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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.

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Madame Recamier sich wohl auf diesen Vortheil verste-
hen, aber wer mögte ihr das als Koketterie auslegen?
Jch wenigstens, der ich die Weiber so ziemlich kenne, wün-
sche von ganzem Herzen, daß diese Art der Koketterie
allgemein seyn möge. Weißer und seiner, obgleich höchst
anständig, hab' ich freilich nie etwas gesehen, als das Ge-
wand, welches Madame Recamier gewöhnlich wie ein zar-
ter Duft umfließt; anspruchloser und doch reizender, giebt
es keinen Haarschmuck, als das Gewirre der kastanien-
braunen Flechten und Locken, die sie, oft ohne hinzusehen,
kunstlos unter dem Kamme vereinigt. Viele Wochen lang
habe ich sie fast täglich gesehen, aber nie mit Brillanten
geschmücket. An ihr vermißt man sie nicht, und eben so
wenig würde man an ihr sie gewahr werden. Lieblichkeit,
Anmuth, Sittsamkeit, das sind die drei Grazien, welche
ihre Toilette umgeben. Darum sey auch zum letztenmal
von ihrer Schönheit die Rede; die Anmuth ist ja un-
endlich mehr als Schönheit. Jch kenne außer ihr nur noch
eine Frau, über deren Gestalt diese himmlische Anmuth
so reichlich ist ausgegossen worden, -- die Ehrfurcht ver-
bietet mir sie zu nennen.

Eine freundliche, aufmerksame Wirthin, die es allen
ihren Gästen recht zu machen weiß, ist Madame Recamier
in ihrem Hause; ein freier ungezungener Ton herrscht da-
rin; von den vornehmsten Staatsbeamten, von den aus-
gezeichnetesten Fremden, von Dichtern, Philosophen, Ge-
lehrten und Künstlern wird es gern und häufig besucht.
Die anmuthige Wirthin, die schon seit mehreren Jahren
eine so glänzende Rolle in der großen Welt spielt, ist ge-
gen Personen, welchen sie Verdienste zutraut, anfangs
fast ein wenig verlegen. Menschenkenner werden auch
in dem kleinen Zuge ihres Charakters wohl merken, daß

Madame Recamier sich wohl auf diesen Vortheil verste-
hen, aber wer moͤgte ihr das als Koketterie auslegen?
Jch wenigstens, der ich die Weiber so ziemlich kenne, wuͤn-
sche von ganzem Herzen, daß diese Art der Koketterie
allgemein seyn moͤge. Weißer und seiner, obgleich hoͤchst
anstaͤndig, hab' ich freilich nie etwas gesehen, als das Ge-
wand, welches Madame Recamier gewoͤhnlich wie ein zar-
ter Duft umfließt; anspruchloser und doch reizender, giebt
es keinen Haarschmuck, als das Gewirre der kastanien-
braunen Flechten und Locken, die sie, oft ohne hinzusehen,
kunstlos unter dem Kamme vereinigt. Viele Wochen lang
habe ich sie fast taͤglich gesehen, aber nie mit Brillanten
geschmuͤcket. An ihr vermißt man sie nicht, und eben so
wenig wuͤrde man an ihr sie gewahr werden. Lieblichkeit,
Anmuth, Sittsamkeit, das sind die drei Grazien, welche
ihre Toilette umgeben. Darum sey auch zum letztenmal
von ihrer Schoͤnheit die Rede; die Anmuth ist ja un-
endlich mehr als Schoͤnheit. Jch kenne außer ihr nur noch
eine Frau, uͤber deren Gestalt diese himmlische Anmuth
so reichlich ist ausgegossen worden, — die Ehrfurcht ver-
bietet mir sie zu nennen.

Eine freundliche, aufmerksame Wirthin, die es allen
ihren Gaͤsten recht zu machen weiß, ist Madame Recamier
in ihrem Hause; ein freier ungezungener Ton herrscht da-
rin; von den vornehmsten Staatsbeamten, von den aus-
gezeichnetesten Fremden, von Dichtern, Philosophen, Ge-
lehrten und Kuͤnstlern wird es gern und haͤufig besucht.
Die anmuthige Wirthin, die schon seit mehreren Jahren
eine so glaͤnzende Rolle in der großen Welt spielt, ist ge-
gen Personen, welchen sie Verdienste zutraut, anfangs
fast ein wenig verlegen. Menschenkenner werden auch
in dem kleinen Zuge ihres Charakters wohl merken, daß

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[111/0115] Madame Recamier sich wohl auf diesen Vortheil verste- hen, aber wer moͤgte ihr das als Koketterie auslegen? Jch wenigstens, der ich die Weiber so ziemlich kenne, wuͤn- sche von ganzem Herzen, daß diese Art der Koketterie allgemein seyn moͤge. Weißer und seiner, obgleich hoͤchst anstaͤndig, hab' ich freilich nie etwas gesehen, als das Ge- wand, welches Madame Recamier gewoͤhnlich wie ein zar- ter Duft umfließt; anspruchloser und doch reizender, giebt es keinen Haarschmuck, als das Gewirre der kastanien- braunen Flechten und Locken, die sie, oft ohne hinzusehen, kunstlos unter dem Kamme vereinigt. Viele Wochen lang habe ich sie fast taͤglich gesehen, aber nie mit Brillanten geschmuͤcket. An ihr vermißt man sie nicht, und eben so wenig wuͤrde man an ihr sie gewahr werden. Lieblichkeit, Anmuth, Sittsamkeit, das sind die drei Grazien, welche ihre Toilette umgeben. Darum sey auch zum letztenmal von ihrer Schoͤnheit die Rede; die Anmuth ist ja un- endlich mehr als Schoͤnheit. Jch kenne außer ihr nur noch eine Frau, uͤber deren Gestalt diese himmlische Anmuth so reichlich ist ausgegossen worden, — die Ehrfurcht ver- bietet mir sie zu nennen. Eine freundliche, aufmerksame Wirthin, die es allen ihren Gaͤsten recht zu machen weiß, ist Madame Recamier in ihrem Hause; ein freier ungezungener Ton herrscht da- rin; von den vornehmsten Staatsbeamten, von den aus- gezeichnetesten Fremden, von Dichtern, Philosophen, Ge- lehrten und Kuͤnstlern wird es gern und haͤufig besucht. Die anmuthige Wirthin, die schon seit mehreren Jahren eine so glaͤnzende Rolle in der großen Welt spielt, ist ge- gen Personen, welchen sie Verdienste zutraut, anfangs fast ein wenig verlegen. Menschenkenner werden auch in dem kleinen Zuge ihres Charakters wohl merken, daß

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/115>, abgerufen am 23.11.2024.