagte mit stockendem Athem der Knabe, sie kann ja gar nicht fort.

Seh' ich's denn nicht? sagte diese mit wundersam bewegter Stimme.

Ich helf' ihr, sagte Fischele rasch und stand auf.

Fischele! war der einzige Ausruf der alten Frau. Sie konnte es ihm nicht verbieten.

Während dem hatte die Bäuerin es aufs Neue versucht, die beiden am Boden liegenden Lasten zu sich aufzuheben; als sie die Absicht des Knaben bemerkte, der über den Weg daher gelaufen kam, verdoppelte sie ihre Anstrengung und spannte ihre Muskelkraft zu unmenschlicher Arbeit an. Umsonst, jede Kraft schien in ihr wie mit eisernen Banden gefesselt, und das gerade hier, gerade im Angesichte der alten Frau! Ein Bild fürchterlicher Verzweiflung stand sie da, rath- und thatlos!

Hinter der Kirche kam jetzt ein Mann hervor, er hatte dort während des ganzen Läutens verharrt. Der

dann bückte sie sich wieder zu der Haue und dem schweren Sacke nieder, um sie aufzulesen und fortzueilen; es drängte sie mit Sturmgewalt aus der Nähe der vier Augen, die wie glühende Kohlen auf ihr brannten. War es allzu große Ermattung, war es eine andere Empfindung, so oft sie sich niederbeugte, um die schwere Last aufzuheben, so oft mußte sie davon abstehen, kaum daß sie die Haue ergreifen konnte.

Babe, sagte mit stockendem Athem der Knabe, sie kann ja gar nicht fort.

Seh' ich's denn nicht? sagte diese mit wundersam bewegter Stimme.

Ich helf' ihr, sagte Fischele rasch und stand auf.

Fischele! war der einzige Ausruf der alten Frau. Sie konnte es ihm nicht verbieten.

Während dem hatte die Bäuerin es aufs Neue versucht, die beiden am Boden liegenden Lasten zu sich aufzuheben; als sie die Absicht des Knaben bemerkte, der über den Weg daher gelaufen kam, verdoppelte sie ihre Anstrengung und spannte ihre Muskelkraft zu unmenschlicher Arbeit an. Umsonst, jede Kraft schien in ihr wie mit eisernen Banden gefesselt, und das gerade hier, gerade im Angesichte der alten Frau! Ein Bild fürchterlicher Verzweiflung stand sie da, rath- und thatlos!

Hinter der Kirche kam jetzt ein Mann hervor, er hatte dort während des ganzen Läutens verharrt. Der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <p><pb facs="#f0022"/>
dann bückte sie sich wieder zu der Haue und dem schweren Sacke                nieder, um sie aufzulesen und fortzueilen; es drängte sie mit Sturmgewalt aus der                Nähe der vier Augen, die wie glühende Kohlen auf ihr brannten. War es allzu große                Ermattung, war es eine andere Empfindung, so oft sie sich niederbeugte, um die                schwere Last aufzuheben, so oft mußte sie davon abstehen, kaum daß sie die Haue                ergreifen konnte.</p><lb/>
        <p>Babe, sagte mit stockendem Athem der Knabe, sie kann ja gar nicht fort.</p><lb/>
        <p>Seh' ich's denn nicht? sagte diese mit wundersam bewegter Stimme.</p><lb/>
        <p>Ich helf' ihr, sagte Fischele rasch und stand auf.</p><lb/>
        <p>Fischele! war der einzige Ausruf der alten Frau. Sie konnte es ihm nicht                verbieten.</p><lb/>
        <p>Während dem hatte die Bäuerin es aufs Neue versucht, die beiden am Boden liegenden                Lasten zu sich aufzuheben; als sie die Absicht des Knaben bemerkte, der über den Weg                daher gelaufen kam, verdoppelte sie ihre Anstrengung und spannte ihre Muskelkraft zu                unmenschlicher Arbeit an. Umsonst, jede Kraft schien in ihr wie mit eisernen Banden                gefesselt, und das gerade hier, gerade im Angesichte der alten Frau! Ein Bild                fürchterlicher Verzweiflung stand sie da, rath- und thatlos!</p><lb/>
        <p>Hinter der Kirche kam jetzt ein Mann hervor, er hatte dort während des ganzen Läutens                verharrt. Der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0022] dann bückte sie sich wieder zu der Haue und dem schweren Sacke nieder, um sie aufzulesen und fortzueilen; es drängte sie mit Sturmgewalt aus der Nähe der vier Augen, die wie glühende Kohlen auf ihr brannten. War es allzu große Ermattung, war es eine andere Empfindung, so oft sie sich niederbeugte, um die schwere Last aufzuheben, so oft mußte sie davon abstehen, kaum daß sie die Haue ergreifen konnte. Babe, sagte mit stockendem Athem der Knabe, sie kann ja gar nicht fort. Seh' ich's denn nicht? sagte diese mit wundersam bewegter Stimme. Ich helf' ihr, sagte Fischele rasch und stand auf. Fischele! war der einzige Ausruf der alten Frau. Sie konnte es ihm nicht verbieten. Während dem hatte die Bäuerin es aufs Neue versucht, die beiden am Boden liegenden Lasten zu sich aufzuheben; als sie die Absicht des Knaben bemerkte, der über den Weg daher gelaufen kam, verdoppelte sie ihre Anstrengung und spannte ihre Muskelkraft zu unmenschlicher Arbeit an. Umsonst, jede Kraft schien in ihr wie mit eisernen Banden gefesselt, und das gerade hier, gerade im Angesichte der alten Frau! Ein Bild fürchterlicher Verzweiflung stand sie da, rath- und thatlos! Hinter der Kirche kam jetzt ein Mann hervor, er hatte dort während des ganzen Läutens verharrt. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/22
Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/22>, abgerufen am 21.11.2024.