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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Hände fortwährend auf dem Tische ruhten und sich mit dem
Bierglase beschäftigten, als hoffte dadurch ihr Besitzer größer
und gewaltiger zu erscheinen. Sein Name besaß in der Ge¬
schäftswelt einen guten Klang und seine Waare fand nament¬
lich bei den Kleinhändlern in der Provinz lohnenden Absatz.
Seit vielen Jahren stand der Drechslermeister mit ihm in
Geschäftsverbindung; er freute sich daher ungemein, mit
einem seiner besten Kunden gemüthlich beisammen sein zu
dürfen.

"Sagen Sie doch, lieber Herr Timpe", sagte der
Kleine, "wie ist denn das so schnell gekommen mit Ihrem
Jungen? Man sagte mir doch, daß Sie mit Urban ver¬
feindet seien."

Timpe's Ueberraschung steigerte sich. Sein Blick glitt
von Einem zum Anderen, und seine Verlegenheit war so groß,
daß er zu alledem ein sehr dummes Gesicht machte. Endlich
erhielt er die Aufklärung, die ihm anfänglich wie ein schlechter
Witz erschien, deren Wahrheit er dann aber, um sich nicht zu
blamiren und sich seines Sohnes zu schämen, zugab. Man
reichte ihm ein Zeitungsblatt. Er traute seinen Augen nicht.
Da stand die Nachricht, daß Fränlein Emma Kirchberg mit
Franz sich verlobt habe, angezeigt von Herrn Urban nebst
Frau.

Gewiß, das mußte seine Richtigkeit haben! Vor drei
Tagen war Franz bereits des Morgens feierlich gekleidet
von dannen gegangen und erst tief in der Nacht in festlicher
Stimmung nach Hause gekommen. Aber zum ersten Male
in seinem Leben freute sich Timpe über das Glück seines
Sohnes nicht. In wenigen Minuten überkamen ihn
merkwürdige Gedanken, die er nicht zu bändigen vermochte.

Hände fortwährend auf dem Tiſche ruhten und ſich mit dem
Bierglaſe beſchäftigten, als hoffte dadurch ihr Beſitzer größer
und gewaltiger zu erſcheinen. Sein Name beſaß in der Ge¬
ſchäftswelt einen guten Klang und ſeine Waare fand nament¬
lich bei den Kleinhändlern in der Provinz lohnenden Abſatz.
Seit vielen Jahren ſtand der Drechslermeiſter mit ihm in
Geſchäftsverbindung; er freute ſich daher ungemein, mit
einem ſeiner beſten Kunden gemüthlich beiſammen ſein zu
dürfen.

„Sagen Sie doch, lieber Herr Timpe“, ſagte der
Kleine, „wie iſt denn das ſo ſchnell gekommen mit Ihrem
Jungen? Man ſagte mir doch, daß Sie mit Urban ver¬
feindet ſeien.“

Timpe's Ueberraſchung ſteigerte ſich. Sein Blick glitt
von Einem zum Anderen, und ſeine Verlegenheit war ſo groß,
daß er zu alledem ein ſehr dummes Geſicht machte. Endlich
erhielt er die Aufklärung, die ihm anfänglich wie ein ſchlechter
Witz erſchien, deren Wahrheit er dann aber, um ſich nicht zu
blamiren und ſich ſeines Sohnes zu ſchämen, zugab. Man
reichte ihm ein Zeitungsblatt. Er traute ſeinen Augen nicht.
Da ſtand die Nachricht, daß Fränlein Emma Kirchberg mit
Franz ſich verlobt habe, angezeigt von Herrn Urban nebſt
Frau.

Gewiß, das mußte ſeine Richtigkeit haben! Vor drei
Tagen war Franz bereits des Morgens feierlich gekleidet
von dannen gegangen und erſt tief in der Nacht in feſtlicher
Stimmung nach Hauſe gekommen. Aber zum erſten Male
in ſeinem Leben freute ſich Timpe über das Glück ſeines
Sohnes nicht. In wenigen Minuten überkamen ihn
merkwürdige Gedanken, die er nicht zu bändigen vermochte.

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[138/0150] Hände fortwährend auf dem Tiſche ruhten und ſich mit dem Bierglaſe beſchäftigten, als hoffte dadurch ihr Beſitzer größer und gewaltiger zu erſcheinen. Sein Name beſaß in der Ge¬ ſchäftswelt einen guten Klang und ſeine Waare fand nament¬ lich bei den Kleinhändlern in der Provinz lohnenden Abſatz. Seit vielen Jahren ſtand der Drechslermeiſter mit ihm in Geſchäftsverbindung; er freute ſich daher ungemein, mit einem ſeiner beſten Kunden gemüthlich beiſammen ſein zu dürfen. „Sagen Sie doch, lieber Herr Timpe“, ſagte der Kleine, „wie iſt denn das ſo ſchnell gekommen mit Ihrem Jungen? Man ſagte mir doch, daß Sie mit Urban ver¬ feindet ſeien.“ Timpe's Ueberraſchung ſteigerte ſich. Sein Blick glitt von Einem zum Anderen, und ſeine Verlegenheit war ſo groß, daß er zu alledem ein ſehr dummes Geſicht machte. Endlich erhielt er die Aufklärung, die ihm anfänglich wie ein ſchlechter Witz erſchien, deren Wahrheit er dann aber, um ſich nicht zu blamiren und ſich ſeines Sohnes zu ſchämen, zugab. Man reichte ihm ein Zeitungsblatt. Er traute ſeinen Augen nicht. Da ſtand die Nachricht, daß Fränlein Emma Kirchberg mit Franz ſich verlobt habe, angezeigt von Herrn Urban nebſt Frau. Gewiß, das mußte ſeine Richtigkeit haben! Vor drei Tagen war Franz bereits des Morgens feierlich gekleidet von dannen gegangen und erſt tief in der Nacht in feſtlicher Stimmung nach Hauſe gekommen. Aber zum erſten Male in ſeinem Leben freute ſich Timpe über das Glück ſeines Sohnes nicht. In wenigen Minuten überkamen ihn merkwürdige Gedanken, die er nicht zu bändigen vermochte.

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/150>, abgerufen am 21.11.2024.