Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 2. Leipzig, 1798."Ich soll! ich kann! ich will! Die Fessel ist zerbrochen! "Erhabnes Pflichtgesetz, du hast mich freyge- sprochen! "Nothwendigkeit, dein Sklav streift deine Fesseln ab, "Und schaut ein Geist, ein Held, ein Gott, auf dich herab! "Verschmäh' es, Trefflicher, dem Eiteln nachzu- schmachten! "Dir ziemt durch Heiligkeit nach Seligkeit zu trachten! "O du, der heilig ist, o du, der selig ist, "Ich glaube, dass du bist!" So rufend schaut' ich auf -- und sieh'! des Spät- roths Gluthen Erblassten. Schwer und tief hing auf die schwarzen Fluthen Und auf der Dünen Schnee ein Trauerflor hinab. Noch war erhaben still die Schöpfung, wie ein Grab. Schon rauscht es fern; der Sturm erwacht; die Wogen grollen; Es blitzt in Süd und West; in Süd und Westen rollen Die Donner. Dumpf erklingt die hohle Uferwand, Dumpf Jasmunds Riesenstrand. „Ich soll! ich kann! ich will! Die Fessel ist zerbrochen! „Erhabnes Pflichtgesetz, du hast mich freyge- sprochen! „Nothwendigkeit, dein Sklav streift deine Fesseln ab, „Und schaut ein Geist, ein Held, ein Gott, auf dich herab! „Verschmäh' es, Trefflicher, dem Eiteln nachzu- schmachten! „Dir ziemt durch Heiligkeit nach Seligkeit zu trachten! „O du, der heilig ist, o du, der selig ist, „Ich glaube, dass du bist!“ So rufend schaut' ich auf — und sieh'! des Spät- roths Gluthen Erblassten. Schwer und tief hing auf die schwarzen Fluthen Und auf der Dünen Schnee ein Trauerflor hinab. Noch war erhaben still die Schöpfung, wie ein Grab. Schon rauscht es fern; der Sturm erwacht; die Wogen grollen; Es blitzt in Süd und West; in Süd und Westen rollen Die Donner. Dumpf erklingt die hohle Uferwand, Dumpf Jasmunds Riesenstrand. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <l> <pb facs="#f0310" n="290"/> </l> <lg n="10"> <l>„Ich soll! ich kann! ich will! Die Fessel ist</l><lb/> <l>zerbrochen!</l><lb/> <l>„Erhabnes Pflichtgesetz, du hast mich freyge-</l><lb/> <l>sprochen!</l><lb/> <l>„Nothwendigkeit, dein Sklav streift deine Fesseln</l><lb/> <l>ab,</l><lb/> <l>„Und schaut ein Geist, ein Held, ein Gott, auf</l><lb/> <l>dich herab!</l><lb/> <l>„Verschmäh' es, Trefflicher, dem Eiteln nachzu-</l><lb/> <l>schmachten!</l><lb/> <l>„Dir ziemt durch Heiligkeit nach Seligkeit zu</l><lb/> <l>trachten!</l><lb/> <l>„O du, der heilig ist, o du, der selig ist,</l><lb/> <l>„Ich glaube, dass du bist!“</l> </lg><lb/> <lg n="11"> <l>So rufend schaut' ich auf — und sieh'! des Spät-</l><lb/> <l>roths Gluthen</l><lb/> <l>Erblassten. Schwer und tief hing auf die schwarzen</l><lb/> <l>Fluthen</l><lb/> <l>Und auf der Dünen Schnee ein Trauerflor hinab.</l><lb/> <l>Noch war erhaben still die Schöpfung, wie ein Grab.</l><lb/> <l>Schon rauscht es fern; der Sturm erwacht; die</l><lb/> <l>Wogen grollen;</l><lb/> <l>Es blitzt in Süd und West; in Süd und Westen</l><lb/> <l>rollen</l><lb/> <l>Die Donner. Dumpf erklingt die hohle Uferwand,</l><lb/> <l>Dumpf Jasmunds Riesenstrand.</l> </lg><lb/> <l> </l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [290/0310]
„Ich soll! ich kann! ich will! Die Fessel ist
zerbrochen!
„Erhabnes Pflichtgesetz, du hast mich freyge-
sprochen!
„Nothwendigkeit, dein Sklav streift deine Fesseln
ab,
„Und schaut ein Geist, ein Held, ein Gott, auf
dich herab!
„Verschmäh' es, Trefflicher, dem Eiteln nachzu-
schmachten!
„Dir ziemt durch Heiligkeit nach Seligkeit zu
trachten!
„O du, der heilig ist, o du, der selig ist,
„Ich glaube, dass du bist!“
So rufend schaut' ich auf — und sieh'! des Spät-
roths Gluthen
Erblassten. Schwer und tief hing auf die schwarzen
Fluthen
Und auf der Dünen Schnee ein Trauerflor hinab.
Noch war erhaben still die Schöpfung, wie ein Grab.
Schon rauscht es fern; der Sturm erwacht; die
Wogen grollen;
Es blitzt in Süd und West; in Süd und Westen
rollen
Die Donner. Dumpf erklingt die hohle Uferwand,
Dumpf Jasmunds Riesenstrand.
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