Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.Die Straßen von Paris. Dritter Brief. Jüngst, liebe Freundin, erwähnte ich des Portraits des "Jn der Religion ist der Deutsche ungläubig, Die Straßen von Paris. Dritter Brief. Juͤngst, liebe Freundin, erwaͤhnte ich des Portraits des „Jn der Religion ist der Deutsche unglaͤubig, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0100" n="96"/> <div n="2"> <head>Die Straßen von Paris.<lb/> Dritter Brief.</head><lb/> <p>Juͤngst, liebe Freundin, erwaͤhnte ich des Portraits des<lb/> Herrn Christus, welches man auf dem Boulevard fuͤr ei-<lb/> nen Sous kaufen kann; heute will ich Sie mit einer aͤhn-<lb/> lichen Spekulation bekannt machen. Sehen Sie da den<lb/> großen mit Holzschnitten verzierten Bogen: er ist nur auf<lb/> einer Seite bedruckt, aber er enthaͤlt nichts desto weniger,<lb/><hi rendition="#g">das Leben und die Sitten der Nationen von<lb/> Europa.</hi> Vie et moeurs des nations de l'Europe,<lb/> so lautet die Ueberschrift. Jch Deutscher, der ich nicht ge-<lb/> wohnt bin, die Sitten der Nationen anders, als aus di-<lb/> cken Quartbaͤnden kennen zu lernen, werde natuͤrlich von<lb/> der Neubegier ergriffen, und lese mit Vergnuͤgen die Quint-<lb/> essenz der Urtheile und Vorurtheile der Franzosen uͤber sich<lb/> selbst und ihre Nachbaren. Hier einige Beispiele:</p><lb/> <p>„Jn der <hi rendition="#g">Religion</hi> ist der <hi rendition="#g">Deutsche</hi> unglaͤubig,<lb/> der <hi rendition="#g">Englaͤnder</hi> devot, der <hi rendition="#g">Franzose</hi> eifrig, der <hi rendition="#g">Jta-<lb/> liener</hi> voll Ceremonien, der <hi rendition="#g">Spanier</hi> bigot. —<lb/> Jm <hi rendition="#g">Worthalten</hi> ist der Deutsche treu, der Englaͤn-<lb/> der sicher, der Franzose leichtsinnig, der Jtaliener listig,<lb/> der Spanier betruͤgerisch. — Jm <hi rendition="#g">Rathgeben</hi> ist der<lb/> Deutsche langsam, der Englaͤnder entschlossen, der Fran-<lb/> zose uͤbereilt, der Jtaliener fein, der Spanier verwahrt<lb/> sich durch Cautelen. — Jn der <hi rendition="#g">Liebe:</hi> der Deutsche ver-<lb/> steht nicht zu lieben, der Englaͤnder liebt hier und da ein<lb/> wenig, der Franzose uͤberall, der Jtaliener weiß wie man<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [96/0100]
Die Straßen von Paris.
Dritter Brief.
Juͤngst, liebe Freundin, erwaͤhnte ich des Portraits des
Herrn Christus, welches man auf dem Boulevard fuͤr ei-
nen Sous kaufen kann; heute will ich Sie mit einer aͤhn-
lichen Spekulation bekannt machen. Sehen Sie da den
großen mit Holzschnitten verzierten Bogen: er ist nur auf
einer Seite bedruckt, aber er enthaͤlt nichts desto weniger,
das Leben und die Sitten der Nationen von
Europa. Vie et moeurs des nations de l'Europe,
so lautet die Ueberschrift. Jch Deutscher, der ich nicht ge-
wohnt bin, die Sitten der Nationen anders, als aus di-
cken Quartbaͤnden kennen zu lernen, werde natuͤrlich von
der Neubegier ergriffen, und lese mit Vergnuͤgen die Quint-
essenz der Urtheile und Vorurtheile der Franzosen uͤber sich
selbst und ihre Nachbaren. Hier einige Beispiele:
„Jn der Religion ist der Deutsche unglaͤubig,
der Englaͤnder devot, der Franzose eifrig, der Jta-
liener voll Ceremonien, der Spanier bigot. —
Jm Worthalten ist der Deutsche treu, der Englaͤn-
der sicher, der Franzose leichtsinnig, der Jtaliener listig,
der Spanier betruͤgerisch. — Jm Rathgeben ist der
Deutsche langsam, der Englaͤnder entschlossen, der Fran-
zose uͤbereilt, der Jtaliener fein, der Spanier verwahrt
sich durch Cautelen. — Jn der Liebe: der Deutsche ver-
steht nicht zu lieben, der Englaͤnder liebt hier und da ein
wenig, der Franzose uͤberall, der Jtaliener weiß wie man
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