Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Guck noch einmal, sagte sie flüsternd, ob der Vater drin ist.

Fischele schlich wieder zum Vorhängel hin und schob es leise zurück. Marjim folgte dem Thun des Knaben zitternd vor innerer Aufregung.

Was siehst du? fragte sie mit fast stockendem Athem.

Ich seh', daß der Vater noch nicht ist Handel Eins mit dem Bauer, lautete aufs Neue die Antwort des Knaben, der Vater hält noch immer die Lederhaut in der Hand.

Gott Lob und Dank, sagte die Großmutter mit freudigem Antlitze, und es trat eine lange Pause ein, während welcher der Knabe die räthselhafte alte Frau halb neugierig, halb mitleidig anstarrte.

Fischele Leben! rief sie aufs Neue.

Er stand hart an ihrem Bette. Da richtete sich die Alte auf und fuhr ihm mit der Hand über Stirne und Wangen. Eine wunderbare Röthe, fast anzusehen, wie die verschämte Züchtigkeit eines jungen Mädchens, lag auf dem Antlitze der alten Frau. Sie sprach:

Lang' mir das hervor, was ich da liegen hab' unter meinem untersten Kopfkissen; ich kann nicht mehr recht dazu.

Fischele griff nach dem bezeichneten Orte, und ein ziemlich schweres Päckchen kam in seine Hand; die Großmutter nahm es ihm sogleich ab und bedeckte es,

Guck noch einmal, sagte sie flüsternd, ob der Vater drin ist.

Fischele schlich wieder zum Vorhängel hin und schob es leise zurück. Marjim folgte dem Thun des Knaben zitternd vor innerer Aufregung.

Was siehst du? fragte sie mit fast stockendem Athem.

Ich seh', daß der Vater noch nicht ist Handel Eins mit dem Bauer, lautete aufs Neue die Antwort des Knaben, der Vater hält noch immer die Lederhaut in der Hand.

Gott Lob und Dank, sagte die Großmutter mit freudigem Antlitze, und es trat eine lange Pause ein, während welcher der Knabe die räthselhafte alte Frau halb neugierig, halb mitleidig anstarrte.

Fischele Leben! rief sie aufs Neue.

Er stand hart an ihrem Bette. Da richtete sich die Alte auf und fuhr ihm mit der Hand über Stirne und Wangen. Eine wunderbare Röthe, fast anzusehen, wie die verschämte Züchtigkeit eines jungen Mädchens, lag auf dem Antlitze der alten Frau. Sie sprach:

Lang' mir das hervor, was ich da liegen hab' unter meinem untersten Kopfkissen; ich kann nicht mehr recht dazu.

Fischele griff nach dem bezeichneten Orte, und ein ziemlich schweres Päckchen kam in seine Hand; die Großmutter nahm es ihm sogleich ab und bedeckte es,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <pb facs="#f0042"/>
        <p>Guck noch einmal, sagte sie flüsternd, ob der Vater drin ist.</p><lb/>
        <p>Fischele schlich wieder zum Vorhängel hin und schob es leise zurück. Marjim folgte                dem Thun des Knaben zitternd vor innerer Aufregung.</p><lb/>
        <p>Was siehst du? fragte sie mit fast stockendem Athem.</p><lb/>
        <p>Ich seh', daß der Vater noch nicht ist Handel Eins mit dem Bauer, lautete aufs Neue                die Antwort des Knaben, der Vater hält noch immer die Lederhaut in der Hand.</p><lb/>
        <p>Gott Lob und Dank, sagte die Großmutter mit freudigem Antlitze, und es trat eine                lange Pause ein, während welcher der Knabe die räthselhafte alte Frau halb neugierig,                halb mitleidig anstarrte.</p><lb/>
        <p>Fischele Leben! rief sie aufs Neue.</p><lb/>
        <p>Er stand hart an ihrem Bette. Da richtete sich die Alte auf und fuhr ihm mit der Hand                über Stirne und Wangen. Eine wunderbare Röthe, fast anzusehen, wie die verschämte                Züchtigkeit eines jungen Mädchens, lag auf dem Antlitze der alten Frau. Sie                sprach:</p><lb/>
        <p>Lang' mir das hervor, was ich da liegen hab' unter meinem untersten Kopfkissen; ich                kann nicht mehr recht dazu.</p><lb/>
        <p>Fischele griff nach dem bezeichneten Orte, und ein ziemlich schweres Päckchen kam in                seine Hand; die Großmutter nahm es ihm sogleich ab und bedeckte es,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0042] Guck noch einmal, sagte sie flüsternd, ob der Vater drin ist. Fischele schlich wieder zum Vorhängel hin und schob es leise zurück. Marjim folgte dem Thun des Knaben zitternd vor innerer Aufregung. Was siehst du? fragte sie mit fast stockendem Athem. Ich seh', daß der Vater noch nicht ist Handel Eins mit dem Bauer, lautete aufs Neue die Antwort des Knaben, der Vater hält noch immer die Lederhaut in der Hand. Gott Lob und Dank, sagte die Großmutter mit freudigem Antlitze, und es trat eine lange Pause ein, während welcher der Knabe die räthselhafte alte Frau halb neugierig, halb mitleidig anstarrte. Fischele Leben! rief sie aufs Neue. Er stand hart an ihrem Bette. Da richtete sich die Alte auf und fuhr ihm mit der Hand über Stirne und Wangen. Eine wunderbare Röthe, fast anzusehen, wie die verschämte Züchtigkeit eines jungen Mädchens, lag auf dem Antlitze der alten Frau. Sie sprach: Lang' mir das hervor, was ich da liegen hab' unter meinem untersten Kopfkissen; ich kann nicht mehr recht dazu. Fischele griff nach dem bezeichneten Orte, und ein ziemlich schweres Päckchen kam in seine Hand; die Großmutter nahm es ihm sogleich ab und bedeckte es,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/42
Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/42>, abgerufen am 03.12.2024.