Erfahrung lehrt, ist es trotz der grössten Anstrengung völlig unmöglich, bei diesen Versuchen längere Zeit alle Vorstellungen aus unserem Bewusstsein fernzuhalten. Immer und immer wieder tauchen associative Bilder der verschiedensten Art in uns auf, die wir mit Mühe unter- drücken, um unsere Aufmerksamkeit der Zeitschätzung zuzuwenden. Der Alkohol erschwert, der Thee aber erleichtert wahrscheinlich das Auf- treten solcher Vorstellungen. Dieser Umstand ist vielleicht für die Er- klärung der verschiedenen Wirkung jener Mittel auf die Zeitschätzung von Bedeutung. Dort vergeht uns die Zeit zunächst relativ schnell, weil die Vorstellungen einander langsamer folgen, bis die wachsende Er- müdung uns die Concentration auf die zu lösende eintönige Aufgabe immer mehr erschwert und das Gefühl der inneren Anstrengung stärker hervortritt. Hier dagegen lässt der raschere Wechsel der Gedanken uns die Zeitstrecken länger erscheinen, als sie sind, und je nachdem es uns mehr oder weniger gut gelingt, fremde Vorstellungen fernzu- halten, werden höhere oder niedrige Schätzungswerthe das Ergebniss sein. Ich brauche wol nicht besonders darauf hinzuweisen, dass alle diese Ausführungen einstweilen rein hypothetische sind, und dass ich weit davon entfernt bin, sie als befriedigende Lösung der hier liegenden Fragen zu betrachten. Nur den thatsächlichen Unterschied zwischen Alkohol- und Theewirkung auf diesem Gebiete wird man wol an- erkennen müssen; eine wirklich zuverlässige Deutung aber dürfte nur mit Hülfe umfangreicher und systematisch abgeänderter weiterer Ver- suche zu erreichen sein.
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Erfahrung lehrt, ist es trotz der grössten Anstrengung völlig unmöglich, bei diesen Versuchen längere Zeit alle Vorstellungen aus unserem Bewusstsein fernzuhalten. Immer und immer wieder tauchen associative Bilder der verschiedensten Art in uns auf, die wir mit Mühe unter- drücken, um unsere Aufmerksamkeit der Zeitschätzung zuzuwenden. Der Alkohol erschwert, der Thee aber erleichtert wahrscheinlich das Auf- treten solcher Vorstellungen. Dieser Umstand ist vielleicht für die Er- klärung der verschiedenen Wirkung jener Mittel auf die Zeitschätzung von Bedeutung. Dort vergeht uns die Zeit zunächst relativ schnell, weil die Vorstellungen einander langsamer folgen, bis die wachsende Er- müdung uns die Concentration auf die zu lösende eintönige Aufgabe immer mehr erschwert und das Gefühl der inneren Anstrengung stärker hervortritt. Hier dagegen lässt der raschere Wechsel der Gedanken uns die Zeitstrecken länger erscheinen, als sie sind, und je nachdem es uns mehr oder weniger gut gelingt, fremde Vorstellungen fernzu- halten, werden höhere oder niedrige Schätzungswerthe das Ergebniss sein. Ich brauche wol nicht besonders darauf hinzuweisen, dass alle diese Ausführungen einstweilen rein hypothetische sind, und dass ich weit davon entfernt bin, sie als befriedigende Lösung der hier liegenden Fragen zu betrachten. Nur den thatsächlichen Unterschied zwischen Alkohol- und Theewirkung auf diesem Gebiete wird man wol an- erkennen müssen; eine wirklich zuverlässige Deutung aber dürfte nur mit Hülfe umfangreicher und systematisch abgeänderter weiterer Ver- suche zu erreichen sein.
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Erfahrung lehrt, ist es trotz der grössten Anstrengung völlig unmöglich,
bei diesen Versuchen längere Zeit alle Vorstellungen aus unserem
Bewusstsein fernzuhalten. Immer und immer wieder tauchen associative
Bilder der verschiedensten Art in uns auf, die wir mit Mühe unter-
drücken, um unsere Aufmerksamkeit der Zeitschätzung zuzuwenden.
Der Alkohol erschwert, der Thee aber erleichtert wahrscheinlich das Auf-
treten solcher Vorstellungen. Dieser Umstand ist vielleicht für die Er-
klärung der verschiedenen Wirkung jener Mittel auf die Zeitschätzung
von Bedeutung. Dort vergeht uns die Zeit zunächst relativ schnell, weil
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müdung uns die Concentration auf die zu lösende eintönige Aufgabe
immer mehr erschwert und das Gefühl der inneren Anstrengung stärker
hervortritt. Hier dagegen lässt der raschere Wechsel der Gedanken
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es uns mehr oder weniger gut gelingt, fremde Vorstellungen fernzu-
halten, werden höhere oder niedrige Schätzungswerthe das Ergebniss
sein. Ich brauche wol nicht besonders darauf hinzuweisen, dass alle
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Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/163>, abgerufen am 21.11.2024.
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