land geschrien haben, wenn ich dergleichen in Einem meiner Stücke gewagt hätte? -- Die Vorstellung war nur mittelmäßig, dennoch wurden fast alle Schauspieler applaudirt, ehe sie noch den Mund aufgethan hatten, ja selbst, wenn sie zum zweiten- oder drittenmale wieder auftraten. Das gefällt mir nicht. Was soll es bedeu- ten? Auffallend ist, daß la petite ville in Berlin besser gespielt wird, als hier, wo es zuerst unter den Augen des Verfassers erschien. -- Mediocre et Ram- pane hingegen wurde vortrefflich exekutirt. Vom vieux comedien, den ganz Paris zu sehen nicht müde wird, hatte ich Mehr erwartet. Die, nach dem Urtheile der Franzosen, noch in der Kindheit liegende teutsche Bühne würde es nicht dulden, daß zwei Väter, als Narren verkleidet, sich plötzlich ihren Kindern unter die Au- gen stellen, um sie zu beschämen. Uebrigens hat das Stück Aehnlichkeit mit meinen Unglücklichen, wel- che, nach Picard's eignem Geständnisse, ihm die erste Jdee dazu gegeben haben. --
Eine eigne glückliche Jdee hat aber der nämliche Verfasser in dem Lustspiele, Monsieur Musard, ausge- führt. Muser, war ein mir bis dahin unbekanntes fran- zösisches Wort, und bedeutet so Viel, als immer beschäff- tigt seyn, aber nie mit Dem, was man eigentlich thun sollte. Also ist Monsieur Musard ein geschäfftiger Müßiggänger, wie Lessing ihn schon vor mehr als 40 Jahren zeichnete. Jn Paris giebt es viele Originale zu dieser Kopie. Die erste Vorstellung wurde mit rau- schendem Beifalle aufgenommen. Als der Vorhang fiel, stürmte Alles, was nur irgend mit Picard bekannt war, in die Foyers und Ankleidezimmer, um ihn zu sehen, zu umarmen, zu ersticken. Ob es Alle ehrlich meynten,
land geschrien haben, wenn ich dergleichen in Einem meiner Stuͤcke gewagt haͤtte? — Die Vorstellung war nur mittelmaͤßig, dennoch wurden fast alle Schauspieler applaudirt, ehe sie noch den Mund aufgethan hatten, ja selbst, wenn sie zum zweiten- oder drittenmale wieder auftraten. Das gefaͤllt mir nicht. Was soll es bedeu- ten? Auffallend ist, daß la petite ville in Berlin besser gespielt wird, als hier, wo es zuerst unter den Augen des Verfassers erschien. — Mediocre et Ram- pane hingegen wurde vortrefflich exekutirt. Vom vieux comédien, den ganz Paris zu sehen nicht muͤde wird, hatte ich Mehr erwartet. Die, nach dem Urtheile der Franzosen, noch in der Kindheit liegende teutsche Buͤhne wuͤrde es nicht dulden, daß zwei Vaͤter, als Narren verkleidet, sich ploͤtzlich ihren Kindern unter die Au- gen stellen, um sie zu beschaͤmen. Uebrigens hat das Stuͤck Aehnlichkeit mit meinen Ungluͤcklichen, wel- che, nach Picard's eignem Gestaͤndnisse, ihm die erste Jdee dazu gegeben haben. —
Eine eigne gluͤckliche Jdee hat aber der naͤmliche Verfasser in dem Lustspiele, Monsieur Musard, ausge- fuͤhrt. Muser, war ein mir bis dahin unbekanntes fran- zoͤsisches Wort, und bedeutet so Viel, als immer beschaͤff- tigt seyn, aber nie mit Dem, was man eigentlich thun sollte. Also ist Monsieur Musard ein geschaͤfftiger Muͤßiggaͤnger, wie Lessing ihn schon vor mehr als 40 Jahren zeichnete. Jn Paris giebt es viele Originale zu dieser Kopie. Die erste Vorstellung wurde mit rau- schendem Beifalle aufgenommen. Als der Vorhang fiel, stuͤrmte Alles, was nur irgend mit Picard bekannt war, in die Foyers und Ankleidezimmer, um ihn zu sehen, zu umarmen, zu ersticken. Ob es Alle ehrlich meynten,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0139"n="139"/>
land geschrien haben, wenn <hirendition="#g">ich</hi> dergleichen in Einem<lb/>
meiner Stuͤcke gewagt haͤtte? — Die Vorstellung war<lb/>
nur mittelmaͤßig, dennoch wurden fast alle Schauspieler<lb/>
applaudirt, ehe sie noch den Mund aufgethan hatten,<lb/>
ja selbst, wenn sie zum zweiten- oder drittenmale wieder<lb/>
auftraten. Das gefaͤllt mir nicht. Was soll es bedeu-<lb/>
ten? Auffallend ist, daß la petite ville in Berlin<lb/>
besser gespielt wird, als hier, wo es zuerst unter den<lb/>
Augen des Verfassers erschien. — Mediocre et Ram-<lb/>
pane hingegen wurde vortrefflich exekutirt. Vom vieux<lb/>
comédien, den ganz Paris zu sehen nicht muͤde wird,<lb/>
hatte ich Mehr erwartet. Die, nach dem Urtheile der<lb/>
Franzosen, noch in der Kindheit liegende teutsche Buͤhne<lb/>
wuͤrde es nicht dulden, daß zwei Vaͤter, <hirendition="#g">als Narren<lb/>
verkleidet,</hi> sich ploͤtzlich ihren Kindern unter die Au-<lb/>
gen stellen, um sie zu beschaͤmen. Uebrigens hat das<lb/>
Stuͤck Aehnlichkeit mit meinen <hirendition="#g">Ungluͤcklichen,</hi> wel-<lb/>
che, nach Picard's eignem Gestaͤndnisse, ihm die erste<lb/>
Jdee dazu gegeben haben. —</p><lb/><p>Eine eigne gluͤckliche Jdee hat aber der naͤmliche<lb/>
Verfasser in dem Lustspiele, Monsieur Musard, ausge-<lb/>
fuͤhrt. Muser, war ein mir bis dahin unbekanntes fran-<lb/>
zoͤsisches Wort, und bedeutet so Viel, als immer beschaͤff-<lb/>
tigt seyn, aber nie mit Dem, was man eigentlich thun<lb/><hirendition="#g">sollte.</hi> Also ist Monsieur Musard ein <hirendition="#g">geschaͤfftiger<lb/>
Muͤßiggaͤnger,</hi> wie Lessing ihn schon vor mehr als<lb/>
40 Jahren zeichnete. Jn Paris giebt es viele Originale<lb/>
zu dieser Kopie. Die erste Vorstellung wurde mit rau-<lb/>
schendem Beifalle aufgenommen. Als der Vorhang fiel,<lb/>
stuͤrmte Alles, was nur irgend mit Picard bekannt war,<lb/>
in die Foyers und Ankleidezimmer, um ihn zu sehen,<lb/>
zu umarmen, zu ersticken. Ob es Alle ehrlich meynten,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[139/0139]
land geschrien haben, wenn ich dergleichen in Einem
meiner Stuͤcke gewagt haͤtte? — Die Vorstellung war
nur mittelmaͤßig, dennoch wurden fast alle Schauspieler
applaudirt, ehe sie noch den Mund aufgethan hatten,
ja selbst, wenn sie zum zweiten- oder drittenmale wieder
auftraten. Das gefaͤllt mir nicht. Was soll es bedeu-
ten? Auffallend ist, daß la petite ville in Berlin
besser gespielt wird, als hier, wo es zuerst unter den
Augen des Verfassers erschien. — Mediocre et Ram-
pane hingegen wurde vortrefflich exekutirt. Vom vieux
comédien, den ganz Paris zu sehen nicht muͤde wird,
hatte ich Mehr erwartet. Die, nach dem Urtheile der
Franzosen, noch in der Kindheit liegende teutsche Buͤhne
wuͤrde es nicht dulden, daß zwei Vaͤter, als Narren
verkleidet, sich ploͤtzlich ihren Kindern unter die Au-
gen stellen, um sie zu beschaͤmen. Uebrigens hat das
Stuͤck Aehnlichkeit mit meinen Ungluͤcklichen, wel-
che, nach Picard's eignem Gestaͤndnisse, ihm die erste
Jdee dazu gegeben haben. —
Eine eigne gluͤckliche Jdee hat aber der naͤmliche
Verfasser in dem Lustspiele, Monsieur Musard, ausge-
fuͤhrt. Muser, war ein mir bis dahin unbekanntes fran-
zoͤsisches Wort, und bedeutet so Viel, als immer beschaͤff-
tigt seyn, aber nie mit Dem, was man eigentlich thun
sollte. Also ist Monsieur Musard ein geschaͤfftiger
Muͤßiggaͤnger, wie Lessing ihn schon vor mehr als
40 Jahren zeichnete. Jn Paris giebt es viele Originale
zu dieser Kopie. Die erste Vorstellung wurde mit rau-
schendem Beifalle aufgenommen. Als der Vorhang fiel,
stuͤrmte Alles, was nur irgend mit Picard bekannt war,
in die Foyers und Ankleidezimmer, um ihn zu sehen,
zu umarmen, zu ersticken. Ob es Alle ehrlich meynten,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/139>, abgerufen am 17.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.