sicht nach zänkischen Alten, der weiter nichts verstand, als von früh bis spät Moral zu predigen, einmal gehörig die Wahr¬ heit zu sagen. Er, der bereits angesehene Franz Timpe, dem heute die große Ehre zu Theil werden sollte, in einer der wohlhabendsten Fabrikantenfamilien mit seiner Anwesenheit zu glänzen, der an gesellschaftlicher Bildung und an Kenntniß des modernen Lebens dieser lebenden Ruine weit überlegen war, sollte sich immer noch wie ein Schuljunge behandeln lassen? Dagegen mußte einmal gründlich Opposition gemacht werden. Ich werde einmal eine "Szene" machen, dachte er bei sich, als er nach vielen Mühen endlich den letzten Knopf der Handschuhe zugeknöpft hatte.
Johannes und Karoline, die schon an seiner unwilligen Be¬ wegung die kommenden Dinge voraussahen, gaben ihm einen Wink, ruhig zu sein und sich zu entfernen. Dann versuchte der Meister seinem Vater jedes Mißtrauen zu nehmen.
"Du thust uns Unrecht, Vater," sagte er sanft. "Franz hat ganz plötzlich eine Einladung von seinem Chef bekommen und da er sich schnell ankleiden mußte, wollten wir Dich nicht stören --"
Im nächsten Augenblick fiel Franz hochmüthig ein:
"Ich weiß nicht, Vater, daß Du Dich noch entschuldigst; Du bist doch hier Herr im Hause. Wenn alte Leute wunder¬ lich sind, so ist damit noch nicht gesagt, daß sie das Recht haben, ihre Nase in alle Dinge zu stecken. Es ist gerade, wie mit den Bären: sie halten ihren langen Winterschlaf, und wenn sie erwachen, wundern sie sich darüber, daß in¬ zwischen das junge Grün hervorgekommen ist . . . Ich lasse mir eine derartige Behandlung nicht mehr gefallen! Ich ge¬ höre bereits einer Studentenverbindung an und werde mich
ſicht nach zänkiſchen Alten, der weiter nichts verſtand, als von früh bis ſpät Moral zu predigen, einmal gehörig die Wahr¬ heit zu ſagen. Er, der bereits angeſehene Franz Timpe, dem heute die große Ehre zu Theil werden ſollte, in einer der wohlhabendſten Fabrikantenfamilien mit ſeiner Anweſenheit zu glänzen, der an geſellſchaftlicher Bildung und an Kenntniß des modernen Lebens dieſer lebenden Ruine weit überlegen war, ſollte ſich immer noch wie ein Schuljunge behandeln laſſen? Dagegen mußte einmal gründlich Oppoſition gemacht werden. Ich werde einmal eine „Szene“ machen, dachte er bei ſich, als er nach vielen Mühen endlich den letzten Knopf der Handſchuhe zugeknöpft hatte.
Johannes und Karoline, die ſchon an ſeiner unwilligen Be¬ wegung die kommenden Dinge vorausſahen, gaben ihm einen Wink, ruhig zu ſein und ſich zu entfernen. Dann verſuchte der Meiſter ſeinem Vater jedes Mißtrauen zu nehmen.
„Du thuſt uns Unrecht, Vater,“ ſagte er ſanft. „Franz hat ganz plötzlich eine Einladung von ſeinem Chef bekommen und da er ſich ſchnell ankleiden mußte, wollten wir Dich nicht ſtören —“
Im nächſten Augenblick fiel Franz hochmüthig ein:
„Ich weiß nicht, Vater, daß Du Dich noch entſchuldigſt; Du biſt doch hier Herr im Hauſe. Wenn alte Leute wunder¬ lich ſind, ſo iſt damit noch nicht geſagt, daß ſie das Recht haben, ihre Naſe in alle Dinge zu ſtecken. Es iſt gerade, wie mit den Bären: ſie halten ihren langen Winterſchlaf, und wenn ſie erwachen, wundern ſie ſich darüber, daß in¬ zwiſchen das junge Grün hervorgekommen iſt . . . Ich laſſe mir eine derartige Behandlung nicht mehr gefallen! Ich ge¬ höre bereits einer Studentenverbindung an und werde mich
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0116"n="104"/>ſicht nach zänkiſchen Alten, der weiter nichts verſtand, als von<lb/>
früh bis ſpät Moral zu predigen, einmal gehörig die Wahr¬<lb/>
heit zu ſagen. Er, der bereits angeſehene Franz Timpe, dem<lb/>
heute die große Ehre zu Theil werden ſollte, in einer der<lb/>
wohlhabendſten Fabrikantenfamilien mit ſeiner Anweſenheit zu<lb/>
glänzen, der an geſellſchaftlicher Bildung und an Kenntniß<lb/>
des modernen Lebens dieſer lebenden Ruine weit überlegen<lb/>
war, ſollte ſich immer noch wie ein Schuljunge behandeln<lb/>
laſſen? Dagegen mußte einmal gründlich Oppoſition gemacht<lb/>
werden. Ich werde einmal eine „Szene“ machen, dachte er<lb/>
bei ſich, als er nach vielen Mühen endlich den letzten Knopf<lb/>
der Handſchuhe zugeknöpft hatte.</p><lb/><p>Johannes und Karoline, die ſchon an ſeiner unwilligen Be¬<lb/>
wegung die kommenden Dinge vorausſahen, gaben ihm einen Wink,<lb/>
ruhig zu ſein und ſich zu entfernen. Dann verſuchte der<lb/>
Meiſter ſeinem Vater jedes Mißtrauen zu nehmen.</p><lb/><p>„Du thuſt uns Unrecht, Vater,“ſagte er ſanft. „Franz<lb/>
hat ganz plötzlich eine Einladung von ſeinem Chef bekommen<lb/>
und da er ſich ſchnell ankleiden mußte, wollten wir Dich nicht<lb/>ſtören —“</p><lb/><p>Im nächſten Augenblick fiel Franz hochmüthig ein:<lb/></p><p>„Ich weiß nicht, Vater, daß Du Dich noch entſchuldigſt;<lb/>
Du biſt doch hier Herr im Hauſe. Wenn alte Leute wunder¬<lb/>
lich ſind, ſo iſt damit noch nicht geſagt, daß ſie das Recht<lb/>
haben, ihre Naſe in alle Dinge zu ſtecken. Es iſt gerade,<lb/>
wie mit den Bären: ſie halten ihren langen Winterſchlaf,<lb/>
und wenn ſie erwachen, wundern ſie ſich darüber, daß in¬<lb/>
zwiſchen das junge Grün hervorgekommen iſt . . . Ich laſſe<lb/>
mir eine derartige Behandlung nicht mehr gefallen! Ich ge¬<lb/>
höre bereits einer Studentenverbindung an und werde mich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[104/0116]
ſicht nach zänkiſchen Alten, der weiter nichts verſtand, als von
früh bis ſpät Moral zu predigen, einmal gehörig die Wahr¬
heit zu ſagen. Er, der bereits angeſehene Franz Timpe, dem
heute die große Ehre zu Theil werden ſollte, in einer der
wohlhabendſten Fabrikantenfamilien mit ſeiner Anweſenheit zu
glänzen, der an geſellſchaftlicher Bildung und an Kenntniß
des modernen Lebens dieſer lebenden Ruine weit überlegen
war, ſollte ſich immer noch wie ein Schuljunge behandeln
laſſen? Dagegen mußte einmal gründlich Oppoſition gemacht
werden. Ich werde einmal eine „Szene“ machen, dachte er
bei ſich, als er nach vielen Mühen endlich den letzten Knopf
der Handſchuhe zugeknöpft hatte.
Johannes und Karoline, die ſchon an ſeiner unwilligen Be¬
wegung die kommenden Dinge vorausſahen, gaben ihm einen Wink,
ruhig zu ſein und ſich zu entfernen. Dann verſuchte der
Meiſter ſeinem Vater jedes Mißtrauen zu nehmen.
„Du thuſt uns Unrecht, Vater,“ ſagte er ſanft. „Franz
hat ganz plötzlich eine Einladung von ſeinem Chef bekommen
und da er ſich ſchnell ankleiden mußte, wollten wir Dich nicht
ſtören —“
Im nächſten Augenblick fiel Franz hochmüthig ein:
„Ich weiß nicht, Vater, daß Du Dich noch entſchuldigſt;
Du biſt doch hier Herr im Hauſe. Wenn alte Leute wunder¬
lich ſind, ſo iſt damit noch nicht geſagt, daß ſie das Recht
haben, ihre Naſe in alle Dinge zu ſtecken. Es iſt gerade,
wie mit den Bären: ſie halten ihren langen Winterſchlaf,
und wenn ſie erwachen, wundern ſie ſich darüber, daß in¬
zwiſchen das junge Grün hervorgekommen iſt . . . Ich laſſe
mir eine derartige Behandlung nicht mehr gefallen! Ich ge¬
höre bereits einer Studentenverbindung an und werde mich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/116>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.