Umsetzung derselben in Bewegung eher erleichtert, als erschwert. Wir sind im Paraldehydrausche nicht nur unbesonnen, wie unter der Ein- wirkung des Alkohols, sondern unbesinnlich, und es entwickelt sich hier eine Art psychischer Ataxie. Wir sind nicht mehr im Stande, die Bewegungsimpulse immer in ihre richtigen Bahnen zu lenken, während im ersten Stadium der Alkoholvergiftung die Bewegungen wol unseren Impulsen, nicht aber unseren allgemeinen Charaktereigen- schaften entsprechen.
c. Chloralhydrat.
Noch unvollständiger, als das Bild der Paraldehydwirkung, ge- staltet sich dasjenige der psychischen Beeinflussung durch Chloral- hydrat. Dieses Mittel verlangsamt, wie es scheint, in gleicher Weise die Auffassung äusserer Reize wie die Auslösung von Bewegungen. Jedenfalls gestatten die unsicheren Andeutungen ganz vorübergehen- der Erleichterung dieser letzteren Function kein bestimmtes Urtheil. Die Erschwerung der psychischen Vorgänge tritt vielleicht etwas lang- samer ein, als beim Paraldehyd, ist aber schon bei kleinen Gaben von 1 gr recht intensiv und dauert sehr lange, sicherlich weit über eine Stunde an. Von besonderem Interesse scheint mir eben der Umstand zu sein, dass bei diesem Mittel, trotzdem es eine Narkose erzeugt, die äusserlich der Paraldehydvergiftung ähnlich ist, jene eigen- thümliche motorische Erregbarkeitssteigerung nicht mehr nachgewiesen werden kann. Auch De-Sarlo und Bernardini*) fanden Herab- setzung der Sensibilität wie der Motilität. Diese Erfahrung würde darauf hindeuten, dass wir in jener Erscheinung eine specifische Paraldehyd- wirkung vor uns haben, an deren Stelle hier die Lähmung tritt.
Vielleicht hängt mit diesem Unterschiede weiterhin auch die bekannte Differenz beider Mittel in der Beeinflussung von Circulation und Ath- mung zusammen. Das Chloralhydrat lähmt die motorischen Functionen von vornherein oder doch sehr bald und schon in kleinen Gaben, der Alkohol erst spät, nach anfänglicher Erregung oder bei höherer Dosis, das Paraldehyd gar nicht oder nur in sehr grossen Mengen. Die lähmende Wirkung auf das Sensorium ist ebenfalls beim Chloralhydrat am stärksten, fast ebenso beim Paraldehyd, weit geringer und lang- samer beim Alkohol. Aus dieser Gegenüberstellung geht hervor, was
*) l. c. p. 19.
Umsetzung derselben in Bewegung eher erleichtert, als erschwert. Wir sind im Paraldehydrausche nicht nur unbesonnen, wie unter der Ein- wirkung des Alkohols, sondern unbesinnlich, und es entwickelt sich hier eine Art psychischer Ataxie. Wir sind nicht mehr im Stande, die Bewegungsimpulse immer in ihre richtigen Bahnen zu lenken, während im ersten Stadium der Alkoholvergiftung die Bewegungen wol unseren Impulsen, nicht aber unseren allgemeinen Charaktereigen- schaften entsprechen.
c. Chloralhydrat.
Noch unvollständiger, als das Bild der Paraldehydwirkung, ge- staltet sich dasjenige der psychischen Beeinflussung durch Chloral- hydrat. Dieses Mittel verlangsamt, wie es scheint, in gleicher Weise die Auffassung äusserer Reize wie die Auslösung von Bewegungen. Jedenfalls gestatten die unsicheren Andeutungen ganz vorübergehen- der Erleichterung dieser letzteren Function kein bestimmtes Urtheil. Die Erschwerung der psychischen Vorgänge tritt vielleicht etwas lang- samer ein, als beim Paraldehyd, ist aber schon bei kleinen Gaben von 1 gr recht intensiv und dauert sehr lange, sicherlich weit über eine Stunde an. Von besonderem Interesse scheint mir eben der Umstand zu sein, dass bei diesem Mittel, trotzdem es eine Narkose erzeugt, die äusserlich der Paraldehydvergiftung ähnlich ist, jene eigen- thümliche motorische Erregbarkeitssteigerung nicht mehr nachgewiesen werden kann. Auch De-Sarlo und Bernardini*) fanden Herab- setzung der Sensibilität wie der Motilität. Diese Erfahrung würde darauf hindeuten, dass wir in jener Erscheinung eine specifische Paraldehyd- wirkung vor uns haben, an deren Stelle hier die Lähmung tritt.
Vielleicht hängt mit diesem Unterschiede weiterhin auch die bekannte Differenz beider Mittel in der Beeinflussung von Circulation und Ath- mung zusammen. Das Chloralhydrat lähmt die motorischen Functionen von vornherein oder doch sehr bald und schon in kleinen Gaben, der Alkohol erst spät, nach anfänglicher Erregung oder bei höherer Dosis, das Paraldehyd gar nicht oder nur in sehr grossen Mengen. Die lähmende Wirkung auf das Sensorium ist ebenfalls beim Chloralhydrat am stärksten, fast ebenso beim Paraldehyd, weit geringer und lang- samer beim Alkohol. Aus dieser Gegenüberstellung geht hervor, was
*) l. c. p. 19.
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[212/0228]
Umsetzung derselben in Bewegung eher erleichtert, als erschwert. Wir
sind im Paraldehydrausche nicht nur unbesonnen, wie unter der Ein-
wirkung des Alkohols, sondern unbesinnlich, und es entwickelt sich
hier eine Art psychischer Ataxie. Wir sind nicht mehr im Stande,
die Bewegungsimpulse immer in ihre richtigen Bahnen zu lenken,
während im ersten Stadium der Alkoholvergiftung die Bewegungen
wol unseren Impulsen, nicht aber unseren allgemeinen Charaktereigen-
schaften entsprechen.
c. Chloralhydrat.
Noch unvollständiger, als das Bild der Paraldehydwirkung, ge-
staltet sich dasjenige der psychischen Beeinflussung durch Chloral-
hydrat. Dieses Mittel verlangsamt, wie es scheint, in gleicher Weise
die Auffassung äusserer Reize wie die Auslösung von Bewegungen.
Jedenfalls gestatten die unsicheren Andeutungen ganz vorübergehen-
der Erleichterung dieser letzteren Function kein bestimmtes Urtheil.
Die Erschwerung der psychischen Vorgänge tritt vielleicht etwas lang-
samer ein, als beim Paraldehyd, ist aber schon bei kleinen Gaben
von 1 gr recht intensiv und dauert sehr lange, sicherlich weit über
eine Stunde an. Von besonderem Interesse scheint mir eben der
Umstand zu sein, dass bei diesem Mittel, trotzdem es eine Narkose
erzeugt, die äusserlich der Paraldehydvergiftung ähnlich ist, jene eigen-
thümliche motorische Erregbarkeitssteigerung nicht mehr nachgewiesen
werden kann. Auch De-Sarlo und Bernardini *) fanden Herab-
setzung der Sensibilität wie der Motilität. Diese Erfahrung würde darauf
hindeuten, dass wir in jener Erscheinung eine specifische Paraldehyd-
wirkung vor uns haben, an deren Stelle hier die Lähmung tritt.
Vielleicht hängt mit diesem Unterschiede weiterhin auch die bekannte
Differenz beider Mittel in der Beeinflussung von Circulation und Ath-
mung zusammen. Das Chloralhydrat lähmt die motorischen Functionen
von vornherein oder doch sehr bald und schon in kleinen Gaben, der
Alkohol erst spät, nach anfänglicher Erregung oder bei höherer Dosis,
das Paraldehyd gar nicht oder nur in sehr grossen Mengen. Die
lähmende Wirkung auf das Sensorium ist ebenfalls beim Chloralhydrat
am stärksten, fast ebenso beim Paraldehyd, weit geringer und lang-
samer beim Alkohol. Aus dieser Gegenüberstellung geht hervor, was
*) l. c. p. 19.
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Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/228>, abgerufen am 17.02.2025.
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