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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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XI.
Schlimmer Verdacht.

Gegen Weihnachten desselben Jahres hob sich das Geschäft
Timpe's wieder ein wenig, so daß er nicht mit Verlust zu
arbeiten brauchte; nach Neujahr aber ging es mit Macht
bergab, ein plötzlicher Stillstand trat ein und der Meister
mußte den Gesellen das Geld förmlich aus der eigenen Tasche
zahlen, nur um sie an sich zu fesseln. Im folgenden Som¬
mer sah er sich genöthigt, abermals einen Gehilfen zu ent¬
lassen. Diesmal traf den lustigen Berliner das Loos. Fritz
Wiesel bat den Meister voll Treuherzigkeit, seiner wieder zu
gedenken, wenn es besser gehen sollte. Man trennte sich
ungern von dieser Werkstatt, wo man sich noch gestatten
durfte, in Gegenwart des Meisters einen derben Witz zu
machen und nichts von einer drakonischen Fabrikordnung zu
sehen war.

Nach acht Tagen bereits sprach Wiesel wieder vor. Er
hatte noch keine andere Beschäftigung gefunden. In vielen
Fabriken und kleineren Werkstätten war eine plötzliche Arbeits¬
stockung eingetreten, die eine Folge jahrelanger Ueberproduktion
war. Die ersten Schatten des großen industriellen Krachs
kamen drohend herangezogen. Die Papiere zahlreicher Aktien¬


XI.
Schlimmer Verdacht.

Gegen Weihnachten deſſelben Jahres hob ſich das Geſchäft
Timpe's wieder ein wenig, ſo daß er nicht mit Verluſt zu
arbeiten brauchte; nach Neujahr aber ging es mit Macht
bergab, ein plötzlicher Stillſtand trat ein und der Meiſter
mußte den Geſellen das Geld förmlich aus der eigenen Taſche
zahlen, nur um ſie an ſich zu feſſeln. Im folgenden Som¬
mer ſah er ſich genöthigt, abermals einen Gehilfen zu ent¬
laſſen. Diesmal traf den luſtigen Berliner das Loos. Fritz
Wieſel bat den Meiſter voll Treuherzigkeit, ſeiner wieder zu
gedenken, wenn es beſſer gehen ſollte. Man trennte ſich
ungern von dieſer Werkſtatt, wo man ſich noch geſtatten
durfte, in Gegenwart des Meiſters einen derben Witz zu
machen und nichts von einer drakoniſchen Fabrikordnung zu
ſehen war.

Nach acht Tagen bereits ſprach Wieſel wieder vor. Er
hatte noch keine andere Beſchäftigung gefunden. In vielen
Fabriken und kleineren Werkſtätten war eine plötzliche Arbeits¬
ſtockung eingetreten, die eine Folge jahrelanger Ueberproduktion
war. Die erſten Schatten des großen induſtriellen Krachs
kamen drohend herangezogen. Die Papiere zahlreicher Aktien¬

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[[172]/0184] XI. Schlimmer Verdacht. Gegen Weihnachten deſſelben Jahres hob ſich das Geſchäft Timpe's wieder ein wenig, ſo daß er nicht mit Verluſt zu arbeiten brauchte; nach Neujahr aber ging es mit Macht bergab, ein plötzlicher Stillſtand trat ein und der Meiſter mußte den Geſellen das Geld förmlich aus der eigenen Taſche zahlen, nur um ſie an ſich zu feſſeln. Im folgenden Som¬ mer ſah er ſich genöthigt, abermals einen Gehilfen zu ent¬ laſſen. Diesmal traf den luſtigen Berliner das Loos. Fritz Wieſel bat den Meiſter voll Treuherzigkeit, ſeiner wieder zu gedenken, wenn es beſſer gehen ſollte. Man trennte ſich ungern von dieſer Werkſtatt, wo man ſich noch geſtatten durfte, in Gegenwart des Meiſters einen derben Witz zu machen und nichts von einer drakoniſchen Fabrikordnung zu ſehen war. Nach acht Tagen bereits ſprach Wieſel wieder vor. Er hatte noch keine andere Beſchäftigung gefunden. In vielen Fabriken und kleineren Werkſtätten war eine plötzliche Arbeits¬ ſtockung eingetreten, die eine Folge jahrelanger Ueberproduktion war. Die erſten Schatten des großen induſtriellen Krachs kamen drohend herangezogen. Die Papiere zahlreicher Aktien¬

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. [172]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/184>, abgerufen am 21.11.2024.