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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.

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beugung, fordert nichts, wendet sich zu dem Folgenden,
nimmt, was der Vorhergehende ihm in die Hand steckt,
und fährt damit in die Tasche, ohne es anzusehen. Der
Mensch wäre sicher in einer andern Lage ein trefflicher Red-
ner geworden. Das Drolligste bei der Sache sind die Ge-
sichter der Fragenden. Eine hohe Andacht, eine gänzliche
Ergebung und ein fester Glaube malen sich unverkennbar
in allen Zügen. Da der Mann sich, besonders was die
Vergangenheit betrifft, immer mit einer so künstlichen
Zweideutigkeit ausdrückt, daß es nicht fehlen kann, er
muß mit Hülfe der bereitwilligen Einbildungskraft der Zu-
hörer hie und da die Wahrheit treffen; so hab' ich oft ge-
sehen, mit welchem Erstaunen man ihn angaffte, und wie
manches Frauenzimmer mit Thränen in den Augen sich von
ihm wandte. Die nehmlichen Pariser also, die vor we-
nigen Jahren die Göttin der Vernunft freilich nur auf den
Schultern herumtrugen, die nemlichen glauben an Wahr-
sagerey und umringen hundertweis den ersten besten ver-
schmitzten Propheten. -- Unerschöpflich ist der Franzose
in artigen, gefälligen Wendungen, die, wenn man gleich
weiß, es ist nichts dahinter, jedem Zuhörer ein zufriede-
nes Lächeln ablocken. Da steht ein Kerl, der auf seinem
Zeigefinger ein Puppenröckchen dreht, dann und wann ein
Teufelchen herausgucken läßt, und indem er die Hand
plötzlich gen Himmel schleudert, ruft: dort fliegt es!
Diesen matten Spaß würzt er ganz allerliebst durch eine
fließende Erzählung alles dessen, was das Teufelchen auf
seinem Fluge über Paris zu sehen bekommen wird, bald
die Kanonierböte auf der Seine, von welchen er sogleich
eine pompöse Beschreibung hinzufügt, bald eine Jungfer,
die eben aus dem Bette steigt, und die er so reizend als
möglich schildert. So reichen Stoff aber auch sein dem

beugung, fordert nichts, wendet sich zu dem Folgenden,
nimmt, was der Vorhergehende ihm in die Hand steckt,
und faͤhrt damit in die Tasche, ohne es anzusehen. Der
Mensch waͤre sicher in einer andern Lage ein trefflicher Red-
ner geworden. Das Drolligste bei der Sache sind die Ge-
sichter der Fragenden. Eine hohe Andacht, eine gaͤnzliche
Ergebung und ein fester Glaube malen sich unverkennbar
in allen Zuͤgen. Da der Mann sich, besonders was die
Vergangenheit betrifft, immer mit einer so kuͤnstlichen
Zweideutigkeit ausdruͤckt, daß es nicht fehlen kann, er
muß mit Huͤlfe der bereitwilligen Einbildungskraft der Zu-
hoͤrer hie und da die Wahrheit treffen; so hab' ich oft ge-
sehen, mit welchem Erstaunen man ihn angaffte, und wie
manches Frauenzimmer mit Thraͤnen in den Augen sich von
ihm wandte. Die nehmlichen Pariser also, die vor we-
nigen Jahren die Goͤttin der Vernunft freilich nur auf den
Schultern herumtrugen, die nemlichen glauben an Wahr-
sagerey und umringen hundertweis den ersten besten ver-
schmitzten Propheten. — Unerschoͤpflich ist der Franzose
in artigen, gefaͤlligen Wendungen, die, wenn man gleich
weiß, es ist nichts dahinter, jedem Zuhoͤrer ein zufriede-
nes Laͤcheln ablocken. Da steht ein Kerl, der auf seinem
Zeigefinger ein Puppenroͤckchen dreht, dann und wann ein
Teufelchen herausgucken laͤßt, und indem er die Hand
ploͤtzlich gen Himmel schleudert, ruft: dort fliegt es!
Diesen matten Spaß wuͤrzt er ganz allerliebst durch eine
fließende Erzaͤhlung alles dessen, was das Teufelchen auf
seinem Fluge uͤber Paris zu sehen bekommen wird, bald
die Kanonierboͤte auf der Seine, von welchen er sogleich
eine pompoͤse Beschreibung hinzufuͤgt, bald eine Jungfer,
die eben aus dem Bette steigt, und die er so reizend als
moͤglich schildert. So reichen Stoff aber auch sein dem

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[51/0055] beugung, fordert nichts, wendet sich zu dem Folgenden, nimmt, was der Vorhergehende ihm in die Hand steckt, und faͤhrt damit in die Tasche, ohne es anzusehen. Der Mensch waͤre sicher in einer andern Lage ein trefflicher Red- ner geworden. Das Drolligste bei der Sache sind die Ge- sichter der Fragenden. Eine hohe Andacht, eine gaͤnzliche Ergebung und ein fester Glaube malen sich unverkennbar in allen Zuͤgen. Da der Mann sich, besonders was die Vergangenheit betrifft, immer mit einer so kuͤnstlichen Zweideutigkeit ausdruͤckt, daß es nicht fehlen kann, er muß mit Huͤlfe der bereitwilligen Einbildungskraft der Zu- hoͤrer hie und da die Wahrheit treffen; so hab' ich oft ge- sehen, mit welchem Erstaunen man ihn angaffte, und wie manches Frauenzimmer mit Thraͤnen in den Augen sich von ihm wandte. Die nehmlichen Pariser also, die vor we- nigen Jahren die Goͤttin der Vernunft freilich nur auf den Schultern herumtrugen, die nemlichen glauben an Wahr- sagerey und umringen hundertweis den ersten besten ver- schmitzten Propheten. — Unerschoͤpflich ist der Franzose in artigen, gefaͤlligen Wendungen, die, wenn man gleich weiß, es ist nichts dahinter, jedem Zuhoͤrer ein zufriede- nes Laͤcheln ablocken. Da steht ein Kerl, der auf seinem Zeigefinger ein Puppenroͤckchen dreht, dann und wann ein Teufelchen herausgucken laͤßt, und indem er die Hand ploͤtzlich gen Himmel schleudert, ruft: dort fliegt es! Diesen matten Spaß wuͤrzt er ganz allerliebst durch eine fließende Erzaͤhlung alles dessen, was das Teufelchen auf seinem Fluge uͤber Paris zu sehen bekommen wird, bald die Kanonierboͤte auf der Seine, von welchen er sogleich eine pompoͤse Beschreibung hinzufuͤgt, bald eine Jungfer, die eben aus dem Bette steigt, und die er so reizend als moͤglich schildert. So reichen Stoff aber auch sein dem

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/55>, abgerufen am 21.11.2024.