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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.

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Chalons, Saignes und Felize, werden in das Geheim-
niß eingeweiht, bald verbreitet es sich, Niemand zwei-
felt mehr -- seine Gestalt, seine Manieren -- man
darf ihn nur sehen,
rufen die gläubigen Seelen,
auf den ersten Blick erkennt man ihn. Alle
Einwohner von Chalons, der vormals privilegirten Klas-
sen, werden nach und nach zu Vertrauten und Anhän-
gern geworben, alle wetteifern, den letzten unglücklichen
Zweig ihrer Könige zu unterstützen. Seine Tafel wird
täglich mit Leckereyen aller Art besetzt, seine Zimmer
werden elegant möblirt; man hält ihm Lehrer; der Ker-
kermeister ist gehorsam und ehrfurchtsvoll, sein Gefan-
gener darf spazieren gehen, so oft es ihm beliebt, doch
stets als Mädchen verkleidet; das Gefängniß verwandelt
sich gleichsam in ein Lustschloß.

Jndessen waren die Eingeweihten nicht immer vor-
sichtig genug; sie ließen in der Freude ihres Herzens sich
hier und da ein Wörtchen entschlüpfen, die Obrigkeit
wurde aufmerksam, und, nachdem jene Maskerade ei-
nige Monate lang gespielt worden war, befragte man
Hervagault schärfer. Listig und mit Geberden, die das
Gegentheil besagten, erklärt er nun selber, er sey der
Sohn eines Schneiders zu St. Lo. Man schrieb an den
Vater, die Wahrheit der Aussage bestättigte sich, und man
verdammte ihn zu monatlichem Gefängniß. Diese
gelinde Strafe wurde von den Eingeweihten mehr als
ein davon getragener Sieg betrachtet: sie hatten, wäh-
rend der Untersuchung, gezittert, daß der wahre Stand
des Gefangenen werde entdeckt werden. Um ihn, nach
überstandener Strafe, der Wachsamkeit der Polizei zu
entziehen, versieht man ihn reichlich mit Geld, auch
Juwelen, und hilft ihm fort. Er ist sehr zufrieden

Chalons, Saignes und Felize, werden in das Geheim-
niß eingeweiht, bald verbreitet es sich, Niemand zwei-
felt mehr — seine Gestalt, seine Manieren — man
darf ihn nur sehen,
rufen die glaͤubigen Seelen,
auf den ersten Blick erkennt man ihn. Alle
Einwohner von Chalons, der vormals privilegirten Klas-
sen, werden nach und nach zu Vertrauten und Anhaͤn-
gern geworben, alle wetteifern, den letzten ungluͤcklichen
Zweig ihrer Koͤnige zu unterstuͤtzen. Seine Tafel wird
taͤglich mit Leckereyen aller Art besetzt, seine Zimmer
werden elegant moͤblirt; man haͤlt ihm Lehrer; der Ker-
kermeister ist gehorsam und ehrfurchtsvoll, sein Gefan-
gener darf spazieren gehen, so oft es ihm beliebt, doch
stets als Maͤdchen verkleidet; das Gefaͤngniß verwandelt
sich gleichsam in ein Lustschloß.

Jndessen waren die Eingeweihten nicht immer vor-
sichtig genug; sie ließen in der Freude ihres Herzens sich
hier und da ein Woͤrtchen entschluͤpfen, die Obrigkeit
wurde aufmerksam, und, nachdem jene Maskerade ei-
nige Monate lang gespielt worden war, befragte man
Hervagault schaͤrfer. Listig und mit Geberden, die das
Gegentheil besagten, erklaͤrt er nun selber, er sey der
Sohn eines Schneiders zu St. Lo. Man schrieb an den
Vater, die Wahrheit der Aussage bestaͤttigte sich, und man
verdammte ihn zu monatlichem Gefaͤngniß. Diese
gelinde Strafe wurde von den Eingeweihten mehr als
ein davon getragener Sieg betrachtet: sie hatten, waͤh-
rend der Untersuchung, gezittert, daß der wahre Stand
des Gefangenen werde entdeckt werden. Um ihn, nach
uͤberstandener Strafe, der Wachsamkeit der Polizei zu
entziehen, versieht man ihn reichlich mit Geld, auch
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[94/0094] Chalons, Saignes und Felize, werden in das Geheim- niß eingeweiht, bald verbreitet es sich, Niemand zwei- felt mehr — seine Gestalt, seine Manieren — man darf ihn nur sehen, rufen die glaͤubigen Seelen, auf den ersten Blick erkennt man ihn. Alle Einwohner von Chalons, der vormals privilegirten Klas- sen, werden nach und nach zu Vertrauten und Anhaͤn- gern geworben, alle wetteifern, den letzten ungluͤcklichen Zweig ihrer Koͤnige zu unterstuͤtzen. Seine Tafel wird taͤglich mit Leckereyen aller Art besetzt, seine Zimmer werden elegant moͤblirt; man haͤlt ihm Lehrer; der Ker- kermeister ist gehorsam und ehrfurchtsvoll, sein Gefan- gener darf spazieren gehen, so oft es ihm beliebt, doch stets als Maͤdchen verkleidet; das Gefaͤngniß verwandelt sich gleichsam in ein Lustschloß. Jndessen waren die Eingeweihten nicht immer vor- sichtig genug; sie ließen in der Freude ihres Herzens sich hier und da ein Woͤrtchen entschluͤpfen, die Obrigkeit wurde aufmerksam, und, nachdem jene Maskerade ei- nige Monate lang gespielt worden war, befragte man Hervagault schaͤrfer. Listig und mit Geberden, die das Gegentheil besagten, erklaͤrt er nun selber, er sey der Sohn eines Schneiders zu St. Lo. Man schrieb an den Vater, die Wahrheit der Aussage bestaͤttigte sich, und man verdammte ihn zu monatlichem Gefaͤngniß. Diese gelinde Strafe wurde von den Eingeweihten mehr als ein davon getragener Sieg betrachtet: sie hatten, waͤh- rend der Untersuchung, gezittert, daß der wahre Stand des Gefangenen werde entdeckt werden. Um ihn, nach uͤberstandener Strafe, der Wachsamkeit der Polizei zu entziehen, versieht man ihn reichlich mit Geld, auch Juwelen, und hilft ihm fort. Er ist sehr zufrieden

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/94>, abgerufen am 24.11.2024.