Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

actionsweise dienen kann. Genauere, eigens auf diese Frage gerichtete
Untersuchungen fehlen mir; dagegen haben wir bei mehreren Gelegen-
heiten gesehen, wie verschieden sich die einzelnen Beobachter in dieser
Richtung verhalten. Von allen genauer untersuchten Personen hatte
K. die geringste, R. die grösste Neigung zu vorzeitigen Reactionen.
S., De., Tr. und T. näherten sich mehr dem Letzteren, L. mehr dem
Ersteren. Wie man sieht, spielt somit die absolute Länge der Re-
actionszeiten hier nicht die entscheidende Rolle; vielmehr kommen
noch andere persönliche Eigenschaften in Betracht. Bei an sich
längeren psychischen Zeiten kann die Neigung zu vorzeitiger Reaction
stärker ausgeprägt sein, als bei andern Personen mit schnellem Ab-
laufe der psychischen Functionen. Freilich wird man sie im letzteren
Falle häufiger beobachten, aber dabei ist es vielfach schwer, zu ent-
scheiden, ob nicht umgekehrt die kurzen Werthe selbst schon durch
vorzeitige Reactionen bedingt sind.

Mit dem Gegensatze zwischen sensorieller und musculärer Re-
actionsweise habe ich schon früher die Verschiedenheit der
Lernmethode
in Parallele gestellt. Wie mir scheint, lassen sich
ähnliche Gegensätze auf sehr vielen Gebieten unserer psychischen
Leistungen wiederfinden. Ueberall, wo sich Wahrnehmungen und
Erinnerungsbilder mit Bewegungsvorstellungen verknüpfen, können
wir unsere Aufmerksamkeit jenen oder diesen vorzugsweise zuwenden.
Wir werden daher erwarten dürfen, dass in den neugebildeten Vor-
stellungscomplexen bald die sensorisch-intellectuellen, bald die moto-
rischen Elemente schärfer ausgeprägt sind. Gerade die Erfahrungen
über verschiedene Reactionsweisen und Lernmethoden legen ferner den
Gedanken nahe, dass jene verschiedenartige Ausprägung der Gesammt-
vorstellungen bis zu einem gewissen Grade durch individuelle Eigen-
thümlichkeiten beeinflusst wird. Es könnte sein, dass einige Personen
überhaupt mehr contemplativ und intellectuell, andere mehr motorisch
veranlagt sind, oder auch, dass sich bei demselben Individuum ent-
gegengesetzte Richtungen der psychischen Reactionsweise auf ver-
schiedenen Gebieten nebeneinander vorfinden. Genaueren Aufschluss
über diese Fragen können uns erst eigens darauf gerichtete Unter-
suchungen gewähren. Ich möchte indessen schon jetzt daran erinnern,
dass die tägliche Erfahrung uns zahlreiche Beobachtungen an die Hand
giebt, welche sich möglicherweise unter diesem Gesichtspunkte deuten
lassen. Wir wissen Alle, dass die Fähigkeit, bestimmte Gruppen von
Vorstellungen festzuhalten, in ausserordentlich verschiedener Weise
ausgebildet ist, so dass man sie theilweise sogar als besondere "Seelen-

actionsweise dienen kann. Genauere, eigens auf diese Frage gerichtete
Untersuchungen fehlen mir; dagegen haben wir bei mehreren Gelegen-
heiten gesehen, wie verschieden sich die einzelnen Beobachter in dieser
Richtung verhalten. Von allen genauer untersuchten Personen hatte
K. die geringste, R. die grösste Neigung zu vorzeitigen Reactionen.
S., De., Tr. und T. näherten sich mehr dem Letzteren, L. mehr dem
Ersteren. Wie man sieht, spielt somit die absolute Länge der Re-
actionszeiten hier nicht die entscheidende Rolle; vielmehr kommen
noch andere persönliche Eigenschaften in Betracht. Bei an sich
längeren psychischen Zeiten kann die Neigung zu vorzeitiger Reaction
stärker ausgeprägt sein, als bei andern Personen mit schnellem Ab-
laufe der psychischen Functionen. Freilich wird man sie im letzteren
Falle häufiger beobachten, aber dabei ist es vielfach schwer, zu ent-
scheiden, ob nicht umgekehrt die kurzen Werthe selbst schon durch
vorzeitige Reactionen bedingt sind.

Mit dem Gegensatze zwischen sensorieller und musculärer Re-
actionsweise habe ich schon früher die Verschiedenheit der
Lernmethode
in Parallele gestellt. Wie mir scheint, lassen sich
ähnliche Gegensätze auf sehr vielen Gebieten unserer psychischen
Leistungen wiederfinden. Ueberall, wo sich Wahrnehmungen und
Erinnerungsbilder mit Bewegungsvorstellungen verknüpfen, können
wir unsere Aufmerksamkeit jenen oder diesen vorzugsweise zuwenden.
Wir werden daher erwarten dürfen, dass in den neugebildeten Vor-
stellungscomplexen bald die sensorisch-intellectuellen, bald die moto-
rischen Elemente schärfer ausgeprägt sind. Gerade die Erfahrungen
über verschiedene Reactionsweisen und Lernmethoden legen ferner den
Gedanken nahe, dass jene verschiedenartige Ausprägung der Gesammt-
vorstellungen bis zu einem gewissen Grade durch individuelle Eigen-
thümlichkeiten beeinflusst wird. Es könnte sein, dass einige Personen
überhaupt mehr contemplativ und intellectuell, andere mehr motorisch
veranlagt sind, oder auch, dass sich bei demselben Individuum ent-
gegengesetzte Richtungen der psychischen Reactionsweise auf ver-
schiedenen Gebieten nebeneinander vorfinden. Genaueren Aufschluss
über diese Fragen können uns erst eigens darauf gerichtete Unter-
suchungen gewähren. Ich möchte indessen schon jetzt daran erinnern,
dass die tägliche Erfahrung uns zahlreiche Beobachtungen an die Hand
giebt, welche sich möglicherweise unter diesem Gesichtspunkte deuten
lassen. Wir wissen Alle, dass die Fähigkeit, bestimmte Gruppen von
Vorstellungen festzuhalten, in ausserordentlich verschiedener Weise
ausgebildet ist, so dass man sie theilweise sogar als besondere „Seelen-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0256" n="240"/>
actionsweise dienen kann. Genauere, eigens auf diese Frage gerichtete<lb/>
Untersuchungen fehlen mir; dagegen haben wir bei mehreren Gelegen-<lb/>
heiten gesehen, wie verschieden sich die einzelnen Beobachter in dieser<lb/>
Richtung verhalten. Von allen genauer untersuchten Personen hatte<lb/>
K. die geringste, R. die grösste Neigung zu vorzeitigen Reactionen.<lb/>
S., De., Tr. und T. näherten sich mehr dem Letzteren, L. mehr dem<lb/>
Ersteren. Wie man sieht, spielt somit die absolute Länge der Re-<lb/>
actionszeiten hier nicht die entscheidende Rolle; vielmehr kommen<lb/>
noch andere persönliche Eigenschaften in Betracht. Bei an sich<lb/>
längeren psychischen Zeiten kann die Neigung zu vorzeitiger Reaction<lb/>
stärker ausgeprägt sein, als bei andern Personen mit schnellem Ab-<lb/>
laufe der psychischen Functionen. Freilich wird man sie im letzteren<lb/>
Falle häufiger beobachten, aber dabei ist es vielfach schwer, zu ent-<lb/>
scheiden, ob nicht umgekehrt die kurzen Werthe selbst schon durch<lb/>
vorzeitige Reactionen bedingt sind.</p><lb/>
          <p>Mit dem Gegensatze zwischen sensorieller und musculärer Re-<lb/>
actionsweise habe ich schon früher die <hi rendition="#g">Verschiedenheit der<lb/>
Lernmethode</hi> in Parallele gestellt. Wie mir scheint, lassen sich<lb/>
ähnliche Gegensätze auf sehr vielen Gebieten unserer psychischen<lb/>
Leistungen wiederfinden. Ueberall, wo sich Wahrnehmungen und<lb/>
Erinnerungsbilder mit Bewegungsvorstellungen verknüpfen, können<lb/>
wir unsere Aufmerksamkeit jenen oder diesen vorzugsweise zuwenden.<lb/>
Wir werden daher erwarten dürfen, dass in den neugebildeten Vor-<lb/>
stellungscomplexen bald die sensorisch-intellectuellen, bald die moto-<lb/>
rischen Elemente schärfer ausgeprägt sind. Gerade die Erfahrungen<lb/>
über verschiedene Reactionsweisen und Lernmethoden legen ferner den<lb/>
Gedanken nahe, dass jene verschiedenartige Ausprägung der Gesammt-<lb/>
vorstellungen bis zu einem gewissen Grade durch individuelle Eigen-<lb/>
thümlichkeiten beeinflusst wird. Es könnte sein, dass einige Personen<lb/>
überhaupt mehr contemplativ und intellectuell, andere mehr motorisch<lb/>
veranlagt sind, oder auch, dass sich bei demselben Individuum ent-<lb/>
gegengesetzte Richtungen der psychischen Reactionsweise auf ver-<lb/>
schiedenen Gebieten nebeneinander vorfinden. Genaueren Aufschluss<lb/>
über diese Fragen können uns erst eigens darauf gerichtete Unter-<lb/>
suchungen gewähren. Ich möchte indessen schon jetzt daran erinnern,<lb/>
dass die tägliche Erfahrung uns zahlreiche Beobachtungen an die Hand<lb/>
giebt, welche sich möglicherweise unter diesem Gesichtspunkte deuten<lb/>
lassen. Wir wissen Alle, dass die Fähigkeit, bestimmte Gruppen von<lb/>
Vorstellungen festzuhalten, in ausserordentlich verschiedener Weise<lb/>
ausgebildet ist, so dass man sie theilweise sogar als besondere &#x201E;Seelen-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[240/0256] actionsweise dienen kann. Genauere, eigens auf diese Frage gerichtete Untersuchungen fehlen mir; dagegen haben wir bei mehreren Gelegen- heiten gesehen, wie verschieden sich die einzelnen Beobachter in dieser Richtung verhalten. Von allen genauer untersuchten Personen hatte K. die geringste, R. die grösste Neigung zu vorzeitigen Reactionen. S., De., Tr. und T. näherten sich mehr dem Letzteren, L. mehr dem Ersteren. Wie man sieht, spielt somit die absolute Länge der Re- actionszeiten hier nicht die entscheidende Rolle; vielmehr kommen noch andere persönliche Eigenschaften in Betracht. Bei an sich längeren psychischen Zeiten kann die Neigung zu vorzeitiger Reaction stärker ausgeprägt sein, als bei andern Personen mit schnellem Ab- laufe der psychischen Functionen. Freilich wird man sie im letzteren Falle häufiger beobachten, aber dabei ist es vielfach schwer, zu ent- scheiden, ob nicht umgekehrt die kurzen Werthe selbst schon durch vorzeitige Reactionen bedingt sind. Mit dem Gegensatze zwischen sensorieller und musculärer Re- actionsweise habe ich schon früher die Verschiedenheit der Lernmethode in Parallele gestellt. Wie mir scheint, lassen sich ähnliche Gegensätze auf sehr vielen Gebieten unserer psychischen Leistungen wiederfinden. Ueberall, wo sich Wahrnehmungen und Erinnerungsbilder mit Bewegungsvorstellungen verknüpfen, können wir unsere Aufmerksamkeit jenen oder diesen vorzugsweise zuwenden. Wir werden daher erwarten dürfen, dass in den neugebildeten Vor- stellungscomplexen bald die sensorisch-intellectuellen, bald die moto- rischen Elemente schärfer ausgeprägt sind. Gerade die Erfahrungen über verschiedene Reactionsweisen und Lernmethoden legen ferner den Gedanken nahe, dass jene verschiedenartige Ausprägung der Gesammt- vorstellungen bis zu einem gewissen Grade durch individuelle Eigen- thümlichkeiten beeinflusst wird. Es könnte sein, dass einige Personen überhaupt mehr contemplativ und intellectuell, andere mehr motorisch veranlagt sind, oder auch, dass sich bei demselben Individuum ent- gegengesetzte Richtungen der psychischen Reactionsweise auf ver- schiedenen Gebieten nebeneinander vorfinden. Genaueren Aufschluss über diese Fragen können uns erst eigens darauf gerichtete Unter- suchungen gewähren. Ich möchte indessen schon jetzt daran erinnern, dass die tägliche Erfahrung uns zahlreiche Beobachtungen an die Hand giebt, welche sich möglicherweise unter diesem Gesichtspunkte deuten lassen. Wir wissen Alle, dass die Fähigkeit, bestimmte Gruppen von Vorstellungen festzuhalten, in ausserordentlich verschiedener Weise ausgebildet ist, so dass man sie theilweise sogar als besondere „Seelen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/256
Zitationshilfe: Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/256>, abgerufen am 21.11.2024.