Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

schwarze Linie eingezeichnet habe, würde dem praktisch durch die
Messung gefundenen Ablaufe der psychometrischen Werthe ent-
sprechen.

Die nahe Verwandtschaft der Wirkungen des Chloroform und
Aether untereinander und weiterhin mit dem Chloralhydrat fällt bei
dieser Darstellungsweise ebenso unmittelbar in die Augen, wie ihre
feineren Unterschiede. Beim Paraldehyd und mehr noch beim Amyl-
nitrit tritt die Beschleunigung der motorischen Functionen stärker
hervor; zugleich aber liegen hier nach der andern Seite hin tiefgrei-
fende Differenzen, die das erstere mehr dem Chloralhydrat, das letztere
mehr dem Aether und Chloroform nähern, ohne sie doch diesen Mitteln
völlig gleichzustellen. Eine sehr grosse Alkoholdosis unterscheidet sich
in ihrer Gesammtwirkung von der des Chloralhydrats hauptsächlich durch
die langsamere Entwicklung der Lähmung, während bei kleiner Dosis
das psychische Bild der Vergiftung durch die stärker hervortretende
motorische Erregung eine wesentlich andere Färbung erhält. Beim
Thee und Morphium tritt uns in der Erleichterung der sensorischen
und intellectuellen Vorgänge eine völlig neue Erscheinung entgegen,
die sich beim Morphium mit der ebenfalls stark ausgeprägten Willens-
lähmung in höchst eigenthümlicher Weise combinirt. Für die Thee-
wirkung dagegen gewinnt neben der geringfügigen centralen moto-
rischen Hemmung ausserdem noch die hier nicht mit dargestellte Er-
regbarkeitssteigerung der peripheren Bewegungsorgane charakteristische
Bedeutung. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass die in diesen
Curven ausgedrückten Anschauungen sich durch fortgesetzte Unter-
suchungen noch nach mancher Richtung hin ändern werden, zumal
meine Studien eigentlich nur für den Alkohol und Thee eine grössere
Vollständigkeit erreicht haben. Andererseits aber sehe ich gerade
in dem durchgängigen und ungesuchten Parallelismus zwischen den
praktisch bekannten Differenzen und den Ableitungen aus unseren
Versuchen eine gewisse Gewähr dafür, dass es uns hier gelungen ist,
in der Erkenntniss des Thatsächlichen einen Schritt vorwärts zu thun.

Mit voller Absicht habe ich es überall im Vorstehenden vermieden,
eine Anknüpfung der psychologischen Erfahrungen an die physiologisch-
chemischen Vorstellungen über die Wirkung der Arzneimittel zu suchen.
Zur Lösung einer solchen Aufgabe halte ich mich nicht für competent.
Auch fürchte ich, dass der Widerstreit der Meinungen auf dem Ge-
biete der Pharmakophysiologie es für jetzt überhaupt schwierig machen
wird, in jener Frage weiter, als zu einigen allgemeinen und unsicher
begründeten Hypothesen zu gelangen. Mein Ziel war es ausschliess-

schwarze Linie eingezeichnet habe, würde dem praktisch durch die
Messung gefundenen Ablaufe der psychometrischen Werthe ent-
sprechen.

Die nahe Verwandtschaft der Wirkungen des Chloroform und
Aether untereinander und weiterhin mit dem Chloralhydrat fällt bei
dieser Darstellungsweise ebenso unmittelbar in die Augen, wie ihre
feineren Unterschiede. Beim Paraldehyd und mehr noch beim Amyl-
nitrit tritt die Beschleunigung der motorischen Functionen stärker
hervor; zugleich aber liegen hier nach der andern Seite hin tiefgrei-
fende Differenzen, die das erstere mehr dem Chloralhydrat, das letztere
mehr dem Aether und Chloroform nähern, ohne sie doch diesen Mitteln
völlig gleichzustellen. Eine sehr grosse Alkoholdosis unterscheidet sich
in ihrer Gesammtwirkung von der des Chloralhydrats hauptsächlich durch
die langsamere Entwicklung der Lähmung, während bei kleiner Dosis
das psychische Bild der Vergiftung durch die stärker hervortretende
motorische Erregung eine wesentlich andere Färbung erhält. Beim
Thee und Morphium tritt uns in der Erleichterung der sensorischen
und intellectuellen Vorgänge eine völlig neue Erscheinung entgegen,
die sich beim Morphium mit der ebenfalls stark ausgeprägten Willens-
lähmung in höchst eigenthümlicher Weise combinirt. Für die Thee-
wirkung dagegen gewinnt neben der geringfügigen centralen moto-
rischen Hemmung ausserdem noch die hier nicht mit dargestellte Er-
regbarkeitssteigerung der peripheren Bewegungsorgane charakteristische
Bedeutung. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass die in diesen
Curven ausgedrückten Anschauungen sich durch fortgesetzte Unter-
suchungen noch nach mancher Richtung hin ändern werden, zumal
meine Studien eigentlich nur für den Alkohol und Thee eine grössere
Vollständigkeit erreicht haben. Andererseits aber sehe ich gerade
in dem durchgängigen und ungesuchten Parallelismus zwischen den
praktisch bekannten Differenzen und den Ableitungen aus unseren
Versuchen eine gewisse Gewähr dafür, dass es uns hier gelungen ist,
in der Erkenntniss des Thatsächlichen einen Schritt vorwärts zu thun.

Mit voller Absicht habe ich es überall im Vorstehenden vermieden,
eine Anknüpfung der psychologischen Erfahrungen an die physiologisch-
chemischen Vorstellungen über die Wirkung der Arzneimittel zu suchen.
Zur Lösung einer solchen Aufgabe halte ich mich nicht für competent.
Auch fürchte ich, dass der Widerstreit der Meinungen auf dem Ge-
biete der Pharmakophysiologie es für jetzt überhaupt schwierig machen
wird, in jener Frage weiter, als zu einigen allgemeinen und unsicher
begründeten Hypothesen zu gelangen. Mein Ziel war es ausschliess-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0245" n="229"/>
schwarze Linie eingezeichnet habe, würde dem praktisch durch die<lb/>
Messung gefundenen Ablaufe der psychometrischen Werthe ent-<lb/>
sprechen.</p><lb/>
          <p>Die nahe Verwandtschaft der Wirkungen des Chloroform und<lb/>
Aether untereinander und weiterhin mit dem Chloralhydrat fällt bei<lb/>
dieser Darstellungsweise ebenso unmittelbar in die Augen, wie ihre<lb/>
feineren Unterschiede. Beim Paraldehyd und mehr noch beim Amyl-<lb/>
nitrit tritt die Beschleunigung der motorischen Functionen stärker<lb/>
hervor; zugleich aber liegen hier nach der andern Seite hin tiefgrei-<lb/>
fende Differenzen, die das erstere mehr dem Chloralhydrat, das letztere<lb/>
mehr dem Aether und Chloroform nähern, ohne sie doch diesen Mitteln<lb/>
völlig gleichzustellen. Eine sehr grosse Alkoholdosis unterscheidet sich<lb/>
in ihrer Gesammtwirkung von der des Chloralhydrats hauptsächlich durch<lb/>
die langsamere Entwicklung der Lähmung, während bei kleiner Dosis<lb/>
das psychische Bild der Vergiftung durch die stärker hervortretende<lb/>
motorische Erregung eine wesentlich andere Färbung erhält. Beim<lb/>
Thee und Morphium tritt uns in der Erleichterung der sensorischen<lb/>
und intellectuellen Vorgänge eine völlig neue Erscheinung entgegen,<lb/>
die sich beim Morphium mit der ebenfalls stark ausgeprägten Willens-<lb/>
lähmung in höchst eigenthümlicher Weise combinirt. Für die Thee-<lb/>
wirkung dagegen gewinnt neben der geringfügigen centralen moto-<lb/>
rischen Hemmung ausserdem noch die hier nicht mit dargestellte Er-<lb/>
regbarkeitssteigerung der peripheren Bewegungsorgane charakteristische<lb/>
Bedeutung. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass die in diesen<lb/>
Curven ausgedrückten Anschauungen sich durch fortgesetzte Unter-<lb/>
suchungen noch nach mancher Richtung hin ändern werden, zumal<lb/>
meine Studien eigentlich nur für den Alkohol und Thee eine grössere<lb/>
Vollständigkeit erreicht haben. Andererseits aber sehe ich gerade<lb/>
in dem durchgängigen und ungesuchten Parallelismus zwischen den<lb/>
praktisch bekannten Differenzen und den Ableitungen aus unseren<lb/>
Versuchen eine gewisse Gewähr dafür, dass es uns hier gelungen ist,<lb/>
in der Erkenntniss des Thatsächlichen einen Schritt vorwärts zu thun.</p><lb/>
          <p>Mit voller Absicht habe ich es überall im Vorstehenden vermieden,<lb/>
eine Anknüpfung der psychologischen Erfahrungen an die physiologisch-<lb/>
chemischen Vorstellungen über die Wirkung der Arzneimittel zu suchen.<lb/>
Zur Lösung einer solchen Aufgabe halte ich mich nicht für competent.<lb/>
Auch fürchte ich, dass der Widerstreit der Meinungen auf dem Ge-<lb/>
biete der Pharmakophysiologie es für jetzt überhaupt schwierig machen<lb/>
wird, in jener Frage weiter, als zu einigen allgemeinen und unsicher<lb/>
begründeten Hypothesen zu gelangen. Mein Ziel war es ausschliess-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[229/0245] schwarze Linie eingezeichnet habe, würde dem praktisch durch die Messung gefundenen Ablaufe der psychometrischen Werthe ent- sprechen. Die nahe Verwandtschaft der Wirkungen des Chloroform und Aether untereinander und weiterhin mit dem Chloralhydrat fällt bei dieser Darstellungsweise ebenso unmittelbar in die Augen, wie ihre feineren Unterschiede. Beim Paraldehyd und mehr noch beim Amyl- nitrit tritt die Beschleunigung der motorischen Functionen stärker hervor; zugleich aber liegen hier nach der andern Seite hin tiefgrei- fende Differenzen, die das erstere mehr dem Chloralhydrat, das letztere mehr dem Aether und Chloroform nähern, ohne sie doch diesen Mitteln völlig gleichzustellen. Eine sehr grosse Alkoholdosis unterscheidet sich in ihrer Gesammtwirkung von der des Chloralhydrats hauptsächlich durch die langsamere Entwicklung der Lähmung, während bei kleiner Dosis das psychische Bild der Vergiftung durch die stärker hervortretende motorische Erregung eine wesentlich andere Färbung erhält. Beim Thee und Morphium tritt uns in der Erleichterung der sensorischen und intellectuellen Vorgänge eine völlig neue Erscheinung entgegen, die sich beim Morphium mit der ebenfalls stark ausgeprägten Willens- lähmung in höchst eigenthümlicher Weise combinirt. Für die Thee- wirkung dagegen gewinnt neben der geringfügigen centralen moto- rischen Hemmung ausserdem noch die hier nicht mit dargestellte Er- regbarkeitssteigerung der peripheren Bewegungsorgane charakteristische Bedeutung. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass die in diesen Curven ausgedrückten Anschauungen sich durch fortgesetzte Unter- suchungen noch nach mancher Richtung hin ändern werden, zumal meine Studien eigentlich nur für den Alkohol und Thee eine grössere Vollständigkeit erreicht haben. Andererseits aber sehe ich gerade in dem durchgängigen und ungesuchten Parallelismus zwischen den praktisch bekannten Differenzen und den Ableitungen aus unseren Versuchen eine gewisse Gewähr dafür, dass es uns hier gelungen ist, in der Erkenntniss des Thatsächlichen einen Schritt vorwärts zu thun. Mit voller Absicht habe ich es überall im Vorstehenden vermieden, eine Anknüpfung der psychologischen Erfahrungen an die physiologisch- chemischen Vorstellungen über die Wirkung der Arzneimittel zu suchen. Zur Lösung einer solchen Aufgabe halte ich mich nicht für competent. Auch fürchte ich, dass der Widerstreit der Meinungen auf dem Ge- biete der Pharmakophysiologie es für jetzt überhaupt schwierig machen wird, in jener Frage weiter, als zu einigen allgemeinen und unsicher begründeten Hypothesen zu gelangen. Mein Ziel war es ausschliess-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/245
Zitationshilfe: Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/245>, abgerufen am 22.11.2024.