Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 2. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Grauer Schatten umflort den weissen Brautschmuck
des Frühlings;
Feuchter Nebelduft hüllet das freundliche
Grün.
Diese blühende Welt und jener lasurene Him-
mel,
Dieses prangende All däucht mir ein wöl-
bendes Grab,
Drinnen tausendmal tausend geborstene Herzen ver-
wesen
(Ach, sie schwollen so voll einst von Ent-
zücken und Schmerz);
Drinnen zusammengesunken in wenige stiebende
Asche
An des Bräutigams Brust ruhet die schlum-
mernde Braut.

Die du uns trägst und begräbst, wer zählet, o Erde,
die Stummen,
Welche schlafen in dir, welche kein Hahnen-
ruf weckt!
Frühlinge sprossten zu tausend, zu tausenden welkten
die Sommer.
Über den blühenden Staub wandelten Men-
schen dahin,
Hohe, erhabne, geflügelte Menschen. Sie kamen
und gingen.

Grauer Schatten umflort den weissen Brautschmuck
des Frühlings;
Feuchter Nebelduft hüllet das freundliche
Grün.
Diese blühende Welt und jener lasurene Him-
mel,
Dieses prangende All däucht mir ein wöl-
bendes Grab,
Drinnen tausendmal tausend geborstene Herzen ver-
wesen
(Ach, sie schwollen so voll einst von Ent-
zücken und Schmerz);
Drinnen zusammengesunken in wenige stiebende
Asche
An des Bräutigams Brust ruhet die schlum-
mernde Braut.

Die du uns trägst und begräbst, wer zählet, o Erde,
die Stummen,
Welche schlafen in dir, welche kein Hahnen-
ruf weckt!
Frühlinge sprossten zu tausend, zu tausenden welkten
die Sommer.
Über den blühenden Staub wandelten Men-
schen dahin,
Hohe, erhabne, geflügelte Menschen. Sie kamen
und gingen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="3">
              <l>
                <pb facs="#f0342" n="322"/>
              </l>
              <l>Grauer Schatten umflort den weissen Brautschmuck</l><lb/>
              <l>des Frühlings;</l><lb/>
              <l>Feuchter Nebelduft hüllet das freundliche</l><lb/>
              <l>Grün.</l><lb/>
              <l>Diese blühende Welt und jener lasurene Him-</l><lb/>
              <l>mel,</l><lb/>
              <l>Dieses prangende All däucht mir ein wöl-</l><lb/>
              <l>bendes Grab,</l><lb/>
              <l>Drinnen tausendmal tausend geborstene Herzen ver-</l><lb/>
              <l>wesen</l><lb/>
              <l>(Ach, sie schwollen so voll einst von Ent-</l><lb/>
              <l>zücken und Schmerz);</l><lb/>
              <l>Drinnen zusammengesunken in wenige stiebende</l><lb/>
              <l>Asche</l><lb/>
              <l>An des Bräutigams Brust ruhet die schlum-</l><lb/>
              <l>mernde Braut.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Die du uns trägst und begräbst, wer zählet, o Erde,</l><lb/>
              <l>die Stummen,</l><lb/>
              <l>Welche schlafen in dir, welche kein Hahnen-</l><lb/>
              <l>ruf weckt!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Frühlinge sprossten zu tausend, zu tausenden welkten</l><lb/>
              <l>die Sommer.</l><lb/>
              <l>Über den blühenden Staub wandelten Men-</l><lb/>
              <l>schen dahin,</l><lb/>
              <l>Hohe, erhabne, geflügelte Menschen. Sie kamen</l><lb/>
              <l>und gingen.</l>
            </lg><lb/>
            <l>
</l>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[322/0342] Grauer Schatten umflort den weissen Brautschmuck des Frühlings; Feuchter Nebelduft hüllet das freundliche Grün. Diese blühende Welt und jener lasurene Him- mel, Dieses prangende All däucht mir ein wöl- bendes Grab, Drinnen tausendmal tausend geborstene Herzen ver- wesen (Ach, sie schwollen so voll einst von Ent- zücken und Schmerz); Drinnen zusammengesunken in wenige stiebende Asche An des Bräutigams Brust ruhet die schlum- mernde Braut. Die du uns trägst und begräbst, wer zählet, o Erde, die Stummen, Welche schlafen in dir, welche kein Hahnen- ruf weckt! Frühlinge sprossten zu tausend, zu tausenden welkten die Sommer. Über den blühenden Staub wandelten Men- schen dahin, Hohe, erhabne, geflügelte Menschen. Sie kamen und gingen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kosegarten_poesieen02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kosegarten_poesieen02_1798/342
Zitationshilfe: Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kosegarten_poesieen02_1798/342>, abgerufen am 21.11.2024.