Korn, Philipp Anton: Die erste deutsche Frauen-Conferenz in Leipzig. Leipzig, 1865.genießen in jedem Augenblicke die großen Fortschritte und Errungenschaften der menschlichen Arbeit, und es heißt, uns isoliren, wenn wir diesen Zusammenhang aufheben wollen. Sehr viele Frauen verfallen, indem sie sich streng von allen andern Interessen des Lebens in ihrem Hause abschließen, in eine feine Selbstsucht, die aber gerade gefährlich ist. Unser Geschlecht ist weniger jener Selbstsucht zugänglich, die nur an das eigne Ich denkt, dasselbe über Alles liebt, dafür aber lösen sich Frauen nur selten von jenem Egoismus los, der die Familie umfängt. So hört in vielen Familien die Wechselwirkung zwischen dem großen Leben und dem engen Familienkreise auf, und dadurch zerreißt das Band, welches den Einzelnen mit der ganzen Menschheit verbindet. Nicht durch leeren geselligen Verkehr wird dieser nothwendige Zusammenhang erzeugt, sondern jeder Mensch muß die großen Ideen, welche die Zeit bewegen und erfüllen, in sich aufnehmen, das Verständniß derselben suchen, sich durch sie fortentwickeln. Dies fehlt entschieden den Frauen am meisten! Der Grund hiervon ist leicht zu finden. Unser Geschlecht wird speciell weiblich, zu wenig allgemein menschlich erzogen. - Ohne Zweifel wird jede edle Frau ganz besonders nach den Eigenschaften ringen, die wir weiblich nennen, aber eine harmonische edel-menschliche Entwickelung wird in der Frau die Weiblichkeit nicht aufheben, sondern sie noch höher entwickeln. Es ist ein großer Irrthum, wenn man glaubt, daß eine tüchtige, allseitige Entwickelung der Frau das specifisch Weibliche in ihr aufhebt. Die fein fühlende Frau wird immerdar die Vertreterin der besten, reinsten Sitten bleiben, und je mehr in einer Frau neben dem Gefühl Verstand und Willen entwickelt ist, desto mehr wird sie beschäftigt sein, die Trägerin wahrer Sitte, eigenster Weiblichkeit zu sein. Wir finden gegenwärtig weit mehr den Schein, die erkünstelte Hülle der guten Sitte bei Frauen; viele wollen Anmuth, weiblichen Reiz erzwingen und verlieren durch ein solches Bestreben den letzten Rest wahrer Weiblichkeit. Diese gedeiht nur da, wo ein warmes und geläutertes Gemüth sich mit dem klaren Urtheil eines gebildeten Verstandes verbinden, - denn aus einer solchen Vereinigung geht ein sittlich edles Wollen hervor. Deshalb ist es nothwendig, den Frauen eine allgemein menschliche Bildung zu geben; man wird dadurch den geistigen Unterschied der Geschlechter nicht aufheben, sondern im Gegentheil der Frau die Möglichkeit und Fähigkeit gewähren, das Ideal höchster Weiblichkeit zu erkennen und ihm nachzustreben. "Iphigenie", "Dorothea" repräsentiren uns solche herrliche Frauencharaktere, die wir eben so edel menschlich wie rein weiblich nennen können. Solche Naturen stehen über allem hohlen und leeren Schein weiblicher Bildung und zeigen uns unverrückt genießen in jedem Augenblicke die großen Fortschritte und Errungenschaften der menschlichen Arbeit, und es heißt, uns isoliren, wenn wir diesen Zusammenhang aufheben wollen. Sehr viele Frauen verfallen, indem sie sich streng von allen andern Interessen des Lebens in ihrem Hause abschließen, in eine feine Selbstsucht, die aber gerade gefährlich ist. Unser Geschlecht ist weniger jener Selbstsucht zugänglich, die nur an das eigne Ich denkt, dasselbe über Alles liebt, dafür aber lösen sich Frauen nur selten von jenem Egoismus los, der die Familie umfängt. So hört in vielen Familien die Wechselwirkung zwischen dem großen Leben und dem engen Familienkreise auf, und dadurch zerreißt das Band, welches den Einzelnen mit der ganzen Menschheit verbindet. Nicht durch leeren geselligen Verkehr wird dieser nothwendige Zusammenhang erzeugt, sondern jeder Mensch muß die großen Ideen, welche die Zeit bewegen und erfüllen, in sich aufnehmen, das Verständniß derselben suchen, sich durch sie fortentwickeln. Dies fehlt entschieden den Frauen am meisten! Der Grund hiervon ist leicht zu finden. Unser Geschlecht wird speciell weiblich, zu wenig allgemein menschlich erzogen. – Ohne Zweifel wird jede edle Frau ganz besonders nach den Eigenschaften ringen, die wir weiblich nennen, aber eine harmonische edel-menschliche Entwickelung wird in der Frau die Weiblichkeit nicht aufheben, sondern sie noch höher entwickeln. Es ist ein großer Irrthum, wenn man glaubt, daß eine tüchtige, allseitige Entwickelung der Frau das specifisch Weibliche in ihr aufhebt. Die fein fühlende Frau wird immerdar die Vertreterin der besten, reinsten Sitten bleiben, und je mehr in einer Frau neben dem Gefühl Verstand und Willen entwickelt ist, desto mehr wird sie beschäftigt sein, die Trägerin wahrer Sitte, eigenster Weiblichkeit zu sein. Wir finden gegenwärtig weit mehr den Schein, die erkünstelte Hülle der guten Sitte bei Frauen; viele wollen Anmuth, weiblichen Reiz erzwingen und verlieren durch ein solches Bestreben den letzten Rest wahrer Weiblichkeit. Diese gedeiht nur da, wo ein warmes und geläutertes Gemüth sich mit dem klaren Urtheil eines gebildeten Verstandes verbinden, – denn aus einer solchen Vereinigung geht ein sittlich edles Wollen hervor. Deshalb ist es nothwendig, den Frauen eine allgemein menschliche Bildung zu geben; man wird dadurch den geistigen Unterschied der Geschlechter nicht aufheben, sondern im Gegentheil der Frau die Möglichkeit und Fähigkeit gewähren, das Ideal höchster Weiblichkeit zu erkennen und ihm nachzustreben. „Iphigenie“, „Dorothea“ repräsentiren uns solche herrliche Frauencharaktere, die wir eben so edel menschlich wie rein weiblich nennen können. Solche Naturen stehen über allem hohlen und leeren Schein weiblicher Bildung und zeigen uns unverrückt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0011" n="11"/> genießen in jedem Augenblicke die großen Fortschritte und Errungenschaften der menschlichen Arbeit, und es heißt, uns isoliren, wenn wir diesen Zusammenhang aufheben wollen. Sehr viele Frauen verfallen, indem sie sich streng von allen andern Interessen des Lebens in ihrem Hause abschließen, in eine feine Selbstsucht, die aber gerade gefährlich ist.</p> <p>Unser Geschlecht ist weniger jener Selbstsucht zugänglich, die nur an das eigne Ich denkt, dasselbe über Alles liebt, dafür aber lösen sich Frauen nur selten von jenem Egoismus los, der die Familie umfängt. So hört in vielen Familien die Wechselwirkung zwischen dem großen Leben und dem engen Familienkreise auf, und dadurch zerreißt das Band, welches den Einzelnen mit der ganzen Menschheit verbindet. Nicht durch leeren geselligen Verkehr wird dieser nothwendige Zusammenhang erzeugt, sondern jeder Mensch muß die großen Ideen, welche die Zeit bewegen und erfüllen, in sich aufnehmen, das Verständniß derselben suchen, sich durch sie fortentwickeln. Dies fehlt entschieden den Frauen am meisten! Der Grund hiervon ist leicht zu finden. Unser Geschlecht wird speciell weiblich, zu wenig allgemein menschlich erzogen. –</p> <p>Ohne Zweifel wird jede edle Frau ganz besonders nach den Eigenschaften ringen, die wir weiblich nennen, aber eine harmonische edel-menschliche Entwickelung wird in der Frau die Weiblichkeit nicht aufheben, sondern sie noch höher entwickeln. Es ist ein großer Irrthum, wenn man glaubt, daß eine tüchtige, allseitige Entwickelung der Frau das specifisch Weibliche in ihr aufhebt. Die fein fühlende Frau wird immerdar die Vertreterin der besten, reinsten Sitten bleiben, und je mehr in einer Frau neben dem Gefühl Verstand und Willen entwickelt ist, desto mehr wird sie beschäftigt sein, die Trägerin wahrer Sitte, eigenster Weiblichkeit zu sein. Wir finden gegenwärtig weit mehr den Schein, die erkünstelte Hülle der guten Sitte bei Frauen; viele wollen Anmuth, weiblichen Reiz erzwingen und verlieren durch ein solches Bestreben den letzten Rest wahrer Weiblichkeit. Diese gedeiht nur da, wo ein warmes und geläutertes Gemüth sich mit dem klaren Urtheil eines gebildeten Verstandes verbinden, – denn aus einer solchen Vereinigung geht ein sittlich edles Wollen hervor. Deshalb ist es nothwendig, den Frauen eine allgemein menschliche Bildung zu geben; man wird dadurch den geistigen Unterschied der Geschlechter nicht aufheben, sondern im Gegentheil der Frau die Möglichkeit und Fähigkeit gewähren, das Ideal höchster Weiblichkeit zu erkennen und ihm nachzustreben. „Iphigenie“, „Dorothea“ repräsentiren uns solche herrliche Frauencharaktere, die wir eben <hi rendition="#aq">so edel menschlich wie rein weiblich</hi> nennen können. Solche Naturen stehen über allem hohlen und leeren Schein weiblicher Bildung und zeigen uns unverrückt </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [11/0011]
genießen in jedem Augenblicke die großen Fortschritte und Errungenschaften der menschlichen Arbeit, und es heißt, uns isoliren, wenn wir diesen Zusammenhang aufheben wollen. Sehr viele Frauen verfallen, indem sie sich streng von allen andern Interessen des Lebens in ihrem Hause abschließen, in eine feine Selbstsucht, die aber gerade gefährlich ist.
Unser Geschlecht ist weniger jener Selbstsucht zugänglich, die nur an das eigne Ich denkt, dasselbe über Alles liebt, dafür aber lösen sich Frauen nur selten von jenem Egoismus los, der die Familie umfängt. So hört in vielen Familien die Wechselwirkung zwischen dem großen Leben und dem engen Familienkreise auf, und dadurch zerreißt das Band, welches den Einzelnen mit der ganzen Menschheit verbindet. Nicht durch leeren geselligen Verkehr wird dieser nothwendige Zusammenhang erzeugt, sondern jeder Mensch muß die großen Ideen, welche die Zeit bewegen und erfüllen, in sich aufnehmen, das Verständniß derselben suchen, sich durch sie fortentwickeln. Dies fehlt entschieden den Frauen am meisten! Der Grund hiervon ist leicht zu finden. Unser Geschlecht wird speciell weiblich, zu wenig allgemein menschlich erzogen. –
Ohne Zweifel wird jede edle Frau ganz besonders nach den Eigenschaften ringen, die wir weiblich nennen, aber eine harmonische edel-menschliche Entwickelung wird in der Frau die Weiblichkeit nicht aufheben, sondern sie noch höher entwickeln. Es ist ein großer Irrthum, wenn man glaubt, daß eine tüchtige, allseitige Entwickelung der Frau das specifisch Weibliche in ihr aufhebt. Die fein fühlende Frau wird immerdar die Vertreterin der besten, reinsten Sitten bleiben, und je mehr in einer Frau neben dem Gefühl Verstand und Willen entwickelt ist, desto mehr wird sie beschäftigt sein, die Trägerin wahrer Sitte, eigenster Weiblichkeit zu sein. Wir finden gegenwärtig weit mehr den Schein, die erkünstelte Hülle der guten Sitte bei Frauen; viele wollen Anmuth, weiblichen Reiz erzwingen und verlieren durch ein solches Bestreben den letzten Rest wahrer Weiblichkeit. Diese gedeiht nur da, wo ein warmes und geläutertes Gemüth sich mit dem klaren Urtheil eines gebildeten Verstandes verbinden, – denn aus einer solchen Vereinigung geht ein sittlich edles Wollen hervor. Deshalb ist es nothwendig, den Frauen eine allgemein menschliche Bildung zu geben; man wird dadurch den geistigen Unterschied der Geschlechter nicht aufheben, sondern im Gegentheil der Frau die Möglichkeit und Fähigkeit gewähren, das Ideal höchster Weiblichkeit zu erkennen und ihm nachzustreben. „Iphigenie“, „Dorothea“ repräsentiren uns solche herrliche Frauencharaktere, die wir eben so edel menschlich wie rein weiblich nennen können. Solche Naturen stehen über allem hohlen und leeren Schein weiblicher Bildung und zeigen uns unverrückt
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