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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Weiß ich, was ihr geschehen ist? klagte die alte Frau; sie ist ja gar nicht zu erkennen. Aber im Bösen wirst du mit ihr nichts herausbringen. Laß mich mit ihr reden.

Möcht' sie sich das unterstehen, sagte Josseph ingrimmig, wenn sie nicht beim Juden wär'? Der schlechteste Bauer hätte sie halb todt geschlagen; ich aber, ich muß mir das von einer Bauernmagd gefallen lassen, die ich zehn Jahr' im Hause hab'! Sind sie nicht stark und gewaltig?

In diese nur mühsam dem aufschreienden Zorne fern gehaltenen Worte klang mit einem Male ein lustiges Lied, das Anezka draußen, wie zur Antwort, mit lauter Stimme vor sich hinsang.

Grimmig ballte Josseph die Faust; er war kreidebleich geworden.

Die hat Einer angestiftet, und ich weiß, wer, sagte er mit fürchterlicher Kälte, sie soll mir aber nicht lebendig aus der Hand.

Mit einer hastigen Bewegung wollte er zur Thür hin, aber Marjim kam ihm zuvor, indem sie sich mit gewaltsamer Mühe im Bette aufraffte und den Namen der Magd so laut rief, daß Josseph selbst vor der ungeahnten Kraft, die in diesem Ausschrei lag, zurückbebte und still stand. --

Gleich darauf erschien Anezka in der Stube.

Welch eine wunderbare Machtvollkommenheit muß in dem bloßen Erscheinen eines bekannten Menschen-

Weiß ich, was ihr geschehen ist? klagte die alte Frau; sie ist ja gar nicht zu erkennen. Aber im Bösen wirst du mit ihr nichts herausbringen. Laß mich mit ihr reden.

Möcht' sie sich das unterstehen, sagte Josseph ingrimmig, wenn sie nicht beim Juden wär'? Der schlechteste Bauer hätte sie halb todt geschlagen; ich aber, ich muß mir das von einer Bauernmagd gefallen lassen, die ich zehn Jahr' im Hause hab'! Sind sie nicht stark und gewaltig?

In diese nur mühsam dem aufschreienden Zorne fern gehaltenen Worte klang mit einem Male ein lustiges Lied, das Anezka draußen, wie zur Antwort, mit lauter Stimme vor sich hinsang.

Grimmig ballte Josseph die Faust; er war kreidebleich geworden.

Die hat Einer angestiftet, und ich weiß, wer, sagte er mit fürchterlicher Kälte, sie soll mir aber nicht lebendig aus der Hand.

Mit einer hastigen Bewegung wollte er zur Thür hin, aber Marjim kam ihm zuvor, indem sie sich mit gewaltsamer Mühe im Bette aufraffte und den Namen der Magd so laut rief, daß Josseph selbst vor der ungeahnten Kraft, die in diesem Ausschrei lag, zurückbebte und still stand. —

Gleich darauf erschien Anezka in der Stube.

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[0089] Weiß ich, was ihr geschehen ist? klagte die alte Frau; sie ist ja gar nicht zu erkennen. Aber im Bösen wirst du mit ihr nichts herausbringen. Laß mich mit ihr reden. Möcht' sie sich das unterstehen, sagte Josseph ingrimmig, wenn sie nicht beim Juden wär'? Der schlechteste Bauer hätte sie halb todt geschlagen; ich aber, ich muß mir das von einer Bauernmagd gefallen lassen, die ich zehn Jahr' im Hause hab'! Sind sie nicht stark und gewaltig? In diese nur mühsam dem aufschreienden Zorne fern gehaltenen Worte klang mit einem Male ein lustiges Lied, das Anezka draußen, wie zur Antwort, mit lauter Stimme vor sich hinsang. Grimmig ballte Josseph die Faust; er war kreidebleich geworden. Die hat Einer angestiftet, und ich weiß, wer, sagte er mit fürchterlicher Kälte, sie soll mir aber nicht lebendig aus der Hand. Mit einer hastigen Bewegung wollte er zur Thür hin, aber Marjim kam ihm zuvor, indem sie sich mit gewaltsamer Mühe im Bette aufraffte und den Namen der Magd so laut rief, daß Josseph selbst vor der ungeahnten Kraft, die in diesem Ausschrei lag, zurückbebte und still stand. — Gleich darauf erschien Anezka in der Stube. Welch eine wunderbare Machtvollkommenheit muß in dem bloßen Erscheinen eines bekannten Menschen-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/89>, abgerufen am 18.05.2024.